Nein. Es ist nicht zu bestreiten, dass die SPD massiv abgebaut hat. Zu unseren Hochzeiten Anfang der 70er-Jahre standen wir für eine positive Zukunftsvision: Demokratie wagen. Heute reiht sich die SPD ein in den Chor derer, die warnen, die verhindern und verbieten wollen. Wir wollen den Klimawandel verhindern, die Altersarmut, Fahrverbote aussprechen. Die Leute wählen einen aber nicht fürs Verhindern, sondern für eine optimistische Zukunft.
Und dabei hat's vor einem Jahr so schön angefangen: mit Schulz auf 30 Prozent.
Das hatte mit dem neuen Gesicht zu tun. Durch die Öffentlichkeit brauste plötzlich der Schulz-Zug, dem sich die SPD angeschlossen hat. Die Leute hatten allerdings schnell gemerkt, dass die Sprache die alte war. Das ist so, als würden Sie die Leute zur Premiere ins Kino einladen, der Saal ist voll, alle gucken erwartungsvoll nach vorne, und Sie zeigen den Film "Der Bürgermeister von Würselen".
Nun ja, großes Kino hat die SPD in den letzten Wochen auch geboten. Raus aus der Regierung, rein in die Regierung, Minister ja, Minister nein.
Die Partei ist in hohem Maße irritiert. Die Mitglieder wissen, dass das keine Alleingänge von Schulz waren, dass das Entscheidungszentrum immer eingebunden war. Wenn Schulz eine Stunde nach Wahlschluss sagt, wir gehen in die Opposition, dann ist das kein plötzlicher Frust, sondern ein grandioses Ablenkungsmanöver von einem miserabel geführten Wahlkampf, den er nicht alleine zu verantworten hatte. Und so entsteht der Eindruck: Die machen eh, was sie wollen, die sind nur am eigenen Schicksal interessiert.
Das könnte einen gewissen Realitätsbezug haben.
Ja, aber um ein bisschen Gerechtigkeit walten zu lassen, muss ich auch sagen, dass die Partei gut verhandelt hat. Aber sie hat es eben auch geschafft, dass kein Mensch mehr darüber spricht, sondern fassungslos auf das Personalgeschachere guckt.
Wie geht die Mitgliederbefragung am Wochenende aus?
Wir kriegen deutlich über 60 Prozent Zustimmung. Was sollen wir denn sonst den Wählern sagen? Wir wollen nicht regieren, weil wir uns erneuern wollen! Eine solche SPD braucht kein Mensch.
Dann lassen Sie uns zum zweiten Thema kommen: Stuttgart 21. Hardliner, der Sie sind, haben Sie in dieser Frage auch Ihre Partei gespalten. Die Quittung haben Sie bei der Landtagswahl 2016 bekommen. 12,7 Prozent, das schlechteste Ergebnis ever.
Ich habe die Partei nicht gespalten. Eine Minderheitenposition gegen S 21 gibt es, ja, aber keinen Bruch in der SPD. Wenn das Pro zu S 21 jemandem hätte schaden müssen, dann den Grünen, die eine absolute Kehrtwende vollzogen haben. OB Kuhn spricht doch schon vom großen Nutzen für die Stadt, und der Kretschmann-Hype ist ungebrochen. Er ist der Schwabenliebling, den jede schwarze Seele hemmungslos mögen kann.
Nils Schmid war halt kein Kretschmann.
Wir hatten im Wahlkampf keine wirkliche Strategie, vor allem nicht für die Flüchtlingsthematik. Als Frau Merkel das Tor aufgemacht hat, konnten wir nicht sagen, das schaffen wir nicht. Wir mussten lavieren, weil unsere Wähler eher gespalten sind, in offene und verschlossene. Nils Schmid hat es dann überzogen, mit den Schuldzuweisungen an die AfD, an die wir fünf Prozent verloren haben. Die anderen fünf Prozent haben wir an die Grünen abgegeben. Das war entscheidend, nicht Stuttgart 21.
Da hat Gottes Segen gehalten?
17 Kommentare verfügbar
Bernhardt Faaß
am 04.03.2018