Da gibt es Polizeischüler, die auf dem Basketballplatz "Sieg Heil!" rufen, aber trotzdem verbeamtet werden. Oder bereits Verbeamtete, die Bilder von Hitler als Weihnachtsmann mit begleitendem "Ho-Ho-Holocaust" teilen, und trotzdem befördert werden – während die Folge für den Kollegen, der das Verhalten zur Anzeige brachte, eine Versetzung ist. Damit ein Problem strukturell wird, müssen nicht alle Beamten rechtsextrem sein. Es reicht, wenn die Rechtsextremen in Ruhe gelassen werden und ihre Netzwerke etablieren dürfen. "Und obwohl sich da reihenweise Fälle benennen lassen", fragt Beşli, "will mir ein Seehofer erzählen, dass es in Deutschland kein Racial Profiling gibt?"
Aber immerhin: Die Polizei kommt ihm in der öffentlichen Debatte nicht mehr so unantastbar vor wie noch vor wenigen Jahren. "Da hat es schon eine Diskursverschiebung gegeben." Vieles, was in der Community altbekannt sei, sickere langsam zur Mehrheitsbevölkerung durch. Er freut sich zum Beispiel, dass es der erschütternde Skandal um Oury Jalloh – für den Rechtsstaat blamabel auf allen Ebenen – vor Kurzem in Böhmermanns Sendung geschafft hat. "Viele wollen zwar noch nicht wahrhaben, dass die Polizei ein strukturelles Problem mit Rassismus hat", sagt der 25-Jährige. "Aber in Teilen der Bevölkerung wächst gerade das Bewusstsein dafür, welche Ausmaße das hat."
Um dieses Bewusstsein zu schärfen, hat sich Ende Mai die Migrantifa in Stuttgart gegründet, kurz nachdem in den USA ein Polizist George Floyd brutal ermordet hatte. Nur wenige Monate zuvor gab es ein weiteres einschneidendes Ereignis, "bei dem klar wurde, wir müssen was tun", sagt Beşli: Der rassistische Terror von Hanau, der Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovič, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kalojan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu ermordet hat. Zum Gedenktag ein halbes Jahr nach der Tat hatte die Stuttgarter Migrantifa eine Busfahrt organisiert. Doch bedingt durch steigende Corona-Fälle in Hanau, durften statt den erwarteten 3.000 bis 5.000 TeilnehmerInnen nur 249 mitmachen. "Das haben wir akzeptiert, weil wir niemanden gefährden wollen", sagt Beşli. Aber es hat sie hart getroffen, später, bei höheren Inzidenzen, die Bilder von zehntausenden QuerdenkerInnen zu sehen, die bei der Zurschaustellung ihres Fieberwahns auf jeden Infektionsschutz gepfiffen haben.
Am 19. Februar 2021, dem Jahrestag des Terrors von Hanau, hat die Stuttgarter Migrantifa wieder eine Busfahrt geplant – und hofft darauf, dass die Corona-Lage eine Versammlung zulässt. Müßig zu erwähnen, dass dies zur Zeit problematisch ist und dementsprechend keine Massenaktionen geplant sind. In der Zwischenzeit vernetzt sich die Migrantifa mit anderen politischen Gruppierungen, erzählt Beşli, etwa der Seebrücke. Gemeinsam habe man zuletzt Spenden für Moria gesammelt.
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