"Über Stuttgart 21 liegt Gottes Segen", sagte vor rund neun Jahren der immens eifrige Projektförderer Claus Schmiedel, damals Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Dass Schmiedel mit seiner spirituellen Überzeugung nicht ganz alleine dasteht, ließ vor einigen Jahren ein wie ein Erweckungsgottesdienst zelebrierter, (angeblicher) Tunneldurchstich vermuten.
Allerdings muss hier etwas Wasser in den Messwein gegossen werden: Schmiedels Aussage ging nicht weit genug. Schaut man sich die aktuellen Regelungen anlässlich der Corona-Krise an, dann gewinnt man den Eindruck, über der gesamten Baubranche liege (im Gegensatz zu den downgelockten Gotteshäusern aller Religionen) der Segen des Herrn. "Kein Baustopp in Deutschland – der Beton fließt weiter", titelte frohlockend das Online-Baufachmagazin "Baulinks" am 25. März angesichts der Entscheidung der Bundesministerien des Inneren (BMI) und für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), trotz der Corona-Maßnahmen per Erlass "die Fortführung der Baumaßnahmen im Hochbau, Straßenbau und Wasserbau" zu ermöglichen. Die Ministerien werden von Horst Seehofer und Andreas Scheuer geführt, beides Mitglieder der CSU, also einer Partei, die bekanntlich zum erleichterten Segensempfang ausreichend Kruzifixe vorhält. Doch genug der blasphemischen Scherze.
Dafür, dass der Betonfluss nicht versiege, sorgen indes nicht nur der Bund, sondern auch die Länder. Laut der in erster Fassung am 22. März veröffentlichten Corona-Verordnung für Baden-Württemberg gilt, dass größere Ansammlungen vom Kontaktverbot ausgenommen sind, die "der Aufrechterhaltung des Arbeits- und Dienstbetriebs" dienen (in § 3, Absatz 3). Besonders dehnbar scheinen die Bestimmungen im Bau: Die Mindestabstandsregel von 1,50 Meter gilt hier nicht kategorisch, wie eine vom Wirtschaftsministerium herausgegebene Richtlinie zur Eindämmung der Übertragung des Coronavirus auf Baustellen nahelegt: "Wo immer möglich", steht darin, "Einhalten eines Abstands zu den Kolleginnen und Kollegen und zu anderen Menschen von mindestens 1,50 m." Wo immer möglich – was impliziert: Es wird wohl nicht immer gehen. Das betrifft auch gemeinsame Fahrten in einem Fahrzeug, die "möglichst vermieden werden sollten".
Vielen Bauarbeitern ist es mulmig
Anders als in vielen anderen europäischen Ländern ruht das deutsche Baugewerbe nicht in der Corona-Pandemie. Reinhard Quast, Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, wird von der "Süddeutschen Zeitung" mit der Aussage zitiert, dass wegen des Virus "die Baustellen nicht geschlossen werden dürfen", denn die Branche sei "geeignet, zur Stabilisierung der Volkswirtschaft beizutragen". Es wird aber auch berichtet, dass vielen Arbeitern ziemlich mulmig ist, weil die Abstandsgebote kaum einzuhalten sind, weil besonders ausländische Bautrupps oft in engen Wohncontainern oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Und außerdem seien Kontrollen momentan wegen Corona seltener geworden.
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Gerald Fix
am 26.04.2020