Kortes Blick ins Gehirn vermittelt – wie diverse andere Studien – den Eindruck, dass angenommene Geschlechterunterschiede neuerdings dank blinkendem Gehirnscanner-Beweis wissenschaftlich bewiesen sind. Tiefer als Korte treibt der australische Kommunikationstrainer Allan Pease Pfeiler in das Vorurteilsbollwerk. Mit seiner Frau Barbara veröffentlichte er 1999 den Bestseller "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken: Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen". Und stellte fest, dass Politik und Gesellschaft zwangsläufig am Versuch der Gleichbehandlung scheitern müssten. Weil die Geschlechter biologisch einfach zu verschieden seien: Alle wären glücklicher, wenn sie sich in ihre natürliche Rolle fügten.
Was selbst aus neurowissenschaftlicher Perspektive der Ergänzung bedarf: Weil alles anders ist, sobald frau menstruiert. Laut einer Studie des Bochumer Biopsychologen Markus Hausmann schneiden Frauen dann aufgrund des niedrigen Östrogenspiegels beim räumlichen Sehen fast so gut ab wie Männer. Den WG-Küchenputzplan mit dem Menstruationskalender abgleichen wäre also eine glänzende Idee.
Haben wir uns nicht alle schon dabei ertappt, Verhaltensweisen auf das Geschlecht der Handelnden zurückzuführen? Spätestens, wenn eine blonde Frau ihren Kleinstwagen trotz etlicher Manöver nicht in die korrekte Parkposition bugsiert hat, drängen sich stereotype Vorstellungen auf. Im besten Fall sind wir uns des Klischeecharakters bewusst. Andernfalls wird man doch wohl noch sagen dürfen ...
Die Hirnforschung – ein Hort von Rassismus und Sexismus
So unverfänglich und – vielleicht – amüsant Stereotype scheinen mögen, so gefährlich sind sie, wenn es nicht um Spülmaschinen und Parklücken geht. Betrachtet man die Geschichte der Hirnforschung, fällt auf, dass deren vermeintlich objektive Resultate stets der selektiven Wahrnehmung geschuldet waren. Den Menschen zur Erfoschung seines Wesens aufzuschneiden hat eine lange Tradition. Als der britische Neurologe Henry C. Bastian 1882 feststellte, dass "das Gehirngewicht des männlichen Negers mit dem Gewicht des Gehirns der europäischen Frau übereinstimmt", schien die Überlegenheit des weißen Mannes über die Frau und den Fremden wissenschaftlich bewiesen – ganz objektiv, versteht sich. Dabei war es lediglich der Beweis eines rassistischen und sexistischen Vorurteils.
Dennoch versuchen heute noch viele NeurowissenschaftlerInnen, menschliche Eigenschaften durch den scheinbar objektiven Blick ins Gehirn zu naturalisieren. Womit sie ebenso pseudowissenschaftliche Grundlagen für Vorurteile liefern wie ihre Vorgänger. Das Prozedere ist immer gleich. Man schiebe einen Menschen unter den fMRT-Gehirnscanner und untersuche, was sich in den Hirnwindungen abspielt, während es beispielsweise eine Aufgabe zum räumlichen Vorstellungsvermögen zu lösen gilt.
Abgesehen davon, dass die Ergebnisse bildgebender Verfahren hochgradig anfällig für Fehlinterpretationen sind, da das Zusammenspiel der kognitiven Abläufe im Gehirn im Bezug auf eine spezielle Aufgabe nicht hinreichend erschlossen ist, stellt sich die Frage, weshalb zugrunde gelegt wird, dass ein Geschlecht besser räumlich sieht als das andere. Dieselbe Logik verbirgt sich hinter dem Vorhaben, im Gehirn des "Negers" strukturelle Belege für die angebliche kognitive Unterlegenheit schwarzer Menschen zu suchen.
Bizarr ist auch, die Motivation der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu erforschen, indem ihr Gehirn jahrzehntelang seziert wird – tatsächlich geschehen bis 2002. So will Bernhard Bogerts von der Universität Magdeburg an Meinhofs Gehirn Veränderungen festgestellt haben, die eine verminderte Schuldfähigkeit bedingen. Der gesellschaftliche und politische Kontext der Radikalisierung des Studentenprotests, der in der RAF kulminierte, wird ausgeblendet – die RAF zu einem Haufen neuronal determinierter Roboter.
Die wissenschaftliche Ausgangsfrage ist also entscheidend und immer gesellschaftlich determiniert. Steht am Ende einer Untersuchung das Resultat, dass Frauen statistisch gesehen schlechter räumlich sehen als Männer, gilt das trotzdem als wissenschaftlicher Beweis des entsprechenden Vorurteils – ohne nach dessen gesellschaftlichen Ursachen zu fragen.
Es wird schlicht davon ausgegangen, dass die Gehirnstruktur für die Eigenschaften der Geschlechter verantwortlich ist. Laut der amerikanischen Sozialmedizinerin Rebecca Jordan-Young unterscheiden sich die Gehirne weiblicher und männlicher Embryos kaum voneinander. Es sei also unmöglich, ein Gehirn nach Geschlechtszugehörigkeit zu kategorisieren. Das Gehirn gleiche einer leeren Festplatte, die je nach Erziehung und sozialisatorischen Bedingungen formatiert werde. Wenn neurowissenschaftliche Ergebnisse physiologische Unterschiede von Frauen- und Männergehirnen feststellen, kann also davon ausgegangen werden, dass das Verhalten diese sichtbaren Unterschiede in der Hirnstruktur hervorgerufen hat.
Der Mythos "Testosteron" verliert an Glanz
Diese Prämisse lässt sich wunderbar auf das scheinbar bessere räumliche Sehvermögen von Männern anwenden – etwa am Beispiel von Vidospielen. Während in der Werbung für "Meine Tierpension" kleine Mädchen Hundebabys knuddeln, wird "Junge Detektive" mit schlauen Jungs beworben, die einem geheimnisvollen Schatz hinterherjagen. Dass durch derart spezifizierte Spiele unterschiedliche Fähigkeiten trainiert werden, ist offensichtlich. Eine kanadische Forschergruppe fand zudem heraus, dass sich die Fähigkeit zum räumlichen Denken maßgeblich durch Videospiele beeinflussen lässt.
Es gibt also kulturell geprägte Unterschiede zwischen Frauen- und Männerhirnen, keine angeborenen. Geschlechternormen und die daraus resultierenden Stereotype sind gesellschaftlich determinierte Produkte kultureller Erwartungshaltungen. Keinesfalls aber lassen sich "typisch männliche" und "typisch weibliche" Verhaltensweisen auf physische Unterschiede im Gehirn zurückführen.
Betrachtet man unter dieser Prämisse den Diskurs um die vermeintlich bessere Eignung von Männern für Führungspositionen, wird klar, dass diese nicht nur auf das Geschlecht und die damit assoziierten Attribute zurückzuführen ist, sondern auf die gesellschaftlich konstruierten Geschlechternormen und deren Auswirkungen auf das männliche Gehirn.
Der "Mythos Testosteron" verliert an Glanz, spätestens, seit klar ist, dass sportliche Siege den Testosteronwert erhöhen und nicht andersherum. Statt Eigenschaften wie "Aggressivität" oder "Zielstrebigkeit" mit der "männlichen Hirnstruktur" gleichzusetzen, muss von einer gesellschaftlichen Determinierung gesprochen werden. Ein "Frauenhirn" wird wie ein "Männerhirn" durch gesellschaftlich konstruierte Determinanten zu einem eben solchen gemacht. Kurz, mit Simone de Beauvoir gesagt: "Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht."
Ich aber werde mich in meiner "Männer-WG" weiterhin an die Spülmaschine wagen. Zehn Jahre Spielkonsolenmissbrauch müssten eigentlich reichen, um den Herkulesaufgaben in der Küche Herr – Verzeihung – Frau zu werden. Letztlich ist der Streit um die korrekte Bestückung des Geräts wohl ohnehin eher Ausdruck alltäglicher Zwangsneurosen als Ausdruck des Geschlechterkampfes.
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Ruby Tuesday
am 13.09.2019