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TV-Serie "Capitani"

"Du bist nicht Dirty Harry!"

TV-Serie "Capitani": "Du bist nicht Dirty Harry!"
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Die luxemburgische Krimiserie "Capitani" erzählt vom Mord an einem Teenager und von einem Dorf, in dem fast alle etwas zu verbergen haben. Und von einem Land, das zu schnell reich geworden ist.

Am Fuß eines Steilabfalls, den die Einheimischen "Kifferfelsen" nennen, liegt ein totes Mädchen. Die Zwillingsschwester (Jil Devresse) wird noch vermisst, ein behinderter Mann, später mal als "Dorfdepp" tituliert, läuft verstört herum und stammelt etwas von einem "toten Spiegel". So hat der stets in Jeans und T-Shirt agierende Polizist Luc Capitani (Luc Schiltz), der eher zufällig oder besser: aus einem anderen Grund in der Gegend ist, plötzlich einen Fall am Hals. Die junge Polizistin Elsa (Sophie Mousel), die in diesem Dorf im Ardennerwald lebt und jeden kennt, soll ihm bei seinen Ermittlungen helfen. Sie werden Capitani und Elsa tief in die Geheimisse und Verstrickungen einer kleinen Gemeinde führen, die man am Ende nicht mehr als Gemeinschaft bezeichnen will.

"Capitani" ist eine in Tageskapitel aufgeteilte Serie mit zwölf jeweils halbstündigen Folgen. Die Produktion der luxemburgischen RTL spielt auch im kleinen Großherzogtum, war dort immens erfolgreich und hat es nun in das Streaming-Angebot von Netflix geschafft. Was aber nicht heißt, dass sich der Schöpfer Thierry Faber und sein Regisseur Christophe Wagner ganz und gar internationalen Krimi-Gepflogenheiten unterwerfen. Sie wissen schon, dass ihr Held nicht durch die Straßen von L.A. fährt, dass nicht schon wieder ein sadistisch-raffinierter Serienkiller überführt werden muss, und sie verzichten auch auf allzu routinierte Spusi-Auftritte, Splatter-Szenen oder Pathologie-Kabbeleien wie im "Tatort". "Brille weg, du bist nicht 'Dirty Harry'!", so schnauzt Capitani mal seinen Untergebenen Mores (Joe Dennenwald) an, der nicht der Hellste ist, sich aber cool geben wollte.

Also alles eine Nummer kleiner? Ja und nein. Wir sind hier, wie gesagt, in Luxemburg, einem Land mit weniger Einwohnern als Stuttgart. Und wir sind nicht mal in der Hauptstadt, sondern in der Provinz im Norden, in einem fiktiven Dorf namens Manscheid. Dass in der Steueroase Luxemburg das Pro-Kopf-Einkommen zweieinhalb mal höher ist als im europäischen Durchschnitt, wird in "Capitani" nicht extra thematisiert. Der Reichtum protzt hier nämlich nicht glamourös herum, er zeigt sich eher indirekt, etwa als gediegene Selbstverständlichkeit, mit der Audi oder Mercedes, aber eben nicht Ferrari gefahren wird, oder an großzügig bemessenen und teuer, aber nicht chic-luxuriös ausgestatten Wohnungen und Häusern. Oft manifestiert sich der neue Reichtum architektonisch auch in Anbauten, unter und hinter denen sich noch das alte und ärmere Luxemburg erahnen lässt.

Psychisch verwahrlost und voll dunkler Geheimnisse

Dass der Reichtum und die Moderne zu schnell über dieses Land hereingebrochen sind und dies zu einer Art psychischen Verwahrlosung geführt hat, mag eine Überinterpretation sein. Sie wird aber nahegelegt, wenn das Verbrechen immer weitere Kreise zieht, wenn Capitani mit dem Selbstmord des Stiefvaters der Zwillingsschwestern konfrontiert wird, wenn er auf einen florierenden Drogenhandel stößt, von dem der Schuldirektor zunächst nichts wissen will und in den die Tochter des Bäckers genauso verwickelt scheint wie im Wald zeltende Soldaten. Und was hat der bullige Holzunternehmer Mick (Jules Werner) mit der Sache zu tun, leiblicher Vater der Zwillinge, der neben seinen Affären noch Zeit hat für eine Intrige, die ihm den Posten des Bürgermeisters einbringt? Das Dorf sei "innerlich verfault", konstatiert Capitani.

Die Einheimischen betrachten den sportlich-sehnigen Polizisten sowieso als Außenseiter, denunzieren ihn als "Schönling" oder als Städter, wobei Capitani Letzteres immer zurückweist: Er sei aus dem Süden. Was hier den Süden Luxemburgs meint und nicht Italien. Aber er stammt wohl doch, ohne dass dies in der Serie erklärt wird, von italienischen Gastarbeitern ab, die das Land in seiner proletarischen Vergangenheit angeheuert hat, damals, als es noch von Kohleabbau und Schwerindustrie abhängig war. Doch zurück zum Fall! "Alle lügen hier, auch die Bullen", sagt Capitani. Er trägt nämlich selber ein Geheimnis mit sich herum, das in einem Nebenstrang der Story vor sich hin köchelt.

Das führt dazu, dass in dieser Serie, in der für deutsche Zuschauer sonst nur neue Gesichter zu sehen sind, ein über die Grenzen Luxemburgs bekannter Star auftaucht: Désirée Nosbusch. Die polyglotte Schauspielerin, die schon als Zwölfjährige für Radio Luxemburg moderierte, mit sechzehn ihr Film-Debüt gab und nun, Mitte fünfzig, in der ZDF-Serie "Bad Banks" sehr präsent ist als intrigante Finanzspekulantin, agiert auch in "Capitani" sehr souverän und setzt sich als interne Ermittlerin dem Titelhelden auf die Spur.

Wer seinen Fall zuerst lösen kann, das ist am Ende die Frage in dieser Geschichte, in der immer wieder von vernachlässigten Kindern und versagenden Eltern erzählt wird. Nein, das Böse ist nicht von außen in eine heile Welt eingedrungen, es hat sich schon länger im Untergrund herumgetrieben und ist durch einen Mord nur sichtbar geworden. Man sollte diese Serie unbedingt im letzeburgischen Original anschauen, auch wenn die meisten von uns dafür Untertitel brauchen. Dieses moselfränkische Idiom ist für den Laien verwandt mit den lautlichen Hervorbringungen von Heinz Becker, der Figur des saarländischen Kabarettisten Gerd Dudenhöffer. Für Luxemburger aber (und nach einer kurzen Eingewöhnung letztlich auch für uns Zuschauer) ist letzeburgisch eine Sprache und kein putziger Dialekt. Die hat ihren besonderen Reiz: "Zesumme fir iech", so fürsorglich steht es etwa auf der Tür von Capitanis Polizeiauto. Wenn der Fahrer aber mal richtig sauer ist, weicht er ins Französische aus: "Merde!"


"Capitani" ist beim Streaming-Anbieter Netflix zu sehen.


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