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Theater Tri-Bühne

Spiel mit Hoffnung, Weisheit, Glück

Theater Tri-Bühne: Spiel mit Hoffnung, Weisheit, Glück
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 Fotos: Jens Volle 

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Als im März alle Bühnen schließen mussten, entschied Edith Koerber, die Zeit zu nutzen, um mit ihrem Ensemble neue Stücke zu schreiben. Denn Theater heißt für die Intendantin der Tri-Bühne immer auch vorausdenken: wie die Welt sein könnte und sollte.

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"Niemand will doch die Kacke in seinem eigenen Haus haben. Wozu pumpen wir Tonnen von CO2 in die Luft?" Franziska Sophie Schneider gibt eine kleine Privatvorführung: ihr Auftritt im Stück "Esperanza, Felicia und Sophia". "Dreißig gottverdammte Jahre Plastik im Meer!", schreit sie. "Zukunft? Die Uhr tickt. Warum Öl? Warum den eigenen Lebensraum unbewohnbar machen?"

Esperanza heißt Hoffnung. Der Titel ist spanisch, weil es in einem ersten Stück unter diesem Titel um Mexiko ging. Oder um Heckler und Koch, das lässt sich kaum trennen, denn der Hersteller aus Oberndorf hat die Waffen produziert und exportiert, mit denen 2014 in Mexiko 43 Studierende ermordet wurden. Im Februar 2019 hat das Stuttgarter Landgericht das Urteil gegen fünf Angeklagte gesprochen. Sie kamen mit Bewährungsstrafen davon.

Edith Koerber hat das Stück geschrieben und inszeniert und spielte auch selbst mit. Seit 45 Jahren leitet Koerber das Theater Tri-Bühne, das sie 1975 mit ihrem damaligen Mann Michael Koerber gegründet hat. "Theater ist immer politisch", das ist ihre Überzeugung. "Claus Peymann hat einmal gesagt: Theater ist bezahlte Opposition." "Esperanza" ist ein politisches Stück, ein Stück, das einen aktuellen Skandal aufgreift. Aber es ist auch eine Allegorie. Esperanza heißt auch die Hauptfigur und eine zweite: Sophia, Weisheit. Koerber will nicht nur skandalisieren, aufrütteln, sie ist auf der Suche nach einem philosophischen Standpunkt. Es geht ihr, über den konkreten Fall hinaus, auch um die Frage: "Wie kann man in so einer Welt noch Hoffnung haben?" Dass es um mehr als die Waffen aus Oberndorf geht, wird in der Schlussszene klar, als die Fridays for Future die Bühne betreten.

Am 8. März, dem Sonntag bevor alle Kultureinrichtungen schließen mussten, kam für Edith Koerber einiges zusammen. Vormittags brachten die Gewerkschafterinnen Kuchen vorbei, für die sie an diesem Tag das Stück aufführten. Es gab noch eine zweite Aufführung. Und zwischendurch ging Koerber auf die Demo zum Internationalen Frauentag. Noch drei Mal kam "Esperanza" in den folgenden Tagen auf die Bühne, dann war erst mal Schluss. Die Premiere des Einpersonenstücks "Jacke wie Hose" musste auf den Herbst verschoben werden.

Esperanza II statt Trailer x

"Anfangs haben wir wie alle anderen kleine Kurzvideos ins Netz gestellt", erzählt die Intendantin. "Doch wir haben sehr schnell gemerkt: Das ist nicht Theater." Es handelt sich eher um Trailer, die neugierig machen, schön vor allem wenn Musik ins Spiel kommt, etwa Magda Agudelo Harfe spielt oder die Frauen im Hamam singen. "In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich", heißt das Stück der algerischen Autorin Rayhana, das die verborgene Seite der islamischen Welt ans Licht holt. Die irakisch-kurdische Schauspielerin Fermesk Mustafa Abdolrahman hat das Lied mitgebracht und spielt auch die Hauptrolle.

Aber ein Video kann das Theatererlebnis nicht ersetzen. Deshalb haben Koerber und ihr Ensemble überlegt, was sie tun können, bis Auftritte wieder möglich sind. "Wir haben angefangen zu schreiben." Die Pause bot Gelegenheit, nachzudenken über den Lauf der Welt und wie das Theater darauf reagieren kann. Schließlich wird es eines Tages wieder öffnen. Darauf kann man sich vorbereiten. Alle haben mitgeschrieben, sagt Koerber: "Bei uns gibt’s nur denkende Schauspieler. Sie sind in die Themen eingearbeitet." Wie Franziska Sophie Schneider, im Theater nur Franzi genannt, die ihren Monolog selbst verfasst hat.

Schneider ist das jüngste feste Mitglied des Ensembles. Sie hat sich vor einem Jahr selbst initiativ beworben. Sie hat schon immer gern Theater gespielt und nach der Schule und einem Jahr auf Sizilien ein Schauspielstudium absolviert. Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis es in einem Stück über Leonardo da Vinci eine passende Rolle für sie gab. Und jetzt kann sie in "Esperanza, Felicia und Sophia" ihre Themen einbringen: den Klimawandel; was es bedeutet, in einer Welt ohne Zukunft zu leben. Aber es gibt nun noch eine dritte Figur: Felicia, das Glück im Sinne von glücklich sein.

Franzi ist auch Young Schelling

Der 8. März war der letzte Tag, an dem ganz viel passiert ist. Aus diesen Erlebnissen sind auch die Ideen für die neuen Stücke entstanden: eben die neue, erweiterte Fassung zu "Esperanza". Dazu ein Stück unter dem Titel "Tag der Frauen". Und "Hölderlin Hegel Schelling – Eine philosophantastische Reise durch Raum und Zeit" von Tri-Bühne-Dramaturg Gerhard D. Wulf. Die Szenerie: eine Philosophen-WG im Tübinger Stift anlässlich des 250. Geburtstags von Hegel und Hölderlin. Der Dritte im Bunde ist der fünf Jahre jüngere Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. "Franzi ist auch Young Schelling", sagt Koerber.

"Schelling war ein richtiges Käpsele", erklärt die Intendantin: ein Überflieger. "Er hat sich Gedanken gemacht über die Menschen und über die Welt, war aber auch anfällig für radikale Tendenzen." Bei der Entwicklung der Rolle haben sich Koerber und Schneider ein wenig an Ken Jebsen orientiert. Schelling ist keine ganz unproblematische Figur. Sie wollen aber auch gar nicht die Geistesgrößen abfeiern, eher fragen sie danach: "Wo stünde Young Schelling heute?" Der Philosoph Michael Weingarten hat sie beraten.

"Hölderlin Hegel Schelling" hat als erstes in der Corona-Krise neu entwickeltes Stück am 15. Juli im Rosengarten des Hospitalhofs Premiere. Koerber hat sich früh auf die Suche nach Auftrittsorten begeben. Die Freilichtbühne im Killesbergpark hätte sie interessiert, aber die befindet sich in der Hand eines kommerziellen Betreibers, das wäre zu teuer gewesen. Der Hospitalhof zeigte Entgegenkommen. Die Tri-Bühne macht unter der Woche Programm im Hof, am Wochenende ist das Renitenztheater im Saal an der Reihe.

Das Fräulein hat nicht nachgedacht

Doch vorher, am 26. Juni um 15 Uhr, gibt es im Biergarten des Cannstatter Kursaals die angepasste Version eines Stücks, das in der Tri-Bühne bereits im vergangenen November Premiere hatte. Geradezu ideal passt in diesem Fall das Ambiente. Denn schon in der ursprünglichen Version hatte sich der Saal der Tri-Bühne in einen Biergarten verwandelt. "Das Fräulein Pollinger" von Traugott Krischke nach Ödön von Horvath will ein "Volksstück" sein. Zwar basiert das Stück auf einer Romanvorlage. Aber Horvath versuchte auch, das Volkstheater wiederzubeleben. Sein bekanntestes Stück heißt "Geschichten aus dem Wienerwald".

Nun ist der Biergarten real, die Schauspieler bedienen auch die Gäste. "Das Fräulein Pollinger, bitte!" wird gleich zu Beginn die Hauptfigur aufgerufen – während die Darstellerin Natascha Kuch den Theaterbesuchern vielleicht gerade ein Bier auf den Tisch stellt. "Fräulein Pollinger" will volkstümlich sein, aber es ist keine leichte Komödie. Das Stück zeigt, wie eine junge Frau, die von der Liebe träumt, getrieben von wirtschaftlicher Not in die Prostitution rutscht. "Sie nahm das Geld, als hätte sie nie darüber nachgedacht, dass man das nicht tun darf", zitiert Koerber aus dem Stegreif, "Sie hätte wohl darüber nachgedacht. Doch hätte sie es einsehen müssen, dass die Welt, wenn man auch noch so viel nachdenkt, doch nur nach kaufmännischen Gesetzen regiert wird."

Der Zuschauer ist mittendrin im Geschehen, er kann sich nicht distanzieren. Er soll begreifen, dass er nicht außerhalb steht, sondern selbst teilhat. Dies war schon für Horvath der Grund, sich dem Volksstück zuzuwenden: Er wollte die Not sichtbar machen, in die das einfache Volk durch die Weltwirtschaftskrise 1929 geraten war. "Ich liebe Horvath", gesteht Koerber. Und auch der Kursaal freut sich, denn das Stück bringt Gäste ins Haus. Die Blasmusik, die sonst die Besucher unterhält, kann momentan nicht stattfinden.

Nachdenken übers Finanzielle, über Grenzen hinweg

Inwieweit auch die Welt der Tri-Bühne von kaufmännischen Gesetzen regiert wird, darüber möchte Koerber am liebsten gar nicht so viel reden. Das Theater erhält eine institutionelle Förderung seitens der Stadt Stuttgart. 860.625 Euro waren es bis zum vergangenen Jahr, eine kleine Erhöhung hat es im neuen Doppelhaushalt geben. Allerdings fließen 140.000 Euro als Miete gleich wieder an die Stadt zurück. 14,5 feste Stellen müssen von diesem Etat bezahlt werden. Die Tri-bühne hat keine Soforthilfe beantragen müssen und nur für eine Stelle Kurzarbeit. Für die freien Künstler, die von Fall zu Fall das Ensemble bereichern, gibt es freilich seit Monaten nichts zu tun und damit auch keine Verdienstmöglichkeiten. Und die Einnahmen aus Ticketverkäufen sind weggebrochen: bisher noch kein Problem, doch die Frage ist, wie es weitergeht.

Ausfallen muss in diesem Jahr auch das Stuttgarter Europäische Theatertreffen (SETT), seit 1993 alle zwei Jahre ein Höhepunkt im hiesigen Theaterkalender. Durch Koerbers zweiten Mann Géza Révay gibt es seit langer Zeit intensive Beziehungen nach Ungarn, das Katona Jozséf Theater aus Budapest war fast jedes Mal dabei. "Grauenhaft", sagt Koerber auf die Frage, wie es den Theatern in Ungarn ergeht. Viktor Orbán will alle Positionen nur noch mit Parteigenossen besetzen. Vor anderthalb Jahren hat er ein neues Gesetz durchgeboxt, das nicht willfährigen Theatern die Finanzierungsgrundlage entzieht.

Griechenland stand beim letzten SETT im Mittelpunkt und bis zum Tod des schwedischen Krimiautors und Theatermachers Henning Mankell auch das Teatro Avenida aus Maputo. Denn Koerber macht an den europäischen Grenzen nicht halt. Ebenso kam der Palästina-Konflikt im SETT bereits mehrfach zur Sprache. Anfang Januar war Koerber noch in Istanbul. Dass sich Autokraten wie Orbán und Erdoğan durchsetzen können und Bolsonaro den Regenwald abholzt, lässt ihr keine Ruhe. Mit ihrem Theater sucht sie nach Perspektiven der Hoffnung für die Welt. Nach Esperanza.


"Das Fräulein Pollinger" wird von 26. Juni bis 25. Juli immer freitags und samstags um 15 Uhr im Biergarten des Cannstatter Kursaals gegeben. "Hölderlin Hegel Schelling" hat am 15. Juli, 19 Uhr im Rosengarten des Hospitalhofs Premiere, weitere Termine ab 22. Juli wechselnd dienstags, mittwochs und donnerstags, 19 oder 17 Uhr. Kartenreservierung unter Telefon 0711 2364610, weitere Infos unter www.tri-buehne.de.


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 7 Stunden
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