Alexandra Mahnke bietet dazu das adäquate Bild des Soldaten: Mit weiß geschminktem Gesicht, ungelenk ein Bein nachziehend, strammstehend, verzückt an einer Violinen-Attrappe die Kurbel drehend, erinnert sie an eine Stummfilmfigur. Auch Miriam Markl macht ihre Sache als Handlangerin und später Prinzessin gut. Einzig Robert Rožić, der als Erzähler den gereimten Text der deutschen Übersetzung vorträgt und zugleich den Teufel darstellt, übertreibt. Mit Einwürfen wie "Wow, wow, wow, so viel Emotionen!", Schweizer Dialekt, französischem Akzent und viel Rumgehampel versucht er krampfhaft, zeitgemäß und witzig zu sein, und wirkt doch zumeist nur albern.
Aber das kann dem schönen Abend kaum Abbruch tun, ebenso wenig wie die unvermeidlichen Geräusche von außen, etwa wenn einmal längere Zeit die Kirchenglocken läuten. Während die Sonne langsam tiefer sinkt, verzaubern die Klänge der Musik, und der finale Tanz des Soldaten und der Prinzessin verdichtet sich zu einem außergewöhnlichen Sommererlebnis, dessen Ausgang der Deutung jedes Einzelnen überlassen bleibt und das auf dem Heimweg noch viel Stoff zum Nachdenken bietet.
Was stört ist allenfalls der Zaun. Vielleicht geht es wegen der Abstandsregeln und Platzbeschränkungen nicht anders, aber für die Künstler draußen muss die Aufführung wie ein sperriger Eindringling erscheinen, während die Besucher drinnen von dem Künstlerdorf nichts mitbekommen. Oder liegt es an den Tickets? Kann die Oper, bei einem Etat von mehr als 50 Millionen Euro, nicht auch einmal auf maximal 600 Euro pro Vorstellung verzichten?
Eskapismus am Hafen
Keinen Zaun braucht es am Hafen, wo die Staatsoper "Die Blume von Hawaii" inszeniert, eine 1931 uraufgeführte Operette, man könnte auch Musical sagen, des damals äußerst erfolgreichen Komponisten Paul Abraham. Es gibt eine Art Pforte, und von selbst kommt hier ohnehin niemand vorbei. Hafen klingt nach Exotik, Aufbruch, Abenteuer, eben den Themen, die in "Die Blume von Hawaii" angesprochen sind. Der Stuttgarter Hafen wäre dagegen mit dem Wort Binnenschifffahrtsverladestelle treffender charakterisiert. Lange Kolonnen von Lkw parken an den Rändern der Straßen, die prosaische Namen wie "Am Ostkai" oder "Am Mittelkai" tragen.
"Ein Paradies am Meeresstrand/ wär‘ das mein Heimatland": So beginnt die Operette nach einer jazzigen Einführung der sechsköpfigen Band auf einem Schlepper, der links senkrecht an die Kaimauer angedockt hat, während die fünf Darsteller*innen auf einer Bühneninsel stehen, singen, tanzen, sich räkeln. Eigentlich ist die Umgebung alles andere als paradiesisch: der Neckar zum Kanal degradiert, gegenüber die riesigen Kästen von Rhenus Logistics und auch sonst nichts als Beton, Stein und Asphalt. Doch was braucht es mehr als ein paar bunte Hemden und aufblasbare Requisiten, die muntere Musik des Ensembles und die richtige Beleuchtung, um der Fantasie auf die Sprünge zu helfen.
"Die Blume von Hawaii" ist Eskapismus pur. Der Hauptfigur, der hawaiianischen Prinzessin Laya, kommt Fiorella Hincapié am nächsten. Doch es ist eigentlich gar nicht die Operette von Paul Abraham, die hier zur Aufführung gelangt, sondern eher eine Nummernrevue: Einige der bekanntesten Lieder aus dem Singspiel sind verbunden durch allerhand Amüsantes aus der Kulturgeschichte, meistens zum Thema Hawaii.
Dabei kommt die Entstehung des Hawaii-Toasts ebenso zur Sprache wie der Ursprung des Hawaii-Hemds, und auch die Hawaii-Gitarre darf natürlich nicht fehlen. Einmal lutschen alle fünf ein Capri-Eis, und es ist auf einmal völlig egal, dass der Hawaii-Toast erst aus der Nachkriegszeit stammt. Stand es nicht im Programmheft, die Operette sei "witziger, schneller, anzüglicher, sicher auch oberflächlicher" gewesen als ihre große Schwester, die Oper, "bevor sie in der Bundesrepublik zu einem Heile-Welt-Kitsch aus der guten alten Zeit verklärt wurde"?
Nach dem Kuss wird sofort desinfiziert
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