Also gut. In drei Wochen ist wieder Landtagswahl in Baden-Würstlesberg. Titten raus, Klassenarbeit! Äh, sorry, Wahlplakate raus, Wählerfang! Verlässt man die Wohnung, dauert es keine 30 Sekunden, bis einem meterhohe fein gestriegelte LandtagskandidatInnen auf Wahlplakaten entgegenspringen und vermitteln: "Ich bin das beste Pony für den Stutengarten am Neckar, wähl mich und wir reiten Richtung Sonnenuntergang!" Aber Momend amole: Stuttgart kommt von Stutengarten, weil Schwabenherzog Liudolf (der eigentlich Niedersachse war) ums Jahr 950 auf den saftigen Wiesen im Nesenbachtal ein Gestüt ansiedelte, mit dessen Stuten man gegen die berittenen Ungarn aufrüsten wollte, die das Reich von Osten her bedrohten. Stutengarten – Stuttgart – checksch? Gut. Also. Warum aber ist der ganze fucking Landtag dann seit der ersten verfassungsgebenden Versammlung des neuen Landes Baden-Württemberg am 9. März 1952 bis heute eigentlich fast nur voller toller Hengste?
Echt jetzt mal: Seit 1952 bis heute hat der Anteil an Frauen im Landtag von Baden-Württemberg 26,6 Prozent seit 2019 (seit der Landtagswahl 2016 kamen drei Nachrückerinnen hinzu) nie überschritten – bis 1992 lag er sogar immer unter zehn Prozent! Es dauerte also 64 Jahre, bis gerade einmal ein Viertel aller Abgeordneten Frauen waren. Wenn das so weitergeht, sind es selbst im Jahr 2080 noch nicht die Hälfte! Noch heute bestimmen 105 Volksvertreter und 38 Volksvertreterinnen über Landesgesetze und Gelder. Alles, was in Baden-Württemberg passiert, wird damit seit 1952 von einer absoluten Mehrheit an Männern bestimmt und kontrolliert. Dasselbe Bild in Gemeinderäten und Kreistagen: Auch hier haben Männer das Sagen. Frauen werden auf kommunaler Ebene landesweit von knapp 24 Prozent Frauen vertreten. In zehn von 70 Wahlkreisen in Baden-Württemberg haben WählerInnen nicht einmal die Chance, eine Frau in den Landtag zu wählen, weil die Parteien schlichtweg keine Frau als Kandidatin nominiert haben. WTF ist das für eine Volksvertretung?!
Im nationalen Ranking landet der Würstlesgarten damit auf dem drittletzten Platz beim Thema Frauen in der Politik und ist das einzige Bundesland, das noch nie einen Frauenanteil von 30 Prozent im Parlament erreicht hat. Mann, Mann, Mann. Das ist definitiv kein Stutengarten. Das wird auch nicht besser, nur weil nach 64 Jahren mal eine Frau Landtagspräsidentin ist. Das ist so, als würde ganz Deutschland von mehr als zwei Drittel Männern regiert werden. Ach warte: Ist ja so! Auch im Bundestag gibt es lediglich 30,7 Prozent Frauenanteil. Schon jetzt, drei Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg, ist klar: Der neue Landtag wird wieder hauptsächlich aus Männern bestehen, denn eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen ist von vornherein ausgeschlossen, weil der Anteil an Erstkandidatinnen der aussichtsreichsten Parteien gar keine Veränderung hergibt.
Wer wird unser Land voranbringen? Obacht, Spoiler
"Unser Land. Unsere Wahl. Unsere Zukunft. Alles zur Landtagswahl 2021" steht auf einem Flyer, den die "Stuttgarter Zeitung" gerade per Post an alle verschickt, die irgendwann mal den Fehler gemacht haben, ein Probeabo abzuschließen und ihre Adresse damit für Werbung verschachert haben. Die Frau im weißen Blazer auf dem Flyer, die an einem Rednerpult in zwei Mikrofone zu agitieren scheint, während drei Typen in dunklen Anzügen hinter ihr rumstehen, lässt sich selbst mit der Google-Rückwärtssuche für Bilder nicht identifizieren. Schon klar, die "Stuttgarter Zeitung" will natürlich keine Werbung für Parteien machen – aber, meine Güte, dann nehmt halt ein Foto vom Landtag oder so, aber nicht ausgerechnet ein Bild, das vermittelt, dass Frauen in der Politik hier really a thing wären.
Apropos Bildersuche: Gibt man online bei einer der bekanntesten Stock-Fotoagenturen "Politiker" ein, bekommt man sofort 94.819 Bildvorschläge. Tippt man "Politikerin" ein, gibt es 126. Nein, nicht 126.000. Einhundertsechsundzwanzig. "Liebe Frau Wolf, wer bringt unser Land voran?", heißt es im beiliegenden Brief der StZ, der mich dazu überreden will, ein Zeitungsabo abzuschließen. Bis zur Landtagswahl am 14. März wolle man dieser Frage auf den Grund gehen. Das kann ich mir wirklich sparen, denn – Obacht, Spoiler – ich verrate jetzt schon gratis und absolut werbefrei, wer unser Land voranbringen wird: Frauen!
4 Kommentare verfügbar
Christa Glaser
am 26.02.2021Damit ist alles gesagt was es zu sagen gibt. Danke dafür!
Sollte Pflichtartikel für alle Verantworlichen werden!