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Jobabbau bei Bosch Power Tools Leinfelden

"Die blanke Gier"

Jobabbau bei Bosch Power Tools Leinfelden: "Die blanke Gier"
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Nun also Bosch in Leinfelden. Das Werk, in dem seit 70 Jahren Elektrowerkzeuge gebaut werden, soll bis Ende 2026 weg, sagt der Vorstand. Er will in Ungarn produzieren. Auch die Werkzeug-Fertigung im sächsischen Sebnitz will Bosch schließen. 500 Frauen und Männer verlieren ihre Arbeit. Dabei nagt der Konzern nicht gerade am Hungertuch.

Am 9. April informierte die Geschäftsleitung den Betriebsrat von Bosch in Leinfelden. Die Botschaft: Wir schließen das Werk bis Ende 2026, jetzt müsst ihr mit uns über einen Sozialplan für die 230 betroffenen Beschäftigten verhandeln. Am nächsten Tag ging die Nachricht raus an die Belegschaft. Ähnlich lief es im Boschwerk im sächsischen Sebnitz ab, wo rund 280 Leute Bohrhämmer bauen, auch ihre Arbeitsplätze sollen nach Ungarn.

"Bosch ist nicht mehr das Unternehmen mit sozialer Verantwortung für seine Beschäftigten", sagt Karin Solda. Sie ist Betriebsratsvorsitzende im Power Tools-Stammwerk in Leinfelden. Am vergangenen Mittwochnachmittag (21. Mai) steht sie auf der Ladefläche eines Unimog der IG Metall vor dem Werk, redet zu ihren Leuten und zu den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Boschwerken, auch Arbeiter:innen aus benachbarten Firmen sind gekommen. "Heute geht es bei Bosch nur noch um Gewinnmaximierung", ruft sie. Die Leute buhen.

Solda berichtet, wie das Unternehmen den Betriebsrat ständig unter Druck setze: "Wir sollen verhandeln, heißt es dauernd. Aber wir brauchen erst die Unterlagen." Bis die endlich gekommen seien, habe es gedauert. Nun will der Betriebsrat mit der IG Metall erst mal eruieren, auf welcher Grundlage der Beschluss für die Schließung gefallen ist. Max Czipf, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Esslingen, sagt: "Die Geschäftsführung behauptet, sie hätten alle alternativen Szenarien durchgespielt. Diese Szenarien würden mich interessieren." Und sie wollen ein alternatives Konzept entwickeln, um die Produktion in Leinfelden zu halten, haben sich dafür die Stuttgarter Unternehmensberatung IMU ins Boot geholt. Erwartet Czipf, dass die Gegenseite tatsächlich verhandlungsbereit ist? "Bereit ist sie wahrscheinlich zunächst nicht", sagt er. "Dazu müssen wir sie bringen."

Leinfelden ist einer von vier Teilorten der Stadt Leinfelden-Echterdingen, 41.000 Einwohner:innen, südlich von Stuttgart gelegen. Gerade mal 15 Kilometer sind es bis zum Herzen des Boschkonzerns, der Schillerhöhe in Gerlingen. Einst war das Unternehmen nicht nur für seine hochwertigen Produkte, sondern auch für einen respektvollen Umgang mit den Beschäftigten bekannt. Viele Demo-Teilnehmer:innen tragen bei der Kundgebung T-Shirts mit dem Konterfei Robert Boschs und der Aufschrift: "Robert komm zurück – wir brauchen dich". Begonnen hat der Unternehmensgründer Robert Bosch 1886 mit einer Werkstatt für Feinmechanik und Elektrotechnik, heute beschäftigt die Robert-Bosch-Group weltweit 417.900 Menschen, 129.600 davon – noch – in Deutschland.

Scheibchenweise Jobs gestrichen

Karin Solda wirkt etwas müde, als sie sich nach der Kundgebung im Foyer des Betriebs auf eines der hellgrauen Sofas setzt. "Das tut gut. Den ganzen Tag stehen, ist irgendwie nix mehr." Vor 40 Jahren hat die heute 58-Jährige hier in Leinfelden bei Bosch angefangen, gleich nach der Lehre bei Breuninger. "Aber ich wollte nicht in den Verkauf." Damals seien sie noch um die 1.500 Leute in der Fertigung gewesen, sagt sie. 17 Jahre arbeitete sie im Controlling, 2002 wurde sie in den heute 19-köpfigen Betriebsrat gewählt und gleich freigestellt. Sie hängt eigentlich an ihrer Firma. Eben auf dem Unimog hat sie ihre Rede emotional beendet: Sie stimmte "You'll never walk alone" an. Viele der knapp 1.000 Gekommenen haben mitgesungen.

Nicht erst die vergangenen Wochen waren anstrengend für Solda und ihre Betriebsratskolleg:innen, sondern schon die vergangenen Jahre. Denn das Boschmanagement ist seit geraumer Zeit dabei, den Standort in Leinfelden zu verkleinern. Außer im Werk, in dem die jährlich etwa 270.000 Elektrowerkzeuge produziert werden, von denen viele in deutschen Kellern liegen dürften, arbeiten hier noch etwa 1.500 im indirekten Bereich, also Entwicklung, Forschung, Verwaltung. Bereits 2017 verhandelten Betriebsrat und Gewerkschaft mit der Unternehmensleitung einen Sozialplan und Interessenausgleich zum Personalabbau. Demnach sollten bis 2023 von den 510 Produktionsarbeitsplätzen etwa die Hälfte abgebaut werden. Solda: "Das Ziel wurde bereits vor 2023 erreicht." Im Grunde sei ihr da schon klar gewesen: "Die kommen wieder."

Die Befürchtung war berechtigt. Zumal Bosch 2023 verkündete, in den nächsten Jahren bei Elektromotoren, Software und in der Lenkungssparte 3.900 Stellen in Deutschland abzubauen. 2024 war Power Tools dran: Vor allem im indirekten Bereich müssten Stellen gestrichen werden. Auch das wurde mit der Arbeitnehmervertretung ausgehandelt. Und nun also die Schließung der Produktion bis Ende 2026. Max Czipf schätzt, dass es dabei nicht bleiben wird. Scheibchenweise würde der Standort verkleinert, bis man irgendwann sagen kann, er sei zu groß und es wäre besser, alles rund um die Werkzeuge an einem Standort zu konzentrieren.

Deutsche Industrie fühlt sich wohl in Orbáns Ungarn

Und zwar offenbar in Ungarn, konkret in Miskolc, wo Bosch Power Tools seit 2001 einen Standort betreibt und heute etwa 3.800 Männer und Frauen beschäftigt. Anfang 2023 verkündete das Unternehmen, dort 182 Millionen Euro in die Erweiterung der Produktion und in ein neues Logistikzentrum zu investieren. Laut der regierungsnahen Nachrichtenseite "Ungarn heute" subventionierte Ungarn das Projekt mit 25,9 Millionen Euro. Bereits zwei Jahre später wurde eröffnet, der Außen-und Handelsminister Péter Szijjártó freute sich und hob hervor, dass "das Unternehmen heute zum größten Arbeitgeber unter den ausländischen Industrieunternehmen in Ungarn geworden ist und rund 18.300 Menschen beschäftigt".

Ungarn ist beliebt bei der deutschen Industrie. Ob Audi, BMW, Mercedes, Eberspächer, Balluff – sie alle haben dort Niederlassungen, die sie erweitern, die Produktion dorthin verlegen. Dass Ungarn laut Transparency International auch 2024 wieder als korruptestes Land innerhalb der EU gilt, scheint für die Investoren keine Bedeutung zu haben.

Im September vorigen Jahres veröffentlichte das Institut für europäische Politik eine Studie über deutsche Unternehmen in Ungarn. Beschrieben wird, wie Orbán und seine Fidesz-Leute dort – auch deutsche – Unternehmen unter Druck setzen, um sie dazu bringen, ihre Firmen an ungarische Getreue abzutreten. Betroffen waren (und sind) vor allem Energie- und Telekommunikation sowie Dienstleistungen. Industrieunternehmen werden nicht nur in Ruhe gelassen, sie werden umworben mit Subventionen, Steuerrückzahlungen und die Kontakte der Vorstände zur ungarischen Regierung sind offenbar unkompliziert, wie der ungarische oppositionelle Journalist Szabolcs Panyi vor einigen Jahren in einer umfangreichen und preisgekrönten Reportage beschrieb.

Befördert werden die deutsch-ungarischen Beziehungen auch politisch, ganz vorne dabei: die baden-württembergische CDU. Erst im März hatte Justizministerin Marion Gentges, CDU, den ungarischen Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó empfangen, angeblich, um über die Ukraine zu sprechen – was auch immer eine Landesjustizministerin damit zu tun haben mag. Am selben Tag traf der ungarische Minister auf Einladung vom einstigen Daimler-Vorstand und Russland-Fan Klaus Mangold mehrere hiesige Unternehmer. Kontext berichtete.

Die Rendite ist woanders höher

Autoritär, pressefeindlich, eine gleichgeschaltete Justiz, Verfolgung von Oppositionellen und Queeren – alles egal. Es gibt Subventionen, die Unternehmenssteuern sind niedrig, die Sozialabgaben für Arbeitgeber ebenso und der Durchschnittsverdienst liegt derzeit bei etwa 1.700 Euro brutto im Monat – Tendenz steigend, da die Inflation hoch ist und es immer weniger Fachkräfte gibt. Bosch Power Tools begründet den Umzug mit "Wettbewerbs- und Preisdruck", mangelnder Nachfrage und will die "historisch gewachsenen Fertigungsstrukturen (…) zukünftig auf weniger Standorte mit hoher Kosteneffizienz fokussieren", wird Thomas Donato, Vorsitzender des Bereichsvorstand in einer Pressemitteilung zitiert. Auf deutsch: Die Produktionsabläufe passen nicht mehr.

Dem stimmt Metaller Czipf zu: "Mit einer Fertigungshalle, in die Wasser reinläuft, die voll ist mit alten Maschinen – da gibt es natürlich keinen Produktionsfortschritt." Für ihn ist klar: Bosch hat den Standort systematisch immer unprofitabler gemacht. "Die glauben nicht mehr an Made in Germany." Andere Werkzeughersteller wie Festool dagegen schafften es, in Deutschland zu produzieren. "Aber die investieren auch hier."

Bosch macht das lieber in anderen Ländern. Trotz Investitionen und Millionen für Sozialpläne verzeichnet die Bosch Gruppe 2024 einen Umsatz von 90,5 Milliarden Euro mit einem Ebit, also Gewinn vor Steuern, von 3,5 Prozent ­– in Zahlen 3,2 Milliarden Euro. Für die folgenden Jahre "peilt Bosch im Durchschnitt ein jährliches Umsatzplus von sechs bis acht Prozent bei einer Rendite von mindestens sieben Prozent an", schreibt der Konzern. Also ab in Niedriglohnländer, oder wie Unternehmen lieber sagen "best cost countries".

Die SPD will mit Bosch reden

Für Max Czipf steht dahinter "die blanke Gier". Bei seiner Rede auf der Kundgebung in Leinfelden verweist er auf die politisch und wirtschaftlich schwierige Situation in Deutschland. "Während sich die Gesellschaft hier den Kopf zermartert, wie die Lage zu verbessern ist, fällt Bosch nichts anderes ein, als Schließung. Das ist verantwortungslos." Dem schließt sich Andreas Stoch an. Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion ermutigt die Protestierenden, sich zu wehren. "Ihr habt hier in den letzten Jahrzehnten für Rekordgewinne gesorgt", ruft er ihnen zu. Ja, die Welt werde verrückter und schwieriger. Aber wenn die Rendite mal etwas niedriger ist, sei das noch kein Grund, sich von den Beschäftigten abzuwenden.

Ihm geht es dabei auch um einen weiteren Blick auf die Industrie, die in Baden-Württemberg erhalten werden müsse. "Wenn die starken Löhne hier weg sind – wer kauft dann noch beim Bäcker?", veranschaulicht er die Situation und verspricht, sich auf Bundes- und auf Landesebene für den Standort einzusetzen. Im anschließenden Gespräch mit Kontext erklärt er, er werde gemeinsam mit seinem Genossen dem Bundestagsabgeordneten Nils Schmid aus dem Wahlkreis Nürtingen einen Brief an die Konzernleitung schreiben und sich auch an die Landesregierung wenden. "Klar, Unternehmensleitungen entscheiden. Aber Politik kann ja aufzeigen, dass diese Entscheidung möglicherweise schlecht ist." Es sei ein Unding, wenn die Politik sich um bessere Standortbedingungen für die Industrie wie niedrigere Energiekosten bemühe, die Unternehmen aber abwandern – und zwar ausgerechnet in Länder, die nicht gerade lupenreine Demokratien sind. Diese Entwicklungen seien gefährlich, sagt Stoch und ist überzeugt, dass politisch am Ende die AfD von solchen Entwicklungen profitiere.

Die Boschler:innen von Power Tools wollen jedenfalls weiterkämpfen. Am 14. Juni ist in der sächsischen Schweiz in Sebnitz Aktionstag. Er gehe davon aus, dass eine Menge los sein wird, sagt Czipf. "Da gibt es ja ansonsten kaum Jobs, die nach Tarif bezahlt werden." Die IG Metall Esslingen plane, mit einem Soli-Bus die Sebnitzer Kolleg:innen zu unterstützen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Alfred Nicklaus
    vor 17 Stunden
    Antworten
    Robert Bosch, dem Firmengründer wurde von anderen Unternehmern häufig vorgeworfen, er zahle zu hohe Löhne... und dass er das nur könne, weil er reich sei.
    Diesen Kritikern hielt er entgegen, dass er nicht hohe Löhne zahle, weil er reich sei. Es sei umgekehrt: weil er hohe Löhne zahle, sei er reich…
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