Da sitzt also Thomas Walter, seit 1995 auf der Flucht, in einem kleinen Farmgebäude in den Anden, schaut sich am Laptop deutsche TV-Berichte über seinen Fall an, die ihm der Regisseur dieser Doku mitgebracht hat, und regt sich ein bisschen auf: "Dieses Geschwätz, das ist doch peinlich!" So viel Aufwand über so lange Zeit hätten die Sondereinsatzkommandos betrieben, aber die fischten ja immer noch "im Trüben", das sei doch "eine Verschwendung von Steuergeldern". Dieser robust wirkende Mann um die sechzig, der T-Shirts mit politischen Slogans wie "Ferries – not Frontex" trägt, meint das nicht ironisch. Es ist eher so etwas wie die professionelle Kritik eines Untergetauchten, dessen Leben jahrzehntelang vom Spurenverwischen und Sich-Verstecken geprägt wurde. Im Jahr 2017 aber ist der aus Sinzheim stammende Walter aufgetaucht, hat in Venezuela Asyl beantragt und auch wieder Kontakt zu seiner Familie aufgenommen.
Zum weiteren Familienkreis von Walter gehört auch der Regisseur Sobo Swobodnik ("aufgewachsen im Katholischen und der dörflichen Enge des Schwabenlands"), der den Onkel seiner Tochter für den Film "Gegen den Strom" in der venezolanischen Provinz aufsucht. Er spricht mit diesem besonderen Aussteiger, vor allem aber: er hört ihm zu. Zusammen mit zwei Freunden hat Walter vor fünfundzwanzig Jahren versucht, ein sich im Umbau befindliches Berliner Abschiebegefängnis für Kurden zu sprengen. Die drei wurden noch vor der Tat entdeckt, hätten zunächst überlegt, ob sie sich stellen sollten, und sich dann doch dazu entschlossen, die Sache auszusitzen. Wobei das Wort "aussitzen" natürlich nicht ganz passt für ein unstetes Leben auf der Flucht, immer in Gefahr, entdeckt und ausgeliefert zu werden.
Nach zwanzig Jahren, so hätten sie früher gedacht, sei alles verjährt, sagt Walter, und er sei nun mal "ein bisschen beweglich veranlagt". Aber durch einen juristischen Kniff hat die Bundesanwaltschaft die Frist ausgesetzt, durch "eine Besonderheit des Strafrechts", wie die taz dies am 3.12.2017 genauer ausführt in einem Artikel, der sich auch mit dem Leben der anderen beiden Gesuchten beschäftigt. Die sind ebenfalls in Venezuela gestrandet, bleiben im Film aber eher am Rande. Nicht dass sich die drei zerstritten hätten, nein, man sieht sie mal bei einem Treffen in den Bergen, sie erinnern sich gemeinsam, sie bereuen nichts, sie gehen freundschaftlich miteinander um. Die politischen Ziele seien geblieben, auch die Ablehnung von Starrheit und Dogmatismus: "Wir alle drei sind keine Kader-Fuzzis". Aber sie sagen auch, dass es Differenzen gebe, dass ihr Verhältnis zueinander nicht mehr so eng sei, wie es mal war. Was jedoch bleibe, so Walter, sei "eine Respektebene".
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Thomas Sauer
am 09.07.2020