"Für mich war er ein Komet am nachtschwarzen Berliner Himmel, eine grelle Neonreklame, die im Wind flatterte, ein Monolith, der bunte Farben erfand, um sich in Szene zu setzen, der aber eigentlich aus dem kalten, grauen Urgestein der deutschen Nachkriegsgesellschaft gemacht war. Mit all den düsteren Gedanken, dem Pessimismus, den Selbstzweifeln, die dazu gehörten. Jeder kaputte Held seiner Geschichten, der an sich selbst zugrunde ging, war ein Teil von ihm selbst."
["Enfant Terrible"-Regisseur Oskar Roehler über sein Idol Rainer Werner Fassbinder]
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Da steht er nun, im Jahr 1967, in der Tür zum Kellerraum des Münchner Action Theaters, da hat er noch alles vor sich, was er an Erfolg, Ruhm, Liebe, Eifersucht, Drogen und Skandalen in sein kurzes Leben quetschen konnte, und ist doch schon ganz und gar: Rainer Werner Fassbinder. Ein schwitziger Lederjackenlümmel mit fettigen Haaren, schiefem Mund und herunterhängendem Schnurrbartgestrüpp. Ein ruppig-schroffer Kraftbolzen, der sich eine Zigarette an der andern anzündet, den Kopf zwischen die Schultern zieht und die Welt von unten anvisiert, wach und lauernd. Und ein Tyrann, der sofort die Schwächen der anderen erkennt und sich zu deren Herrscher erklärt. "Das Stück wird von jetzt an viel langsamer gespielt!", befiehlt der Neuankömmling, der die Regie umstandslos an sich reißt. Und alle gehorchen.
So beginnt "Enfant terrible", inszeniert vom 61-jährigen Oskar Roehler, der seinen ersten Fassbinder-Film als Zwölfjähriger sah und sagt, dieser habe sich wie "ein Geschoss" in sein Herz gebohrt. Und wie setzt Roehler ("Die Unberührbare", 2000, "Quellen des Lebens", 2013), der sich im aktuellen deutschen Kino ja selber als schreckliches Kind aufführt, seine Fassbinder-Hommage um? Banal gefragt: Hat er einen Film über Fassbinder gedreht oder wollte er einen Fassbinder-Film drehen? Die Antwort: Roehler hat beides versucht. Sein komplett im Studio und in teils gemalten Kulissen inszenierter und theaterhaft farbig ausgeleuchteter Film – dieses signalhafte Rot! – erinnert in seiner Stilisierung an manche Fassbinder-Werke, vor allem an "Querelle" (1982), dessen Uraufführung der Regisseur nicht mehr erlebte. Was aber die Schauspieler angeht und vor allem den Fassbinder-Darsteller Oliver Masucci: Bei ihnen will Roehler nicht Abstand, sondern Nähe und setzt deshalb auf größtmögliche physische Ähnlichkeit.
Wie ein Täter Geschichten über seine Taten dreht
Oliver Masucci ("Er ist wieder da!", 2015) ist zwar einen Kopf größer als Fassbinder und um einiges älter als dieser damals war, aber die Maske hat ihm dessen Physiognomie verpasst und er selber sich dessen Gestik, Mimik und Manierismen angeeignet, die das Vorbild zur jederzeit wiedererkennbaren Marke machten. Dieser schleppend-bedrohliche Sprachduktus zum Beispiel, die zelebrierte Ruhe, die immer eine vor dem Sturm war, der plötzliche Ausbruch in herrisches Gebrüll, das verächtliche Lächeln oder die sadistische Freude an Demütigungen. "Wenn du Fleisch isst, schlaf' ich heute Nacht mit dir!", verspricht er vor versammelter Crew einem Schauspieler, Ex-Lover und Vegetarier, und weidet sich dann an dessen verzweifeltem Versuch. Und als Hanna Schygulla (Frida-Lovisa Hamann) ihn bei den Dreharbeiten zu seinem Kinoerstling "Liebe ist kälter als der Tod" fragt: "Warum schlägst du mich?", antwortet er herablassend: "Weil's dir offenbar zu gut geht."
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