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Sonderausstellung zu Stuttgart 21 in München

Diese Lichtaugen!

Sonderausstellung zu Stuttgart 21 in München: Diese Lichtaugen!
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Wenn das Deutsche Museum in München eine Sonderausstellung unter dem Titel "Stuttgart Hauptbahnhof" anbietet, hört sich das nach was an. Nach etwas Großem, Wichtigem, das vielleicht einen neuen Blick von außen auf das umstrittene Projekt S 21 bietet. Mal sehen.

Die Dame an der Kasse im Verkehrszentrum des Deutschen Museums ist sehr freundlich. Mit Presseausweis könne man sich alles anschauen. Danke, vor allem interessiert die Sonderausstellung zum Stuttgarter Bahnhof. Dann gehe es dort durch die Tür in Halle zwei, da die Treppe hoch und dann "bis zum Ende immer oben bleiben, dann gehen Sie direkt drauf zu." Oben bleiben – das sollte zu schaffen sein.

Es geht vorbei an alten Autos und Lokomotiven, an Bussen, Motorrädern, Fahrrädern und wieder Autos. Die Hallen sind leer an diesem sehr warmen Sommersamstag, nur ein paar Paare, hier und da ein einzelner Mann bummeln durch die Hallen. Dann, am Ende von Halle 3 auf der oberen Ebene: eine Rotunde mit der Aufschrift "Stuttgart Hauptbahnhof". Vier Meter hoch, zehn Meter Durchmesser, außen schwarz, innen ein Panoramafoto von der Stuttgart-21-Baustelle, Stand November 2024. Aha. Kelchstützen, ein paar Bauarbeiter, Materiallager, ein Kran, nochmal Kelchstützen, ein Gleisbett noch ohne Gleise, nochmal Bauarbeiter oder vielleicht eher Ingenieure, denn sie arbeiten nicht, scheinen sich zu unterhalten. Einmal um die eigene Achse gedreht und fertig. Fotografisch war das sicherlich eine Herausforderung. Der Eindruck? Eine Baustelle unter der Erde mit viel hellem Beton.

Also raus aus der Rotunde und sehen, was es noch gibt. Ein langer Leuchttisch mit schicken Grafiken, Bildern und Texten zu der Idee, dass in Stuttgart unter der Erde einmal acht Gleise mehr können als oberirdisch 16. Erklärungen, dass Beton zwar viele Emissionen bei der Produktion freisetzt, hier aber, wenn er verbaut ist, nicht. Dass die unterirdische Bahnhofshalle sich von selbst belüftet. Dass es durch die Lichtaugen Tageslicht gibt. Dass Konstruktion und Bau der Kelchstützen – sie stützen das Bahnhofsdach – und der Lichtaugen eine enorme bauliche Herausforderung waren und sind. Noch was? Ah, da hängen noch drei Bildschirme an der Außenwand der Rotunde. QR-Code scannen und dann? Landet man auf der Webseite des Architekturbüros Ingenhoven. Also von dem Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven, der 1997 den Wettbewerb für den unterirdischen Bahnhof gewonnen hat. Einziges haptisches Ausstellungsstück: Wie eine antike Büste steht auf einem weißen Sockel ein weißes Modell einer Ingenhoven-Kelchstütze. Ob das Architekturbüro dem Deutschen Museum etwas bezahlt hat für diese imagefördernde Ausstellung?

"Nein", stellt Frank Zwintzscher klar fest. Er hat die Sonderausstellung mit kuratiert, ist von Haus aus Historiker und im Deutschen Museum zuständig für den Schienenverkehr. Die Ausstellung sei in Kooperation mit Ingenhoven entstanden, erklärt er, das Panoramafoto käme ja von Ingenhoven. Unterstützt wird die Münchner Sonderausstellung laut Webseite des Museums zudem von den beiden großen S-21-Bauunternehmen Seele und Züblin, der Werner Sobek AG und vom Infoturm Stuttgart, also dem offiziellen Pro-S-21-Verein "Neubauprojekt Stuttgart-Ulm e.V.".

So weit, so einseitig

Dass es schon fast alles gab für diese Sonderausstellung in München, das war sicher praktisch. Aber warum macht das große Deutsche Museum so etwas überhaupt? Zwintzscher: "Weil der Bahnhof irgendwann fertig wird." Sicher? Er lacht. "Das Deutsche Museum hat da Hoffnung." Aber im Ernst. Das Gebäude sei jetzt sichtbar, und das habe sie vom Deutschen Museum motiviert, sich dem Thema zu widmen. Einen Ingenhoven-Lobgesang sieht er nicht, räumt aber ein, dass es in der Schau nicht wahnsinnig viel Kontext rund um den Tiefbahnhof gibt. Aber dass der Bahnhof immer teurer und immer später fertig werde, das stehe ja im Ausstellungstext, betont der Kurator. "Und die Texte sind von uns." Er schiebt den Tipp hinterher: "Schauen Sie auf die Webseite." In der Tat, dort finden sich deutlich mehr Informationen zu Stuttgart 21 als rund um die Rotunde im Museum selbst.

Für Zwintzscher ist die kleine Ausstellung ein Stichwortgeber für größere Themen. So diskutierten zur Eröffnung am 6. Juni Christoph Ingenhoven und drei weitere Bauexpert:innen zum Thema "Stuttgart 21 – Meisterwerk oder Milliardenbaustelle?". Vor einigen Tagen ging es live um das Schienennetz und ob S 21 mit der neuen ETCS-Technik funktionieren wird oder ob es nicht besser wäre, ein paar Gleise oben liegen zu lassen, berichtet Zwintzscher. "Aber dann wäre es ja mit der Bebauung wieder schwierig." Im Herbst soll es um den Protest gegen S 21 gehen und um die Frage: Kann Deutschland noch Infrastruktur und woran es liegt, dass so viel so schlecht klappt. "Liegt's an der Ökonomie, an der Ökologie, an der Technologie, an der Verwaltung?", verdeutlicht Zwintzscher die Fragestellung.

Ihm liegt einiges am Herzen, ist im Gespräch zu merken. Als Fernpendler von Berlin aus hat er seine praktischen Bahnerfahrungen, als Wissenschaftler im Museum würde er gerne mehr über Infrastruktur machen. "Wir sind sehr fahrzeuglastig." Im Vorfeld der Sonderausstellung war er mit seinen Kollegen oft mit dem Zug in Stuttgart, hat also den Fernwanderweg von den Gleisen in die Stadt selbst mehrfach erleben müssen. "Dass die Leute das nervt, ist ja klar." Auch in München hätten sie viele Probleme mit langen Strecken für Reisende, erzählt er, das mache wenig Freude.

Die bayerische Landeshauptstadt hat in den 1990er-Jahren davon abgesehen, ihren Kopfbahnhof unter die Erde zu legen, und baut nun seit 2019 an ihrem Hauptbahnhof. Bis 2035 soll ein neues Empfangsgebäude entstehen, auch eine zweite S-Bahn-Stammstrecke wird es geben und eine neue U-Bahn-Station. Die Wege für Bahngäste sind derweil umständlich, und die Kosten werden derzeit mit etwa sieben Milliarden Euro beziffert. Zwintzscher fragt sich: "Wie halten wir all diese Baustellen aus?" Tja, vielleicht hilft es, wenn die Perspektive gut ist.

Kommt der Elphie-Effekt?

In Stuttgart allerdings erwarten viele nichts Gutes vom Tiefbahnhof, wenn er irgendwann mal eröffnet wird – im Moment wird von Teileröffnung Ende 2026 gemunkelt. Immerhin: Stuttgart hat dann Ingenhoven-Lichtaugen-Kelchstützen. Ist ja auch was, und so manche hoffen auf den Elphie-Effekt. Soll heißen: Wenn der skandalteure Tiefbahnhof (aktuell um die 11,5 Milliarden Euro) dereinst mal fertig ist, strömen wie bei der einst kontrovers diskutierten Elbphilharmonie in Hamburg die Menschen nach Stuttgart und bestaunen die Lichtaugen. Mal sehen.

Lokalpatriotischen Stuttgarter:innen, die hoffen, mit dem Tiefbahnhof endlich mal München übertrumpfen zu können, sei allerdings schon jetzt Wasser in den Trollinger gegossen: Wenn der Münchner Hauptbahnhof mal fertig ist, wäre er mit seinen Gleisanlagen der viertgrößte der Welt nach New York, Shanghai und Tokio.


Die Sonderausstellung "Stuttgart Hauptbahnhof" im Deutschen Museum in München ist noch bis zum 19. Oktober zu sehen.

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