Waren wir blöde, waren wir blind, waren wir, indem wir uns einem Perspektivwechsel verweigerten, selber Rassisten? Und wie ist es zu erklären, dass sogar noch heute, nämlich am 14. Januar 2020, ein Rezensent der "Neuen Zürcher Zeitung" anlässlich der Neuübersetzung des Romans über die Autorin schreibt: "Obwohl sie mit schwarzen Identifikationsfiguren wie Mammy oder Uncle Peter zur Verniedlichung neigt, wird man ihrem Roman generell Rassismus nicht vorwerfen können." Dieser Rezensent, der den Roman überschwänglich lobt und zur Weltliteratur zählt, bemängelt bei der Neuübersetzung nur, dass der Text "geglättet" wurde und Wörter wie "Neger" oder "Nigger" bloß noch in direkter Rede vorkommen. In Mitchells Originaltext hätte er Bezeichnungen wie "schwarze Affen" gefunden, da wird auch der lüsterne Schwarze, der Scarlett angreift, als "gedrungener schwarzer Neger mit Schultern und Brust wie die eines Gorillas" beschrieben, und selbst die "gute", weil Scarlett und Co. liebende Haushälterin Mammy blickt auf die zerstörten Felder "mit der nichtverstehenden Traurigkeit eines Affengesichts".
Mitchell habe ihre wichtigsten schwarzen Charaktere, so 1999 die Zeitschrift "The Atlantic" zur Adaption des Romans für den Film, als "zufrieden mit der Sklaverei" und "nicht an Freiheit interessiert" beschrieben. "Sie schienen oft eher Haustiere als Menschen zu sein." Der Film mag die Vorlage an der Oberfläche abmildern, grundsätzlich aber übernimmt er deren Sichtweise. Auch er zeigt Mammy nach dem Bürgerkrieg weiter als grenzenlos loyal gegenüber ihrer weißen Herrschaft, und in der oben beschriebenen "Rächer"-Sequenz ist sie sogar Helferin und somit Mittäterin einer mörderischen Südstaaten-Clique. "Vom Winde verweht" schenkte dem Herrenmensch-Süden gewissermaßen "seine" Geschichte zurück. Buch und Film waren so etwas wie der Versuch, die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden zu überbrücken – auf Kosten der Schwarzen.
Griffiths Bild vom "treuen Neger"
Ähnlichen Brückenbau betrieb schon vorher ein ebenfalls extrem erfolgreiches und wie "Vom Winde verweht" das Bild vom amerikanischen Süden prägendes Epos. Es trägt die Utopie von der Bildung einer neuen Einheit schon im Titel: "Die Geburt einer Nation – The Birth of a Nation". Der im Jahre 1915 von D.W. Griffith gedrehte Film beginnt mit dem Besuch von Nordstaatlern auf einer Plantage in South-Carolina. Wieder werden zufriedene Sklaven gezeigt, die nach des Tages Arbeit ausgelassen für die Gäste tanzen. Dann zerbricht die Freundschaft zwischen der Nord- und der Südstaatenfamilie durch den Bürgerkrieg. Nach der Kapitulation wird der Süden vom Norden unterdrückt, die Schwarzen übernehmen teilweise die Macht und missbrauchen sie, der Ku Klux Klan wird gegründet und "wehrt" sich, es kommt zum Kampf gegen Schwarze und Mulatten, bei dem sich Nord- und Südstaatler versöhnen. Die vergifteten Bilder des Films rechtfertigen nicht nur die Rassentrennung, sie führten nach Meinung von Historikern auch zum Wiedererstarken des Ku Klux Klan und zu Lynchmorden.
"The Birth of a Nation" gilt in der Filmhistorie als innovatives Meisterwerk, die rassistische Ideologie wird oft unterschlagen oder als nebensächlich abgetan. Wobei man, so wie die Schwarzen beschrieben werden, eigentlich gar nicht daneben schauen kann: Sie sind minderwertig, intrigant, anmaßend, mörderisch, triebhaft, geil, doof, naiv, verschlagen oder versoffen. In seinem Denunziationswillen reicht Griffiths Machwerk an antisemitische Nazi-Propagandafilme heran. Auch von Zeitgenossen des Regisseurs wurde "The Birth of a Nation" kritisiert, der "New York Globe" etwa attackierte ihn unter dem Titel "Den Rassenhass zu Geld machen". Griffith aber bestand darauf, alles objektiv wiedergegeben zu haben, und zeigte in seiner "Widerlegung" des Rassismusvorwurfs, wie ihm das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß am liebsten gewesen wäre. Sein Film widme "jenen treuen Negern besondere Aufmerksamkeit, die bei ihren früheren Herren geblieben sind und bereit waren, zum Schutz ihrer weißen Freunde ihr Leben zu lassen".
Antworten schwarzer RegisseurInnen
Als der schwarze Regisseur Spike Lee ("Malcolm X") an der New Yorker Filmhochschule studierte, wurde dort noch immer "The Birth of a Nation" vorgeführt, ohne dass auf dessen rassistische Botschaft eingegangen wurde. Der empörte Lee drehte als Reaktion darauf den Kurzfilm "The Answer" (1980), der wiederum seine Professoren so empörte, dass Lee beinahe von der Hochschule flog. Im Jahr 2018 startete dann Lees Spielfilm "BlacKkKlansman" in den Kinos, in dem der Regisseur den wahren Fall eines schwarzen Polizisten erzählt, der in den 1970er-Jahren den Ku Klux Klan infiltrieren konnte. Spike Lee spielt dabei direkt auf "The Birth of a Nation" und "Vom Winde verweht" an, beide Filme sind für ihn keine erledigten Fälle, sondern immer noch wirkmächtig. Der Kritiker Travis Bean schreibt dann auch am 10. Juni 2020 (in "Forbes"), also unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse, dass man Filme wie "BlacKkKlansman" immer brauchen werde, um solche wie "The Birth of a Nation" oder "Vom Winde verweht" zu bekämpfen: "Diese Filme sind immer noch Leuchtfeuer der Hoffnung für Rassisten von heute."
4 Kommentare verfügbar
Harald Artur Irmer
am 20.06.2020Sind wir auf dem Weg ein Wahrheitsministerium wie in "1984" zu gründen? Spannend wäre sicher "Mein Kampf" ohne die judenfeindlichen Passagen herauszugeben? Bzw. Luther, Wagner? Trump auf Twitter gefiltert um die Hetze??? (Erinnere mich an…