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Budgets für Militär und Entwicklungszusammenarbeit

Wofür kein Geld da ist

Budgets für Militär und Entwicklungszusammenarbeit: Wofür kein Geld da ist
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Schon vor dem neuen Fünf-Prozent-Ziel der Nato haben die globalen Militärausgaben Höchstwerte erreicht. Die Mittel für Hungerbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit, die nur einen Bruchteil der Rüstungsgelder ausmachen, stagnieren dagegen oder werden drastisch zurückgefahren.

Dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI zufolge haben die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2024 mit 2.718 Milliarden US-Dollar einen neuen Rekordwert erreicht. Dies bedeutet einen Zuwachs von fast zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und es dürfte in den nächsten Jahren noch deutlich mehr werden. Auf dem jüngsten Nato-Gipfel Ende Juni in Den Haag wurde das von Politikern wie dem US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump geforderte sogenannte Fünf-Prozent-Ziel beschlossen. Das heißt, die Nato-Staaten erklären sich bereit, fünf Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungshaushalt bereitzustellen.

Für die Bundesrepublik würde das heute einen Militäretat in Höhe von 225 Milliarden Euro bedeuten. Damit würde Deutschland selbst Russland überholen und weltweit auf Platz drei der Militärausgaben vorrücken.

Es mag erstaunlich wirken, welche gewaltigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, wenn der politische Wille vorhanden ist – und insbesondere, welche finanziellen Lücken sich auftun, wenn der Wille fehlt. Auch der Wirtschaft wurden in den vergangenen Jahren immer wieder höchst umfangreiche Summen bereitgestellt. Im Zuge der Finanzkrise hat Deutschland Bürgschaften zur Bankenrettung in Höhe von insgesamt 500 Milliarden Euro übernommen. Die Kosten der Bankenrettung für Deutschland infolge der Finanzkrise wurden von der damaligen Bundesregierung im Jahr 2017 mit 30 Milliarden Euro angegeben. Zwischen Frühjahr 2020 und Sommer 2022 wurden im Zuge der Corona-Pandemie Wirtschaftshilfen (Zuschüsse, Kredite, Rekapitalisierungen und Bürgschaften) in Höhe von 130 Milliarden Euro ausgezahlt. Im Zuge der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg wurden in drei Entlastungspaketen, zu dem auch der 200 Milliarden Euro umfassende Wirtschaftsstabilisierungsfonds (der sogenannte "Doppel-Wumms") gehört, insgesamt fast 300 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Und als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die Bundesregierung die Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bewilligt.

Bruchteil der Militärausgaben

Es sind gewaltige Summen, die bereitgestellt wurden. Verschwindend gering erscheinen daneben die Mittel für Hungerbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit. Während weltweit im Jahr 2024 über 2,7 Billionen Dollar für Rüstung ausgegeben wurden, hatte die ODA (Official Development Assistance), also die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aller Staaten, gerade einmal ein Volumen von 212 Milliarden US-Dollar, was nicht einmal zehn Prozent der weltweiten Militärausgaben entspricht.

Deutschlands Militärausgaben betrugen im Jahr 2024 etwa 88,5 Milliarden US-Dollar. Damit rangiert die Bundesrepublik hinter den USA, China und Russland und noch vor Staaten wie den Atommächten Indien, dem Vereinigten Königreich und Frankreich weltweit auf dem vierten Platz. Zum Vergleich: Deutschlands Beitrag für die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) sank von fast 38 Milliarden im Jahr 2023 auf etwa 32 Milliarden US-Dollar.

Dabei ist der Bedarf an Hilfe in Katastrophengebieten wie dem Sudan, dem Jemen und in Gaza gewaltig. Im Jahr 2023 litten laut dem Welternährungsbericht der Vereinten Nationen schätzungsweise 735 Millionen Menschen auf der Welt an Hunger. Alle 13 Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger. Das sind jedes Jahr fast 2,5 Millionen Kinder.

Man könnte denken, dass das ein gewaltiges Problem ist, dem man mit einer großen politischen wie auch finanziellen Offensive entgegentreten sollte. Priorität genießen diese Negativzahlen im aktuellen politischen Diskurs aber ganz offensichtlich nicht.

"Das größte lösbare Problem der Welt"

Es ist sehr ernüchternd, die oben erwähnten gewaltigen zur Verfügung gestellten Summen beispielsweise dem Jahresetat des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) gegenüberzustellen. Dieses hatte im Jahr 2024 ein Budget von knapp zehn Milliarden US-Dollar, was gerade einmal etwa drei Promille der weltweiten Militärausgaben entspricht (Deutschlands Beitrag zum WFP betrug 2024 knapp eine Milliarde US-Dollar beziehungsweise rund 900 Millionen Euro).

Dabei ist das Problem des Welthungers, wie Hilfsorganisationen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht müde werden zu betonen, keine unvermeidbare Naturkatastrophe, der man schicksalshaft ausgeliefert ist, sondern menschengemacht. Das WFP bezeichnet Hunger als "das größte lösbare Problem der Welt", da grundsätzlich alle technischen Voraussetzungen gegeben sind, um alle Menschen auf der Welt zu ernähren. Die Lösung des globalen Hungers ist eine Frage des politischen Willens.

Je nach konkreter Zielsetzung und Zeitrahmen gibt es hierzu unterschiedliche Berechnungen, allen gemein ist aber, dass ein Bruchteil der weltweiten Militärausgaben ausreichen würde, um den Hunger auf der Welt zu besiegen. Einer bereits im Jahr 2020 publizierten Berechnung zufolge ließen sich mit einer Erhöhung der Mittel zur Hungerbekämpfung um etwa 14 Milliarden US-Dollar innerhalb von zehn Jahren 500 Millionen Menschen aus Hunger und Fehlernährung befreien. Alleine die Erhöhung der weltweiten Militärausgaben von 2024 gegenüber 2023 (ca. 275 Milliarden US-Dollar) übertrifft diesen Betrag um ein Vielfaches.

Der "Westen" verliert immer mehr an Glaubwürdigkeit

Die Chance, den Hunger, den ältesten Feind der Menschheit, zu besiegen, wurde bisher ausgelassen. Im Gegenteil, isolationistisches nationalstaatliches Denken infolge populistischer Bewegungen im "Westen" lassen eine Stagnierung oder sogar eine Minderung der Gelder für Entwicklungszusammenarbeit erkennen. Jüngstes Beispiel sind die Bemühungen der Trump-Regierung, die Mittel für die US-Entwicklungsbehörde USAID drastisch einzuschränken und über 80 Prozent ihrer Programme zu streichen – woraufhin USAID am 1. Juli ihre Arbeit offiziell einstellte. Aber auch die deutschen Ausgaben für die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) werden zunehmend zurückgefahren. Ganz aktuell verwies das Nothilfebüro der Vereinten Nationen auf die größten Finanzierungskürzungen aller Zeiten, von denen Millionen von Menschen auf der Welt betroffen sind. Martin Frick, der Direktor des WFP-Büros für Deutschland, Österreich und Liechtenstein, warnte bereits im Herbst vergangenen Jahres, dass Kürzungen der internationalen Hilfe auch zu politischer Destabilisierung in Ländern des Globalen Südens führen und nicht zuletzt Deutschlands Sicherheit gefährden könnten.

Das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des "Westens" sind in vielen Ländern des Globalen Südens, die politisch und medial vielfach marginalisiert oder sogar ignoriert werden, stark angeschlagen. Hierbei handelt es sich um ein Problem, das sich in Zukunft politisch wie auch wirtschaftlich noch bitter rächen könnte. Der Vorwurf lautet, dass der "Westen" seinen eigenen, rhetorisch immer wieder so hochgehaltenen Werten nicht entspricht. Ein Vorwurf, den er kontern könnte: Welche ungeheure positive menschliche Wirkung hätte zum Beispiel die Einführung eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Dollar durch die "westlichen" Staaten zur Bekämpfung des Globalen Hungers? Mit der gleichen Entschlossenheit vorangetrieben, die aktuell für die Erhöhung der Militärausgaben zu spüren ist, wäre dies nicht nur ein starkes Signal, sondern würde auch von politischer Weitsicht zeugen.


Dieser Text erschien erstmals am 20. Juni auf freitag.de, für Kontext wurde er leicht aktualisiert und geändert.

Der Germanist und Historiker Ladislaus Ludescher, Jahrgang 1983, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik an der Frankfurter Goethe-Universität und assoziierter Wissenschaftler am Germanistischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

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