Die Feder im etwas grauer gewordenen Haar trägt sie immer noch, weil ja nicht alles vorbei ist, was gut war. Eigentlich hat es Dorle sogar ziemlich gut erwischt. Sie lebt in Owingen-Taisersdorf, einem 300-Seelen-Dorf im Hinterland des Bodensees, am Hirtengarten 13 in einem schnuckeligen Holzhaus, in dem sie ein rotes Sofa so platziert hat, dass ihr die Morgensonne beim taz/Kontext-Lesen auf den Rücken scheint. Neben sich Partner Michael Kussl, der Metallbildhauer ist, wovon die bunten Plastiken rund ums Haus Zeugnis ablegen. Wenn's wieder einmal knapp wird mit der Kunst, schweißt er auch den Bauern am Ort die Pflüge wieder heil.
Aber keine Sorge, hier wird nicht gejammert. Höchstens ein wenig wehmütig zurückgeschaut, was 2020 alles nicht geklappt hat. Wie schön wäre es gewesen, ihr archaisch "echsperimentelles Hauskonzert Archex" zum zehnten Mal zu veranstalten. Zusammen mit Tomi Simatupang, dem Jimi Hendrix von Indonesien, mit Jan Fride von der Deutschrock-Band "Kraan", der um die Ecke wohnt, und der Lautenbacher Blaskapelle, die von Klassik bis zur Tanzmusik alles spielt, gehandicapt in vielerlei Hinsicht, nur nicht in musikalischer. Eine grandiose Truppe, die Dorle dirigiert.
Ihr nächster Termin stand schon fest, die Erstaufführung von "Tutto – des Lebens wilder Kreis", den Text für den Sprechchor hatte sie geschrieben: "Monokulturen, Pestizide, Gülle, Nitrat – zu viel Nitrat und Gülle. Die mit sechs Beinen hört man nicht weinen, hört man nicht schreien, sie sterben einfach aus, sie sterben einfach aus."
Aus alldem ist nichts geworden. Die große Depression ist deshalb nicht ausgebrochen. "Mit Kreativität und Zuversicht kommst du immer durch", erzählt Dorle in ihrer Wohnstube, die mit vielen Plakaten des eigenen Schaffens geschmückt ist. "Ein Fisch fliegt über den Küchentisch", dieses Konzert hat vor einigen Jahren sogar die Baden-Württemberg Stiftung mitfinanziert. Wenn dann noch ein paar Euro Staatsknete fürs tägliche Leben rüberwachsen, wird sie nicht so antikapitalistisch sein, sie abzulehnen, sie höchstens als Ausnahme von ihrer Regel zu betrachten, die da lautet: kein Sozialamt. Von dem Corona-Geld, verrät Dorle, habe sie endlich neue Saiten für die Geige besorgen können.
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