Die koreanische Stadt Bundang: Ein Container wird geöffnet. Tote liegen drin, mit blutigen Gesichtern. Ein Mann lebt noch, er flieht. Vor der Nordseeküste: Eine Jacht mit roten Segeln pflügt unbeirrt durchs Meer, rammt und versenkt ein Fischerboot, strandet schließlich am Ufer einer Insel. Jugendliche klettern nachts an Bord und entdecken zwei schwer gezeichnete Leichen. So tauchen in Sung-su Kims Spielfilm "Pandemie" und in Christian Alvarts TV-Achtteiler "Sløborn" die neuen Viren auf. "Es könnte sich um Vogelgrippe handeln", sagt in Bundang die Expertin Kim In-hae (Soo Ae). Es sei eine "Taubengrippe", so der deutsche Krisenstab, zu dem auch der Sløborner Tierarzt Richard Kern (Wotan Wilke Möhring) gehört.
So schnell haben also die koreanische Filmindustrie und das deutsche Fernsehen auf die Corona-Krise reagiert? Nein, haben sie nicht. Und es wäre in so kurzer Zeit und unter den Bedingungen von Maskenpflicht und Abstand-Halten auch gar nicht möglich gewesen. "Pandemie" wurde schon 2013 inszeniert, kam in Deutschland allerdings nicht in die Kinos, könnte dort aber jetzt, so das Kalkül der Verleiher, seine Zuschauer finden. Auch die Serie "Sløborn" – zu sehen in der ZDF-Mediathek – ist keine Reaktion auf das Corona-Virus, sondern eine schon im Herbst 2019 auf Norderney und in der Danziger Bucht gedrehte Vorausahnung. Man könnte in beiden Fällen sagen: Es lag buchstäblich etwas in der Luft.
Klopapier spielt keine Rolle
Wenn man sich "Pandemie" oder "Sløborn" aber jetzt ansieht, dann nicht mehr als Vorschau, sondern als eine Art Parallelgeschichte. Die Fiktion wirkt nun, banal gesagt, weniger fiktiv, sie führt auch immer wieder zum Vergleich mit unserem realen Hier und Jetzt. Ach ja, die Teststäbchen! Klar, der Mundschutz! Oder das Wort "Tröpfcheninfektion", verbunden mit dem mulmigen Gefühl, wenn jemand in aller Öffentlichkeit Nase und Rachen durchputzt! In beiden Filmen kommt es zu Nies- und Hustenorgien, fliegen Speichelsegmente in Zeitlupe durch die Luft. In beiden Filmen kommt es auch zu Tumult im Supermarkt und zu Hamsterkäufen. Was die Fiktion dabei noch von unserer Realität unterscheidet: Klopapier spielt keine Rolle.
Bevor jedoch die Panik ausbricht, werden erst mal die Protagonisten vorgestellt. Der Zuschauer muss schließlich emotional an die Menschen auf der Leinwand andocken können. "Pandemie" ist dabei ziemlich übersichtlich: Die große und mit aufwendigen Massenszenen gedrehte Geschichte schrumpft immer wieder zurück auf wenige kleinere und vor allem auf den Versuch des verliebten Rettungshelfers Kang Ji-Koo (Hyuk Jang), im ausbrechenden Chaos die Virologin Kim und deren niedliche kleine Tochter zu beschützen. Auch wenn die Bilder sich in Richtung Apokalypse wenden, auch wenn am Ende Berge von Toten zu beklagen sind, wird doch die Frage, ob Kang seine Kim kriegt, nie aus den Augen verloren. Ein Genre-Film eben, solide, routiniert und in großen Teilen vorhersehbar.
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Gerald Fix
am 09.08.2020