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Der rote Quälgeist

Der rote Quälgeist
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Er ist ein Instinktpolitiker par excellence, schwer zu beraten, stöhnen Mitarbeiter, kaum zu beeinflussen. Ein roter Haudrauf vom alten Schlag ("Die SPD ist meine zweite Familie"), irgendwie aus der Zeit gefallen und immerfort auf Attacke gebürstet. In einer Rolle übt sich Claus Schmiedel, als Chef der Landtagsfraktion eine Schlüsselfigur der Landesregierung, mit besonderem Eifer: in der des Quälgeists. "Ich bin ich", sagt der Ludwigsburger, und es klingt ziemlich zufrieden.

Reizfigur mit Machtinstinkt: Claus Schmiedel. Foto: Martin Storz

Eine Episode wie aus einem jener von Übertreibungen lebenden TV-Politfilme illustriert den Charakter. Die Porträts zweier Kontrahenten hängen an der Tür zum Wohnzimmer. Der Sieger nimmt sie auch nicht ab, als er Besuch von der Boulevardpresse bekommt. Ganz im Gegenteil. Er ist stolz darauf, dass über seinem Bild im Großformat in der krakeligen Schrift seines Sohnes eine 20 für die Zahl der Stimmen prangt und über dem zweiten, dem des unterlegenen Genossen Nils Schmid, eine 18. Es brachte Claus Schmiedel im Winter 2008, gerade frisch gewählt zum SPD-Fraktionschef, manche Häme ein, dass er die vergleichsweise selbstverliebte Installation öffentlich machte. Später bekennt er, es sei ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, die Bilder abzuhängen – einer wie er verstellt sich nicht.

Und nimmt damit locker in Kauf, dass Freund und Feind sich ihre ganz eigenen Gedanken machen über das Verhältnis zwischen den beiden Spitzengenossen. Für solche Sorte Bedenken hat der 62-Jährige, mit viel Erfahrung auch in der Kommunalpolitik, keine Ader. Stehvermögen nennt er als eine seiner herausragenden Eigenschaften. Kurs halten. Auch dann noch, wenn er längst der Geisterfahrer ist, der alle anderen auf der falschen Spur wähnt. Bestes Beispiel, aber nur eines von vielen, ist Stuttgart 21. Es ficht ihn nicht an, dass er das Milliardenprojekt in all den Jahren Dutzende Mal öffentlich "über den Berg" glaubte, "endgültig in trocken Tüchern" oder beziehungsreich "auf dem richtigen Gleis". 

S-21-Befürworter in Feindesland. Foto: Martin StorzWenn die Wirklichkeit solch frohgemute Prognosen ein ums andere Mal Lügen straft, kommt ein Schmiedel nicht ins Grübeln, jedenfalls nicht nach außen. Diesem Grundmuster folgend hat er auch seiner seit den Tagen von Erhard Eppler Anfang der Achtziger schwächelnden Partei immer und immer wieder gute oder sogar sehr gute Wahlergebnisse vorhergesagt, etwa 35 plus für die Landtagswahl 2011. Dass er regelmäßig falsch liegt, lässt den notorisch irrenden Prognostiker nicht vorsichtiger werden. 

"Keiner in der Politik muss mich lieben"

Abwägen würde seinen Offensivdrang hemmen. In den ersten seiner mittlerweile 21 Landtagsjahre war er eher Hinterbänkler, mit der Zuständigkeit für Wohnungsbau und Entwicklungshilfe. Längst aber kann er seine Fähigkeiten ausleben – zunächst als Wirtschaft- und Finanzexperte mit dem Faible für Großprojekte, erst recht aber als Fraktionschef. Tritt der einstige Lehrer ans Rednerpult, wird es laut und leidenschaftlich. "Keiner in der Politik muss mich lieben", sagt er heute, "auch der Koalitionspartner nicht." Diese Gefahr allerdings besteht kaum. Grüne innerhalb und außerhalb der Landesregierung stöhnen und ächzen seinetwegen, Sticheleien, offene Angriffe und Nötigungen sind mittlerweile Legion.

Der Antrieb ist immer derselbe: Den Vater von vier Kindern peinigt anhaltend die Sorge, seine stolze, altehrwürdige SPD könne zu kurz kommen. So wie nach den beiden Großen Koalitionen im Land in den Siebziger- und in den Neunzigerjahren, als rote Blütenträume, das Wahlvolk werde der SPD ihre konstruktive Rolle beim nächsten Mal danken, unerfüllt blieben. Und wie nach der Großen Koalition 2009 im Bund, als sich Schmiedels Erkenntnis, dass "für die Roten kein Blumentopf zu gewinnen ist, wenn sie mit den Schwarzen regieren", am schmerzlichsten bestätigte. Im Südwesten reichte es nicht mal für 20 Prozent, nur wenige Zehntel trennten SPD und FDP. Seine Schlussfolgerung: "In der Regierung immer an die Zeit des nächsten Wahlkampfs denken", immer daran, wie Grüne und Rote "wieder Kontrahenten sein werden". Und dann ein eigentlich unnötiger Zusatz: Natürlich werde die Sozialdemokratie 2016, bei der nächsten Landtagswahl, im Wettstreit mit den Grünen um Platz eins konkurrieren.

Winfried Kretschmann nennt als ärgstes politisches Unwort "alternativlos". Für Schmiedel ist es der Begriff "Juniorpartner". Gemocht haben sich die beiden nie, schon in ihrer Oppositionszeit nicht, als sie gemeinsam im Finanzausschuss saßen. Ein, zwei Mal ist es in den vergangenen Monaten laut geworden hinter verschlossenen Türen. Der Rote kann dem Grünen nicht vergessen, wie der als Fraktionschef öffentlich immer wieder in Richtung CDU schielte. Und der Grüne steht manchmal fassungslos vor den knallharten Machtansprüchen des Roten, der 2009 in einer Mitgliederbefragung auch Landeschef werden wollte und da gegen Schmid unterlag. Seither verbindet auch die beiden noch weniger als zuvor.

Augenhöhe geht anders: Schmiedel mit Parteikollege Nils Schmid. Foto: Joachim E. Röttgers

Schmiedel sieht sich als Herz und Hirn der SPD und führt sich auf als eigentliches Machtzentrum der ganzen Regierung. So füllt er nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung das Vakuum, das der überforderte Genosse im Superministerium für Wirtschaft und Finanzen lässt. Bisheriger Höhepunkt der Rangeleien: Der Fraktionschef sägt gänzlich schmerzfrei mit einigen der Seinen so lange am Stuhl der ungeliebten Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer, bis die aufgibt. Dass Schmid sie aus Mannheim höchstpersönlich in sein Team geholt hatte und der Abgang auch an dessen Image kratzt, tangiert Schmiedel nicht – erst recht, weil er meinte, zum Wohle der Partei handeln zu müssen und natürlich auch der Kinder, der Eltern und der Lehrkräfte im Land. 

Im Laufe der Jahre galt er mal als links

Sozialdemokrat war er wie viele seiner Generation 1972 geworden, wegen Willy Brandt. Mit Saxofon und Debattierlust zog er durch die die SPD-Ortsvereine. Wollte auf- und mitmischen, geprägt von einer Kindheit in der Flüchtlingssiedlung und der Erfahrung, dass es selbst dort ein Oben und Unten gab, eine Hackordnung, und viel zu wenig Solidarität. Im Laufe der Jahre galt er mal als links, etwa als er eine mögliche Zusammenarbeit mit der Linken "nicht reflexhaft" ausschließen mochte. Er inszenierte seinen Austritt aus der Gewerkschaft Verdi, als die hart mit Hartz IV ins Gericht ging, kämpfte aber zugleich beharrlich und mit Erfolg für Tariftreue und Mindestlohn. Viele Jahre hoffte er, die baden-württembergische SPD könnte es der rheinland-pfälzischen gleichtun und ein schwarzes Land dauerhaft drehen. Auch deshalb empfindet er es als so schmerzlich, dass der Ministerpräsident ein grüner ist und kein roter. Seine SPD sieht er vor allem als "Infrastrukturpartei". Legendär sein Spruch: "Wo der Bagger steht, geht es uns gut."

Ebendeshalb war er immer für den Messeneubau auf den Fildern, vorübergehend sogar für eine zweite Start- und Landebahn am Flughafen. Und ohne Wenn und Aber für den Tiefbahnhof, samt allem, was dazugehört. Kritiker haben es schwer mit ihm. Gehen sie ins Detail, empfiehlt Schmiedel, sich doch nicht den Kopf der vielen kompetenten Bahningenieure zu zerbrechen, oder er schwärmt blumig von der "Errungenschaft für die nächsten hundert Jahre". Und wird grundsätzlich diskutiert, etwa über die diversen und seltsam plötzlichen Kostenanstiege, wirft er mit Zahlen und Daten um sich, die einer Detailprüfung kaum standhalten. Gern zieht der Polemiker Schubladen auf: Den Grünen-Landesvorstand verortet er nach dessen Nein zur Übernahme von Mehrkosten an der Seite der Parkschützer, die Eierwerfer aus der autonomen Szene bei einer Demo gegen Sozialabbau erklärt er kurzerhand zu Kopfbahnhofbefürwortern, für die Anhänger des Tiefbahnhofs hingegen reklamiert er umstandslos Gottes Segen. Und als Kretschmann gegenüber einem Bahn-Aufsichtsrat auf dessen Fragen hin Alternativen zu S 21 auch nur erwähnt, da ist dieser Brief des Regierungschefs für Schmiedel "ein beispielloser Affront", obwohl er selbst heimlich den Kontakt zum Aufsichtsrat gesucht hatte. 

Sigmund Freud hätte seine Freude an ihm, sagt einer, der ihn lange kennt. Foto: Martin Storz

"Sigmund Freud hätte seine Freude an ihm", sagt einer, der ihn lange kennt. Das gilt auch für jene Stunden im Landtag, in denen auf einmal alles anders ist, in denen aus der Dauerkonfrontation nahezu bedingungslose Unterstützung, aus Mr. Hyde Dr. Jekyll wird. Niemand, nicht einmal die ärgsten Widersacher in der Opposition, sprechen Schmiedel seine Fähigkeiten am Rednerpult ab – und die nutzt er Plenartag für Plenartag, um die Grünen zu loben und die Regierung zu preisen. Das Spiel ist immer dasselbe, CDU und FDP scheitern bei dem Versuch, einen Keil zwischen die Koalitionspartner zu treiben, beim neunjährigen Gymnasium etwa und natürlich in Sachen Stuttgart 21, in Fragen der Energie-, Wirtschafts- oder Finanzpolitik, das Resultat auch: Mit hochrotem Kopf läuft Schmiedel zur Hochform auf. 

So jüngst bei der Debatte um die pädophilen Fantasien von Daniel Cohn-Bendit aus den Siebzigerjahren, als er sich ereiferte über die Opposition, die den Grünen als Täter abstempeln und gleich auch noch Kretschmann in den mutwillig entfachten Proteststurm hineinziehen wollten. Allein: Von 30 oder 31 Tagen tagt das Plenum des Landtags nur an drei, es gibt also nur eine Handvoll solcher Gelegenheiten zur Verbrüderung mit dem in Wahrheit ungeliebten Koalitionspartner. Und an diesen drei Tagen, bilanziert ein altgedienter Grüner, kann Schmiedel "nicht jedes zerschlagene Porzellan wieder kitten".

 


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2 Kommentare verfügbar

  • Landei
    am 29.04.2013
    Antworten
    Er ist wirklich aus der Zeit gefallen, dieser rote Haudrauf.

    Nur: er merkt nicht, dass es Leute wie er und sein Vorgänger Wolfgang Drexler sind, die am Niedergang der Sozis im Südwesten ebenso schuld sind wie zum Beispiel die blasse Ute Vogt oder die unwissende Stuttgarter…
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