Dieses große Unbehagen! Dieses diffuse Gefühl, dass irgendetwas falsch läuft in unserem ökonomischen System! Angela Merkel hat 2008, also zur Zeit der großen Finanzkrise, eine einfache Lösung für wirtschaftliche Probleme verbreiten lassen: Man brauche sich nur die "schwäbische Hausfrau" zum Vorbild nehmen, dann liefe alles wieder rund. Ein solcher Rat, der an den angeblich gesunden Menschenverstand appelliert, dabei aber die komplexe Volkswirtschaft zu versimpelter Betriebswirtschaft reduziert, war wohl zur Beruhigung des Volkes gedacht. Damit man im großen Stil weiterwirtschaften konnte wie bisher. Und es wird ja auch weiter gewirtschaftet wie bisher. Eine sich immer schneller drehende Wachstumsmaschine gilt als Ultima Ratio, ein anderes System ist für die Betreiber des Bestehenden nicht denkbar.
Das Verblüffende dabei ist nur – und hier setzt Carmen Losmanns Dokumentation "Oeconomia" an –, dass die Systembetreiber oft selber nicht wissen, was ihr System im Innersten zusammenhält. Oder was es irgendwann zusammenbrechen lässt. Sie können zwar mit Zahlen und Fachwörtern um sich schmeißen, aber sie sind in ihrem System gefangen und können (und wollen) es nicht von außen ansehen. Wenn die Regisseurin ihnen die einfache Frage stellt, wie eigentlich Geld entsteht, friert ihnen das Gesicht ein und sie kommen ins Trudeln.
Peter Praet zum Beispiel, zur Drehzeit Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), lächelt zunächst wissend, sagt, da würde nicht mehr einfach Geld gedruckt, das geschehe jetzt alles elektronisch, äh, also: "Das werden die Leute wieder nicht verstehen." Als ihm einer seiner Mitarbeiter mit Erklärungen beistehen will ("Wir verleihen Geld ..."), korrigiert ihn Praet unwirsch. Nein, nein, das stimme doch gar nicht, das sei der klassische Ansatz, der sei überholt. Tatsächlich würde die EZB gar kein Geld verleihen, sondern Geld schaffen und ... Aber Praet verhaspelt sich, er resigniert, der Film zieht sich gnädig zurück.
Welt hinter Glas, nicht einsehbar
Immerhin ist Praet einer, der sich für diesen Film zu einem Interview bereit erklärte, wobei Losmann die Fragen vorher einreichen musste und die Gesprächsdauer von zunächst ausgemachten zwei Stunden auf eine halbe reduziert wurde. Sie habe viele Absagen bekommen, auch nach vorheriger Zusage, sagt Losmann. Viele Gespräche seien auch nur nach Zusicherung von Anonymität zustande gekommen, einige Telefonate deshalb nachgesprochen worden. In "Oeconomia" sind immer wieder Fassaden von Banken zu sehen. Riesige Foyers und Drehkreuze, die hin und wieder piepsen. Fast menschenleere Flure und Konferenzräume. Eine sauber und steril wirkende Einheits-Ästhetik. Eine Welt in gedämpftem Graublau. Eine sich mit viel Glas als transparent ausgebende Architektur des Geldes. Tatsächlich aber ein geschlossenes System, für die Öffentlichkeit nicht einsehbar.
Oder ist alles doch ganz einfach? Ein junger Basler Bankangestellter erklärt sich bereit, die Frage zur Geldentstehung zu beantworten. Die Vergabe für einen Hauskredit in Höhe von 310.000 Franken wird simuliert. Nein, das Geld müsse nicht bereitgestellt oder irgendwoher geholt werden: "Ich klicke auf Speichern, und damit ist die Geldschöpfung vollzogen", sagt der Banker. Die Bilanz der Bank sei jetzt durch die Kreditvergabe um 310.000 Franken erhöht, also Geld geschaffen worden. Unglaublich!? Aber wahr!
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Gerald Fix
am 18.10.2020…