In zwei Jahren wird Sonderborgs 100. Geburtstag neue Aufmerksamkeit auf diesen Künstler lenken. Einst hat er in Rom, Paris, Cornwall, New York und Chicago gearbeitet. Chicago? "Ja, er liebte diese Stadt, er wäre gern ein kleiner schwarzer Gangster gewesen. Diese Vorstellung gefiel ihm. Am liebsten hielt er sich in Chicago in den Vierteln der Schwarzen auf. Wenn ein Schwarzer und ein Weißer gleichzeitig auf der Straße nach einem Taxi winkten, freute sich mein Vater jedes Mal diebisch, dass es quasi Gesetz war, dass der Schwarze zuerst einsteigen durfte", erzählt Maria.
Mir war Sonderborg in der Vergangenheit hin und wieder in Stuttgarter Kneipen begegnet. Man nannte ihn, als politische Korrektheit noch niemanden interessierte, "einarmiger Bandit". Rein zufällig geriet ich Ende 2018 wieder auf seine Spur. Am neu eröffneten Lern- und Gedenk-Ort Hotel Silber, der ehemaligen Stuttgarter Folter- und Mordzentrale der Gestapo am Charlottenplatz, gab es einen Swing-Abend mit einer Gipsy-Jazz-Band und einem DJ unter dem Motto "Let's have a Ball". Prompt witterten pietätvolle Zeitgenossen eine Freveltat, sie verstanden die politisch-historischen Signale nicht. Die Propaganda der Nazis hatten den Jazz verdammt, auch wenn einige von ihnen heimlich Swing hörten. Der SS-Chef Himmler hetzte, man müsse die amerikanische Kultur "radikal ausrotten".
Dem faschistischen Terror zum Trotz treffen sich damals in den Städten mutige junge Menschen in subversiven Swing-Clubs. Mit schrägen Klamotten und Frisuren nach amerikanischem Vorbild rebellieren sie als Swing-Kids und werden von den Nazis verfolgt. 1943 spüren deren Schergen in Cannstatt (die Nazis haben den Stuttgarter Stadtteil 1933 in Bad umgetauft) 17 junge Männer und vier junge Frauen auf. Sie werden verhört und bestraft: Einige von ihnen müssen an die Front und kommen um.
Nach der kleinen Provinz-Affäre um die Aufklärungsaktion des Hotels Silber schrieb ich eine Kolumne über die Hintergründe des Swing-Abends und wies darin auf einen berühmten Swing-Boy hin, der oft in Stuttgart unterwegs war, ein Rastloser im Rhythmus des Jazz. Als junger Kerl in Hamburg trägt er US-Outfit und liest in der Öffentlichkeit die "Washington Post", die er sich bei amerikanischen Diplomaten besorgt. 1943 sperren ihn die Nazis fünf Monate ins KZ Fuhlsbüttel. Offizielle Haftgründe: "Anglophilie", "staatsabträgliches Verhalten". Der zwanzigjährige Unruhestifter ist der spätere Künstler K. R. H. Sonderborg, ein Vertreter des Informel, wegen seiner ungemein kraftvoll-dynamischen Schwarz-Weiß-Werke auch "Meister der Schwarzmalerei" genannt. Ein politischer Mensch, ein Zweifler, der sich unter anderem mit der RAF und Stammheim beschäftigt und auch künstlerisch darauf eingeht.
In meiner Kolumne erwähnte ich seinerzeit eher beiläufig, dass ich mich etwas wundere, warum Sonderborg, dieser charismatische Mensch und großartige Maler, bei uns in der Stadt nicht besser präsent ist. Wenig später erhielt ich Post von der Direktorin des Kunstmuseums am Schlossplatz, Ulrike Groos. Ohne jede Absicht war ich in eine Geschichte gestolpert, die so schnell noch nicht beendet sein wird. Ulrike Groos arbeitete schon 2018, gemeinsam mit Maria Munkert, an einem Konzept für eine große Sonderborg-Ausstellung, stieß aber auf ungeahnte Probleme: Zwar verfügt sie in ihrem Museum über einige maßgebliche Sonderborg-Werke, viele Arbeiten seines Schaffen allerdings sind nicht mehr auffindbar.
Rund um dieses schwarze Loch haben wir es mit Ereignissen zu tun, die ein halbwegs vernünftiger Spielfilmregisseur seinem Drehbuchautor aus dem Skript streichen würde. Sie erscheinen allzu trivial, realitätsfremd und unglaubwürdig-abgründig.
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Onion
am 27.02.2021