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Hauptsach' Bürgerkrieg

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Der fantastische VfB Stuttgart kehrt in die profitmaximierte Beletage des deutschen Fußballs zurück, die Freude ist groß. Genau wie die Aufregung über die "Stuttgarter Partyszene" und ihre Begleiterscheinungen.

Der VfB Stuttgart ist so gut wie sicher aufgestiegen in die erste Fußball-Bundesliga, Freude schöner Götterfunken, zwar nicht Erster in der Tabelle, aber Platz zwei mit drei Punkten und elf Toren Vorsprung, das Ding ist durch. Grund genug eigentlich, als Fan mal ordentlich die Sau rauszulassen – doch eine neuerdings und völlig sinnfrei sogenannte "Stuttgarter Partyszene" grätscht jeglicher Feierlaune von hinten beidbeinig rein, klare Tätlichkeit, eine von der ganz hässlichen Sorte. Um es mit Giovanni Trappatoni zu sagen, der ja immerhin auch mal Trainer in Stuttgart war: "Was erlaube?!"

Was erlauben sich diese Menschen, mehr oder weniger berauscht gewalttätig zu werden, einen Polizisten bis zur Dienstunfähigkeit zu verletzen, ein paar Polizeiautos und 40 Geschäfte zu beschädigen? Und was erlauben sich viele Journalisten, Politiker und andere Menschen, zunächst mal wissen zu müssen, aus welcher politischen Ecke die Randalierer kommen? Was soll das, von einem "Bürgerkrieg" zu schwadronieren? Was genau passiert ist, scheint egal. Viel wichtiger ist nämlich, wer "das" war, woher die Täter kommen. Und ich dachte schon, in unserer Gesellschaft sind jetzt alle ganz doll bemüht, keine Rassisten zu sein. Da gewinnt der VfB einmal mit 6:0, steigt quasi sicher auf, und trotzdem muss man sich wieder aufregen. Denn, verdammt noch mal, es ist doch völlig egal, ob der Vater des jungen Randalierers in Backnang oder auf dem Balkan geboren wurde. Und es ist kein Bürgerkrieg sondern einfach asozial, wie die jungen Leute sich benommen haben. Sie mögen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Nicht mehr und nicht weniger. Und von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die solch asoziales Verhalten befördern, will ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen – denn dies hier ist immer noch eine Sportkolumne.

Ohnehin wollte ich mich einfach nur schon wieder mal über meinen Verein aufregen, den VfB Stuttgart von 1893. Denn sich über den VfB aufzuregen, zu bruddeln, das ist überschaubar, das ist einfach, das ist Fußball. Aber dann gewinnen die mit 6:0 in Nürnberg. VfB is back in game! Wie soll man sich da über die Jungs ärgern, diese phantastischen Jungs? ICH habe IMMER an diese Jungs geglaubt. Also freu' ich mich, so gut es eben geht. Und lenke meine Aufregung darauf, wie unsäglich wir, also die Menschen, Bruder Schwein und Schwester Kuh behandeln. Und eigentlich alle anderen Kreaturen auf unserem Planeten.

Profitmaximierung, wo man auch hinguckt. Besonders im Profifußball. Auch da geht es logisch um den Profit, mehr, mehr, mehr, endlich wieder in die Allianz Arena, Bayern München statt Erzgebirge Aue, seid umschlungen, Ihr TV-Millionen, längst verplant - obwohl noch gar nicht auf dem Konto.

Weil wir es wollen

Und trotzdem: Wer mit einem Club fiebert, der vor dem letzten Spieltag der Saison auf Platz Zwei liegt, einem direkten Aufstiegsplatz, der scheißt auf dirty business und den ganzen Dreck des Fußballgeschäfts, Sie verzeihen den Ausdruck. Dem ist das egal, der freut sich einfach, dass die Truppe aufsteigt, ganz egal, wie schlecht sie ist. Ganz egal, dass sie schon neun (!) Spiele in dieser Saison verloren hat und mindestens nochmal neun Spiele zwar nicht verloren, aber so miserabel gespielt hat, dass man sich fragen musste, warum die überhaupt mitkicken dürfen.

Und wenn der letzte Spieltag gespielt, der Aufstieg gefeiert ist, dann regt man sich eben wieder auf darüber, dass Torwart Sven Ulreich ("Ulle") vom FC Bayern zurückkommt oder dass Daniel Didavi ein weiteres Jahr einen Haufen Geld verdient oder auch, dass unsere sogenannten Potentialspieler auch im Jahr 2020 stets geradezu vorsätzlich vergrämt werden wie einst Toni Rüdiger und Timo Werner. Und sicherlich freut man sich auch über den einen oder anderen Neuzugang, auf die kommende Saison, darauf, dass der ganze Irrsinn wieder von vorne losgeht. Schizophren.

Denn eines ist ja klar: Big Fußball Business gibt es nur, weil wir, die Fans, das wollen. Wir unterstützen unsere Vereine, Clubs, Aktiengesellschaften, die als Mitglieder der Deutschen Fußball Liga DFL den ganzen Irrsinn original genauso gewollt und bis in die kleinsten Details beschlossen haben. Wir kaufen Bezahl-TV-Abos und Trikots, jedes Jahr drei neue und ein Sondertrikot werden aufgelegt, weil es unter uns genug Idioten gibt, die sich auch das noch kaufen für knapp 100 Euro. Eintrittskarten fürs Stadion machen da nur den kleinsten Teil aus im großen Geschäft, die Business Seats und Logen schon mehr. Aber obwohl es eher unwahrscheinlich ist, dass wir nächste Saison wieder ins Stadion dürfen, ist das ja zumindest kurzfristig völlig unerheblich fürs große Ganze, denn die Kohle kommt zum allergrößten Teil vom Fernsehen, und geglotzt werden die Geisterspiele genauso.

Wenn wir aber wollen, dass das ein Ende hat mit der Profitmaximierung im Profifußball, dann dürfen wir nicht mehr einschalten. Und kein Trikot mehr kaufen. Und auch dann nicht mehr hingehen, wenn wir wieder dürfen, irgendwann. Denn erst, wenn das Fernsehen zwei oder drei Jahre lang ausschließlich Fußball aus leeren, langweiligen Stadien zeigt, erst wenn die Einschaltquoten jahrelang unterirdisch sind, allerfrühestens dann wird weniger Geld in den Fußball fließen. Und erst wenn weniger Geld im Spiel ist, ist das Business weniger versaut.

Und dass derartiges passieren wird, das glauben Sie ja wohl selbst nicht.

Übrigens: Auf den Kapitalismus schimpfen und gleichzeitig sein Geld in Aktienfonds anlegen, das ist auch nicht gerade konsequent. Denn was machen Fondsgesellschaften, Banken, Vermögensverwalter denn anderes, als das Geld ganz vieler Kleinanleger zu mehren, Aktien zu kaufen von Unternehmen, denen also quasi Geld zu geben, damit sie Mitarbeiter bezahlen und Produkte produzieren können? Natürlich möglichst wenig Mitarbeiter, natürlich profitmaximierend alles, Sie verstehen?

Es ist also kompliziert. Und ich weiß auch nicht, wie ich mit alldem umgehen soll. Das Geld, wenn man denn was über hat, nicht mehr von Blackrock und Co. verwalten beziehungsweise mehren lassen, sondern es in sogenannte nachhaltige Sparpläne legen, geht ja gerade noch. Oder zuhause unters Kissen. Aber Fußball will ich doch auch in Zukunft noch schauen, verdammt!


Christian Prechtl ist Autor, Kommunikationsberater und Begründer der Aktionsreihe "Ballwall", die sich zuletzt insbesondere Geflüchteten und dem Thema Integration widmete. In seinem Blog "By the way" hat er viele Jahre über Sport und Gesellschaft geschrieben. Seine Tätigkeit als Kolumnist führt er unter dem Titel "Brot und Spiele" in Kontext fort.


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 7 Stunden
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