Als Vater und Gesellschaftstier frage ich mich, ob die Schulen wirklich schnell wieder hochfahren sollen, und was mit den Kneipen ist? Bei den Schulen kann man ja schon den Eindruck bekommen, als hätten viele seit vier Wochen überwiegend Maulaffen feilgehalten und seien kalt erwischt worden, als Ministerin Eisenmann im Feldherrenmantel die Teilöffnung ab Mai verkündet hat. Seifenspender, Papierhandtücher, saubere Klos, Distancelearning-Konzepte? Weiterhin oft komplette Fehlanzeige.
Und dann natürlich "die Wirtschaft". Gibt es die wirklich? Und wenn ja, wie sieht sie aus? Haben die Automobilproduzenten ihre Produktion heruntergefahren, weil die Regierung es ihnen befohlen hat? Oder weil keiner mehr Autos kaufen will grade, und weil die Produktion auch in anderen Ländern zum Erliegen gekommen ist, Länder, aus denen unsere Automobilproduzenten wichtige Teile beziehen? Hätten Kneipen es jetzt wirklich besser, wenn sie nicht hätten schließen müssen? Ist es am Ende vielleicht ein Trugschluss, zu sagen, ein möglichst baldiges Ende der Beschränkungen würde "die Wirtschaft" retten und damit auch Menschenleben? Und so weiter und so fort ...
Weil das hier aber eine Sportkolumne ist, zwinge ich mich zumindest zu einer Fußballfrage. Auch wenn mir der Fußball derzeit überraschend egal ist. Dachte eigentlich, er würde mir mehr fehlen, mit all seinem Drum und Dran. König Fußball, der unser Leben ist, der zumindest im Song "Fußball ist unser Leben" von 1973 die Welt regiert, gesungen vom Kader der deutschen Nationalmannschaft, die 1974 Weltmeister wurde, als Hölzenbein auf halblinks in den niederländischen Strafraum drängte und die Schwalbe machte. Die älteren Leserinnen und Leser erinnern sich.
Wie könnte das also gehen mit diesem Fußball? Die australische Rugby League beispielsweise, die hat überlegt, alle Spieler auf einer Insel vor Queensland in Quarantäne zu schicken und nur zu den Spielen in leeren Stadien wieder aufs Festland zu lassen. "Love Island" nur mit Rugbyspielern quasi – hervorragende Reality-TV-Formate mit Hammer-Einschaltquoten inbegriffen. Die Italiener erwägen angeblich, vor dem Neustart der Serie A alle Beteiligten für drei Monate zu isolieren, wie auch immer das gehen soll.
Und unsere geliebte Bundesliga, was macht die? Konkrete Aussagen vermeiden, Geisterspiele planen, innerhalb kürzester Zeit an möglichst wenigen Spielorten die restliche Saison runterspielen wollen, wie man hört. Grundsätzlich nicht allzu viel dagegen einzuwenden – solange die Clubs leise heulen und nicht nach öffentlichen Geldtöpfen schreien. Es ist in den vergangenen Jahren so unglaublich viel Geld in diesen Profizirkus gepumpt worden, dass die das schon irgendwie hinbekommen werden, ohne dass die halbe Liga Insolvenz anmelden muss.
Sollen sie doch im Stadion von Werder Bremen spielen – das ist ja quasi Insellage, umschlungen von der Weser, in der man zur Abschreckung feierwütiger Fans Krokodile aussetzen könnte. Oder Fröttmaning, laut Wikipedia seit den 1960er Jahren "faktisch eine Wüstung", ließe sich dieser eher unwirtliche Teil Münchens inklusive Allianz Arena nicht relativ gut von der bierseligen Öffentlichkeit abschotten? Das Olympiastadion in Berlin müsste man wahrscheinlich nicht mal isolieren – da verirrt sich selbst an Spieltagen kaum eine Menschenseele hin.
Eigentlich kein Problem das alles – nur die Frage nach den vielen COVID-19-Tests, die nötig wären, diese Frage tut weh angesichts der Tatsache, dass nicht nur die Herren Fußballprofis sondern die gesamte Bevölkerung Tests braucht. Hier rät mir der Fachmann zu so genannten "Pool-Tests", also alle in sagen wir mal 20er-Gruppen machen den Abstrich und stecken ihn dann in den selben Eimer, vom Gemisch wird dann ein einziger Test gemacht – und wenn der positiv ist, muss die ganze Truppe, also alle 20, einzeln getestet werden. Aber bei negativem Ergebnis ist eben nur ein Test gemacht worden. Zumal Karl-Heinz Rummenigge unlängst selbst einräumte, man teste in der Liga ohnehin seit geraumer Zeit schon sehr häufig.
Und kommen Sie mir jetzt bloß nicht damit, dass andere Sportarten ja wohl auch Rechte hätten, und dass diese anderen Sportarten noch viel mehr litten unter der aktuellen Situation. Denn gegenüber König Fußball, der unser Leben ist und die Welt regiert, gegenüber dem hatten andere Sportarten noch nie was auszurichten. Warum sollte das ausgerechnet jetzt anders werden? Außerdem geht das Leben trotz Corona weiter, das gilt auch für den Fußball. Und zwar tatsächlich vor allen anderen Sportarten – denn der Fußball, also der Spitzenfußball als weltweites TV-Event, der ist am ehesten in der Lage, das auch selbst zu finanzieren mit den TV-Erlösen. Er soll die Saison in Liga Eins und Zwei zu Ende spielen, irgendwie. Und das Fernsehen sollte möglichst viel davon frei empfangbar übertragen. So richtig spooky, Geisterspiele mit ungewohntem Stadionton, am besten alle Spieler mit Masken mit Vereinslogo drauf.
Zusammengefasst: Ich halte eine baldige Wiederaufnahme des Profifußballs für unbedenklich – er hat sich mittlerweile weit genug vom Rest der Gesellschaft entfernt. Und damit der Aufschrei nicht allzu laut wird, verzichten alle Profis der 36 Clubs der ersten und zweiten Liga verpflichtend auf mindestens zwei Monatsgehälter – die entsprechende Summe kommt dann über einen noch zu findenden Schlüssel den anderen TV-Mannschaftssportarten zu Gute. Also dem Handball, dem Basketball, dem Volleyball, dem Eishockey. Ernstmachen mit der längst schon bestehenden Initiative "Teamsport Deutschland". Wäre das nicht was? Ich finde, das wäre was.
Christian Prechtl ist Autor, Kommunikationsberater und Begründer der Aktionsreihe "Ballwall", die sich zuletzt insbesondere Geflüchteten und dem Thema Integration widmete. In seinem Blog "By the way" hat er viele Jahre über Sport und Gesellschaft geschrieben. Seine Tätigkeit als Kolumnist führt er unter dem Titel "Brot und Spiele" in Kontext fort.
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Jörg Krauß
am 24.04.2020