Aber irgendwann ist doch alles wieder "normal", sind alle geimpft, hocken wieder dicht an dicht in den Kinosälen und schauen den Superhelden bei der Weltrettungsarbeit zu? Oder doch nicht? Erleben wir gerade eine Zeitenwende, nach der eben nichts mehr so ist wie es war? Die Dezember-Ausgabe der Zeitschrift "Film Facts", herausgegeben von der baden-württembergischen Förderinstitution MFG, berichtet von einer mehrtägigen Veranstaltung zur "Filmkonzeption 2020", bei der die Staatssekretärin im Wissenschaftsministerium Petra Olschowski davon sprach, dass mit der zunehmenden Digitalisierung bewegter Bilder "grundlegende Veränderungen im Nutzerverhalten" verbunden sind. Sie beträfen "die Produktion, das Produkt, die Distribution und die Rezeption gleichermaßen".
So vorausschauend diese Sätze zur Zukunft des Kinos auch sind: Mit der Corona-Krise rechnen sie noch nicht. Aber ist es nicht ein Menetekel, dass die große "Filmkonzeption 2020"-Podiumsdiskussion noch im schönen und auch für Festivals repräsentablen Stuttgarter Metropol stattfand, bevor dieses seinen Spielbetrieb nun für immer eingestellt hat? Das große Kinosterben droht ja nicht nur, es findet bereits statt. Der hiesige Ufa-Palast schloss schon im Sommer, als sich die Metropol-Betreiber noch zuversichtlich gaben, wobei dieser Film-Durchlauferhitzer mit seinen dreizehn Sälen auch extrem abhängig war vom US-dominierten Blockbuster-System, sprich: vom immer teurer werdenden Superheldenkino, hinter dessen Boom doch schon der Zusammenbruch lauerte.
Vorbei die Special-Effects-Spektakel-Orgien?
Denn wie lange würden diese, seien wir ehrlich, ein bisschen infantilen und sich wiederholenden Special-Effects-Spektakel-Orgien noch beim Publikum zünden? Ja, es gab die besseren Superhelden-Filme, solche etwa, die ihr Personal erweiterten wie "Black Panther" oder "Wonder Woman". Aber wenn es ans Kämpfen ging, wenn sich also unzerstörbare Akteure unermüdlich zu zerstören versuchten, machte sich beim einen oder anderen Zuschauer (zum Beispiel bei mir!) doch Langeweile breit. Wieviele Minuten würden diese Sich-durch-Wolkenkratzer-oder-ganze-Galaxien-Hindurchprügeleien noch dauern? Es könnte sein, dass diese Art von Kino die Krise nicht übersteht, jedenfalls nicht unbeschadet. Denn der kleine Virus hat zum einen die beschämende Ohnmacht der allmächtigen Superhelden ans Licht gebracht, und zum anderen werden Produzenten sich fragen, ob sie in einer Zeit nach Corona wieder Zweihundert-Millionen-Dollar-Produktionen riskieren sollten.
Vielleicht erübrigt sich diese Frage schon deshalb, weil in der Krise das ganze Hollywood-System – und mit ihm das Kino der ganzen Welt – ins Trudeln geraten ist. Wer kann denn, von der Studio-Verwaltung über die HandwerkerInnen bis hin zu den SchauspielerInnen und RegisseurInnen, die Corona-Zeit durchstehen und dies nicht nur physisch und psychisch gesund, sondern auch finanziell liquide? Dass es in Hollywood "ganz normal" weitergehen wird, könnte sich als große Illusion erweisen. Das wiederum wäre die Chance für jene kleineren Produktionen, pauschal gesprochen: für jene Filme mit menschlichem Maß, die von den Blockbustern aus den Kinos gedrängt wurden.
Aber dieser Glaube, dass alles wieder zurückkehrt zum Vor-Corona-Status, ist auch in unserem Kulturbetrieb weit verbreitet und dies nicht nur, was das Kino angeht. Mag sein, dass sich jene Theater-, Ballett- und Opernbetriebe, die immer wieder detaillierte Spielpläne fürs neue Jahr vorlegen, damit selber Mut machen wollen. Müsste der Blick nach vorn aber nicht einer sein, der nicht umstandslos anknüpft an das Gestern, sondern sich nach der Corona-Erfahrung weitergehende Gedanken über die Zukunft macht, was etwa Aufführungspraxis oder auch Architektur betrifft? Wobei das trotzige Gleich-geht's-wieder-weiter-Denken bei der eine Milliarde Euro teuren Sanierung der Stuttgarter Oper schon einen ganz besonders fantasielosen Optimismus bloßlegt. Das gerade eingeweihte Berliner Humboldtforum hat übrigens "nur" 677 Millionen gekostet, aber hey, das ist ja auch keine Altbausanierung, sondern bloß ein Neubau!
Apropos Einweihung: Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden in dieser Krise der Anbau der neuen Stuttgarter Landesbibliothek eröffnet und auch die neue John-Cranko-Schule. Letztere in einer per Live-Stream übertragenen und gespenstisch-depressiven Zeremonie, der man ohne Berücksichtigung der Umstände wohl das Adjektiv "erbärmlich" verpasst hätte. An dieser Stelle ein Streaming-Tipp für Ballettinteressierte und für die John-Cranko-Schule, die sich trotz Protesten auch des Bezirksbeirats das der Öffentlichkeit versprochene Nachbargrundstück unter den Nagel respektive unter die Spitzenschuhe gerissen und inzwischen auch schon eingezäunt hat! Netflix zeigt die an einer Chicagoer Ballettschule spielende Trash-Serie "Tiny Pretty Things", in der nicht nur getanzt, sondern auch intrigiert, gemobbt, missbraucht, abgekanzelt, bulimiert und selbstkasteit wird, dass es nur so eine Art hat. Oder eventuell so zugeht, wie in den skandalgeplagten Wiener oder Berliner Ballettschulen, aber natürlich nicht in der Stuttgarter.
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