Symbiose, Lexikon-Definition: "Das Zusammenleben von Lebewesen verschiedener Art zu gegenseitigem Nutzen."
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Die Weltraummission ist beendet, jetzt geht es wieder nach Hause. Der eine der beiden Kosmonauten in der engen Orbit-4-Kapsel freut sich auf heißes Wasser, auf ein Wiedersehen mit seiner Frau, auf Theater und Konzerte. Der andere, er heißt Konstantin Weschnjakow (Pyotr Fyodorov) und ist der Kommandant, bleibt wortkarg und sagt nur, er habe "Geschäftliches" vor. Genaueres muss er auch nicht sagen, weil die Kapsel plötzlich zu rütteln und zu beben anfängt, weil da draußen irgendetwas ist und den beiden – besorgte Blicke auf die Ausstiegsluke über den Köpfen! – buchstäblich aufs Dach gestiegen ist. Nachts und irgendwo in der Steppe von Kasachstan schwebt die Kapsel nun am Fallschirm zur Erde, ein nomadischer Reiter trabt heran, er sieht einen toten Kosmonauten, dem der Helm aufgeplatzt ist und das Blut aus dem Schädel läuft. Und er sieht Konstantin, der scheinbar unbeschädigt aus der Kapsel kriecht.
So beginnt Egor Abramenkos Thriller "Sputnik", dessen Titel an den des vielleicht größten Triumphs der sowjetischen Raumfahrt andockt, an jenen erdumkreisenden Satelliten nämlich, der 1957 in den USA und mitten im Kalten Krieg einen sprichwörtlich gewordenen Schock auslöste. In dieser neuen russischen Produktion ist der Kalte Krieg noch nicht beendet: "Sputnik" spielt im Jahr 1983, in dem die Gefahr eines Atomkriegs in der Luft lag, und auch wenn die Ost-West-Konfrontation nicht explizit thematisiert wird, ist sie in kleinen Anspielungen und vor allem atmosphärisch immer präsent. Überall ernste, freudlose und angespannte Mienen! Selbst beim eisgrauen Oberst (Fedor Bondarchuk), der in einem geheimen militärischen Komplex den Kosmonauten Konstantin untersuchen lässt, ist unter markigen Worten ein Fatalismus zu ahnen, den er durch patriotische Taten zu bekämpfen sucht.
Dieser Oberst, der über Leichen gehen wird, rekrutiert die taffe Psychologin Tatyana (Oksana Akinshina), eine von ihm als geistesverwandt angesehene junge Frau, die an ihrer alten Arbeitsstätte gegen Vorschriften verstoßen hat. Sie sucht Konstantin in einer Verhörzelle auf, einem fast leeren und durch Stahl und Panzerglas gesicherten Raum. "Posttraumatische Störung", diagnostiziert sie kühl und schnell. Es gehe hier wohl darum, dem sowjetischen Volk zu verheimlichen, wie angeknackst einer seiner Nationalhelden sei. Tatsächlich fälscht der Oberst seine Berichte nach Moskau, dies aber nicht nur, weil ein Held ein Held bleiben muss, sondern auch, weil die "Störung" nicht nur eine psychische ist. Sie materialisiert sich nämlich jede Nacht, sie würgt sich als glitschiges Etwas aus dem Mund des schlafenden Konstantin, wird größer, entfaltet dünne Arme und schleimt sich mit langem Schwanz über den Boden.
Das Wesen als Weggefährte, als Waffe?
Spätestens mit diesen Szenen ist klar, dass Egor Abramenkos Film von Ridley Scotts "Alien" (1979) inspiriert ist und Tatyana, wenn sich hier Frau und knackend-knisternd-grummelndes Monster direkt gegenüberstehen, als direkte Nachfolgerin von Sigourney Weavers furchtloser Astronautin Ripley zu sehen ist. Aber "Sputnik" ist kein bloßes Plagiat. War etwa das "Alien"-Wesen ein sich im menschlichen Körper einnistender Schmarotzer, so ist jenes in "Sputnik" rätselhafter. "Parasit oder Symbiont?", fragt sich Tatyana, als sich der nächtliche Ausbrecher wieder klein macht und in Konstantin zurückzwängt. Um die Frage zu beantworten, muss man auf die Übersetzung des Wortes Sputnik hinweisen – es bedeutet Weggefährte beziehungsweise Begleiter. Man kann diesen Film "nur" als spannenden SF-Horror-Thriller sehen, in dem ein Weltall-Monster auf die Erde kommt. Auf einer symbolischen Ebene aber darf man auch fragen, ob das Monster im Menschen nicht schon immer da war.
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Kosmonaut
am 09.12.2020