Vermutlich müsste der Ministerpräsident hundert oder noch mehr Jahre alt werden, um die Früchte dieses Engagements ernten zu können. Rascher wird angesichts der sich stetig beschleunigenden Erderwärmung eine zweite Großtat ihre Tragfähigkeit beweisen müssen: Mit Kalifornien hat Baden-Württemberg vor zehn Jahren die "Under2-Koalition" mitgegründet, jene Koalition von Regionen und Ländern, die sich dem Klimaschutz unterhalb der Ebene der Nationalstaaten verschrieben haben. Inzwischen vertreten die Unterzeichner 1,75 Milliarden Menschen aus über 40 Nationalstaaten und mehr als die Hälfte der Weltwirtschaft auf allen fünf Kontinenten.
Grüne könnten so manche Erfolge offensiv vermarkten
Mittlerweile hat die Initiative eine Bedeutung bekommen, die ihre Initiatoren so sicher nie wollten. Seit der US-Präsident und Klimawandel-Leugner Donald Trump sämtliche einschlägigen internationalen Vereinbarungen gekündigt hat, müssen Bundesstaaten der USA auf die regionale Zusammenarbeit setzen. "Zehn Jahre, nachdem Kalifornien und Baden-Württemberg die Under2-Koalition gestartet haben, zeigen wir, dass wir mit sauberer Energie Arbeitsplätze schaffen, Umweltverschmutzung beenden und die Wirtschaft stärken", sagt der aktuelle kalifornische Gouverneur Gavin Newsom, der vor wenigen Tagen bei der globalen UN-Klimakonferenz COP30 im brasilianischen Belém empfangen wurde wie ein Superstar. Für den möglichen Kandidaten der demokratischen Partei bei der nächsten US-Präsidentschaftswahl ist dieses Bündnis der Beweis, dass Führung nicht nur von den nationalen Hauptstädten ausgeht.
Baden-Württembergs Grüne könnten dieses Bündnis und andere von ihnen angestoßene Maßnahmen ähnlich offensiv als Erfolge verkaufen. Doch haben sich auch nach 15 Jahren Regierungsbeteiligung ihre grünen Ideen offenbar nicht ins kollektive Bewusstsein des Landes eingegraben. Laut einer im Oktober veröffentlichten Umfrage von Infratest dimap hält selbst bei den Anhängern der Grünen nur gut ein Viertel (26 Prozent) den Komplex Umweltschutz/Klimawandel für das derzeit wichtigste Problem zwischen Main und Bodensee – bei allen Befragten sind es nur 12 Prozent.
Es ist in der Regel allzu billig, schlechte Umfrage- oder sogar Wahlergebnisse mit Defiziten bei der Vermarktung der eigenen Politik zu erklären. Baden-Württembergs Grüne liefern ein Gegenbeispiel. Denn in der Sache kennt die Bilanz seit 2011, als in der damaligen Regierungskoalition mit der SPD vollmundig versprochen wurde, "Der Wechsel beginnt", durchaus Positives. Nachdem der Windkraftausbau jahrelang eher schleppend voranging, ist der Südwesten im Ranking der Bundesländer nun zum "unangefochtenen Spitzenreiter" in der Frage eingereichter Genehmigungen von Windanlagen avanciert, wie es in einer Stellungnahme des Klimasachverständigenrats Baden-Württemberg heißt. Werden die schon gefassten Beschlüsse zügig umgesetzt, wäre das Klimaziel für 2040 schon beinahe erreicht. Außer einer Handvoll Fachpolitiker:innen und Berater:innen weiß davon kaum jemand, ganz zu schweigen von einer desinteressierten Öffentlichkeit.
Beim Werben für eigene Politik ist Luft nach oben
Dabei haben die Grünen in den Oppositionsjahren viel Erfahrung gesammelt zum Thema Meinungsführerschaft und Mobilisierung. Rudi Hoogvliet, von 2011 bis 2021 Kretschmanns Regierungssprecher, heute Medienstaatssekretär und Bevollmächtigter des Landes beim Bund, war mehrfach Kampagnenmanager, sogar ausgeliehen aus dem Südwesten, um grünes Gedankengut professionell in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren. Als Wahlkampfmanager für die Landtagswahl 2011 darf er sich mitverantwortlich fühlen für Kretschmanns Ruf als Solitär in der Politikerkaste. Dieser sei ein Typ "mit Ecken und Kanten", wie Hoogvliet nach dem Wahlerfolg von 2011 analysierte, "der sich eben nicht von 'Bild' und Glotze leiten lässt und seine Entscheidungen begründen kann wie kaum ein anderer".
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