Was ist denn da passiert? Das rechtsradikale US-Internet-Medium Breitbart verteidigt den der amerikanischen Linken zugerechneten Michael Moore gegen Angriffe von Umweltschützern! Das kam so: Michael Moore hat einen Film seines Freundes Jeff Gibbs mitproduziert, der am 21. April für alle zugänglich ins Netz gestellt wurde. "Planet of the Humans" heißt dieser Film, zu dessen Originalfassung englische oder französische Untertitel angeboten werden. Schon in den ersten zehn Tagen wurde er fünf Millionen Mal angeklickt und hat große Verwunderung, großen Ärger und große Wut vor allem in der linken und ökologischen Szene in den USA ausgelöst, also bei jenen Menschen, die Bernie Sanders als Präsidenten gewählt hätten. Nein, der Film leugnet nicht den umweltschädlichen Effekt einer auf fossile Energie ausgerichteten Wirtschaft. Aber er behauptet, dass die sogenannten erneuerbaren Energien genauso schädlich sind – oder sogar noch schädlicher.
Der vom Film als Experte vorgestellte Ozzie Zehner etwa, mit dem der Regisseur Windfarmen und Sonnenkraftwerke aufsucht, verweist darauf, dass die fossile Energie für deren Produktion und Betrieb größer sei als deren Nutzen, und er fasst es so zusammen: "Man wäre besser dran gewesen, wenn man einfach den fossilen Treibstoff verbrannt hätte." Zehner ist übrigens ein Kumpel von Jeff Gibbs und Produzent des Films. Bevor Gibbs sich nun aber aufmacht, alle erneuerbaren Energien als grünen Schwindel aufzudecken, stellt er sich selber kurz vor. Er habe schon als Kind Sand in den Tank eines Bulldozers gefüllt, der einen Wald plattwalzen wollte, er sei außerdem – man sieht ein Beweisfoto – ein "tree-hugger" gewesen, also ein Mann, der Bäume umarmt, und dazu einer, der ein Holzhaus gebaut hat und "mit der Natur kommuniziert". Man darf also vermuten: So einer ist wahrscheinlich schnell und fundamental enttäuscht, wenn sich für ihn die reine Umweltlehre eintrübt.
Al Gore, die Koch-Brüder, Elon Musk – alle gleich böse
Und eingetrübt wird sie in diesem Film schon dann, wenn Gibbs bei einer angeblich mit erneuerbaren Energien betriebenen Umweltveranstaltung entdeckt, dass die Musiker bei Regen einen Dieselgenerator anwerfen. Oder wenn der natürliche Elefantendünger, anders als behauptet, nicht ausreicht, um einen Privatzoo mit alternativer Energie zu betreiben. Verrat, wohin Gibbs auch schaut! "Ich bekomme das Gefühl, dass grüne Energie uns nicht retten kann", sagt er im räsonierenden Voice-over-Modus und stellt die Frage: "Wollen wir nicht genau hinsehen, weil wir die Antwort fürchten?" Das Dumme ist nur: Gibbs schaut selber nicht genau hin. Er stopft seine Suada gegen die Ökologiebewegung voll mit meist undatierten Dokuschnipseln, Interviewfetzen oder hastig eingeblendeten Statistiken; er stellt das Kleine und das Große unterschiedslos nebeneinander, so dass die Abholzung des Regenwaldes auf einer Stufe steht mit der ungenügenden Nutzung von Elefantenkacke; und es gibt für ihn auch, wenn er die Koch-Brüder, Richard Branson, Mike Bloomberg, Elon Musk, Al Gore oder Bill McKibben anklagt, keine Abstufungen bei deren Bösartigkeitsgraden.
Der Letztgenannte, ein in den USA berühmter Umweltaktivist, hat sich im "Rolling Stone" verteidigt und eine Kritik zu "Planet of the Humans" geschrieben. "Die Attacken des Films gegen die erneuerbaren Energien", schreibt McKibben, "sind antik, sie sind ein Jahrzehnt alt, als ein Solarpanel zehnmal soviel kostete wie heute." Auch die Autorin Naomi Klein ("Die Schock-Strategie") hat den Film vehement kritisiert, genauso wie Josh Fox, Regisseur des Anti-Fracking-Films "Gasland", der in der Zeitschrift "The Nation" einen detaillierten Artikel über Fehler und Schwächen von "Planet of the Humans" geschrieben hat. Fox fordert von Gibbs und auch von Moore, der mal eines seiner Vorbilder war, dass der Film zurückgezogen wird. Das wiederum geht der US-Sektion des PEN-Clubs zu weit: "Aufrufe, einen Film zurückzuziehen, weil man mit dessen Inhalt nicht einverstanden ist, sind Aufrufe zur Zensur." Man könne natürlich gegen diesen Film Stellung beziehen, so der PEN-Club, aber die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, "Moores Film zu sehen und ihre eigenen Schlüsse zu ziehen."
Man muss wohl erneut darauf hinweisen, dass Moore für "Planet of the Humans" zwar als Produzent einsteht, dies aber kein Michael-Moore-Film ist. Er selber hat in seinen filmischen Attacken gegen die Waffenlobby ("Bowling for Columbine"), das US-Gesundheitswesen ("Sicko") oder die Umtriebe der Banken ("Kapitalismus, eine Liebesgeschichte") zwar auch Kontroversen ausgelöst, was die Wahl seiner Methoden angeht. Aber Moore war eben nie ein lupenreiner Dokumentarist, sondern immer auch: Schauspieler, Satiriker, Polemiker, Entertainer, Agent provocateur, Agitprop-Aktionist, Pädagoge, Propagandist und Performancekünstler. Gibbs dagegen ist ernst, sehr ernst. Was zum einen heißt: "Planet of the Humans" ist manchmal dröge. Vor allem aber bedeutet es, dass man bei Gibbs tatsächlich die Maßstäbe eines Dokumentarfilms anlegen muss. Banal gesagt: Es muss im Wesentlichen stimmen, was er behauptet. Und das tut es leider nicht.
Manipulation im Film
Dass es Probleme mit der Stabilität der erneuerbaren Energien gibt, mit der Herstellung von Batterien, mit dem Abbau von Rohstoffen, das ist sicher richtig. Beziehungsweise: Es war wohl richtig, aber Gibbs Argumente geben nicht den aktuellen Stand der Dinge wieder. Richtig ist sicher auch, dass Big Business versucht, die grüne Bewegung zu kapern. Und natürlich treffen auch einige persönliche Attacken ins Schwarze. Aber ob nun Al Gore wirklich zum Verräter der guten Sache wurde, ist weit weniger eindeutig als dies von Gibbs konstatiert wird. Siehe etwa Chris Lang, der sich in einem Artikel mit den Vorwürfen des Films und vor allem mit denen gegen Al Gore penibel auseinandersetzt und zum Schluss kommt: Es ist kompliziert. Ein eindeutiges Beispiel der Manipulation im Film hat der Autor dieser Zeilen übrigens selber entdeckt: Gibbs behauptet, Deutschland habe einen Terminal für US-Fracking-Gas gebaut und zeigt dazu das Bild eines Tankers am Kai. Über einen solchen Terminal wird zwar diskutiert, aber es gibt ihn noch nicht. Das Tanker-Bild, so liest man beim Nachrecherchieren im "Guardian", wurde in der Türkei aufgenommen.
Die Menschheit verbrauche pro Kopf mehr als hundert Mal so viel wie vor zweihundert Jahren, sagt Gibbs. Die Welt sei also am Ende, auch die grüne Bewegung könne sie nicht retten, so der Regisseur, der sich in kurzen Hosen und mit Baseballkappe an ein Flussufer hockt und spricht: "Das ist die schrecklichste Erkenntnis, die ich jemals hatte." Und dann lässt er sich von einem Psychologen bestätigen, dass im Menschen eine Art Todessehnsucht stecke und beschreibt schließlich das Hauptproblem der Erde: die Überbevölkerung. Aber das ist Gibbs dann selber ein zu gefährliches Terrain, schnell verlässt er es wieder und fokussiert endlich auf ein Problem, mit dem sich die grüne Bewegung auseinandersetzen muss – und das inzwischen ja auch tut. Aus Biomasse gewonnene und als erneuerbar firmierende Energie sei extrem umweltschädlich, sagt Gibbs. Und zeigt dann, wie Wälder vernichtet werden, wie aus Verbrennung von Holz Strom gewonnen wird, wie sich Monokulturen ausbreiten, wie indigene Völker vertrieben werden. In der Biomasse-Frage gibt ihm sogar Bill McKibben recht, der sich schon lange von einem Befürworter dieser Energiegewinnung zu einem Gegner gewandelt hat.
Dass Deutschland in Sachen Umwelt als Vorbild taugt, wird von "Planet of the Humans" übrigens schwer angezweifelt. Der hohe Anteil der erneuerbaren Energien bei unserer Stromerzeugung käme nämlich, man hat es geahnt, vor allem durch Biomasse zustande. Stimmt das? Mal nachschauen. Auf der Seite des Umweltbundesamts steht tatsächlich: "Die Bioenergie stellt derzeit den mengenmäßig größten Anteil unter den erneuerbaren Energien in Deutschland zur Verfügung." Das Umweltbundesamt weiter: "Somit stellt sich die Frage, ob die Energiewende ohne einen Ausbau der Bioenergie auf Basis von Anbaubiomasse möglich ist." Nun, dieser Frage sollte nachgegangen werden. Denn dass Energiegewinnung aus Biomasse böse Folgen hat, das immerhin kann "Planet of the Humans" überzeugend darstellen. Wobei für den Pessimisten Gibbs eh alles zu spät ist. Am Ende seines Films ist elegisch-wehklagende Musik zu hören, die Bäume sind kahl und morsch geworden, der Dreck reicht bis zum Horizont. Und leise verröchelt ein Orang Utan.
"Planet of the Humans" ist hier in voller Länge zu sehen:
2 Kommentare verfügbar
Konrad
am 13.05.2020https://www.energy-charts.de/energy_pie_de.htm
Die Angaben des UBA beziehen sich vermutlich auf den gesamten Energieverbrauch, da hat Biomasse u.a. aufgrund der…