Zum "internationalen Maßstab" will die Landesregierung den Südwesten machen, jedenfalls laut dem Koalitionsvertrag von 2021 mit dem vollmundigen Titel "Jetzt für Morgen". Es geht um viel, um künftige Generationen und wirtschaftliche Prosperität, um Wettbewerbsfähigkeit auch in Hitzesommern oder trotz Starkregen und Überschwemmungen, um den viel zügigeren Ausbau erneuerbarer Energien als bisher, um widerstandsfähige Wälder oder veränderte Förderprogramme. Und es geht darum, dem Markt ordnungspolitische Leitplanken zu verpassen, wie der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum 40. Geburtstag seiner Partei versprach – in der Erkenntnis, dass nach den Gesetzen des Marktes allein der Kampf gegen die Erderwärmung nicht zu gewinnen ist.
Dieser Kampf stockt in Baden-Württemberg erheblich, nach bald zwölf Jahren grüngeführter Koalitionen. So sehr, dass sich Maike Schmidt, die Vorsitzende des neuen Klima-Sachverständigenrats, zu einem strengen Verweis aufgerufen sieht. Bei einer öffentlichen Anhörung im umweltpolitischen Fachausschuss des Landtags sagte die Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse beim Zentrum für Sonnen- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW), weder Politik noch Verwaltung würden in ihrem Handeln den Versprechen, den Zielen und den Herausforderungen gerecht. Notwendig sei, "um mit Kanzler Scholz zu sprechen, ein Doppelwumms". Zumal der Klimawandel im Südwesten schneller voranschreitet als bisher erwartet. Im Bundesschnitt sind die Temperaturen um 1,7 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter gestiegen, im Südwesten aber um 2,3 Grad. "Eine Angst kann ich allen nehmen", betont Schmidt: "Zu viel Klimaschutz geht nicht."
Ein Satz, den die Umweltpolitiker:innen der CDU erst noch so richtig verinnerlichen müssen. Dabei waren Thomas Strobl, Manuel Hagel und die anderen Unterhändler:innen, die nach den Landtagwahlen vor zwei Jahren mit den Grünen sondierten, zu ausgesprochen weitreichenden Zugeständnissen bereit. Das neue Klimaschutzgesetz und eigene Förderprogramme sollten auf das Pariser 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet sowie ambitionierte Minderungs- und Sektorenziele festgelegt werden. Enttäuscht, dass seine Partei nicht zum Zug kam, wagte der SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch zum Auftakt der grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen eine bissige Prognose: Die CDU werde alles unterschreiben und danach nichts umsetzen.
Auf viele wichtige Kompromisse, zum Beispiel in den Haushaltsverhandlungen, trifft das nicht zu, auf die Details beim Klimaschutz aber schon. Dabei kommt es mitunter zur Beihilfe: Im Sommer pfiff Kretschmanns Regierungszentrale Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) zurück, als sie mit verschiedenen Maßnahmen – zusammengefasst im Netz in einem neuen, regelmäßig fortzuschreibenden Register – Fakten schaffen wollte. Unter anderem sollten Beamte, Landesbeschäftigte und Mitarbeitende aller Art auf Inlandflüge verzichten müssen, wenn es eine adäquate Zugalternativen gibt, zum Beispiel nach Berlin. Die Aufregung war groß. Walker, eben erst zurückgekehrt aus der Rekonvaleszenz nach einer Herzmuskelentzündung, musste einsehen, dass auf die "Villa", wie das Staatsministerium im Koalitionsjargon wegen des Regierungssitzes Reitzenstein heißt, nicht wirklich Verlass ist.
Ein enormer Lernprozess – der vielleicht gar keiner war
Eine nicht mehr ganz neue Erkenntnis. Schon in der vergangenen Legislaturperiode war Walkers Vorgänger, Umweltminister Franz Untersteller (Grüne), ziemlich oft auf sich allein gestellt, wenn die CDU mit immer neuen Volten konsequente Vorgaben zu verhindern versuchte – oft genug mit Erfolg. Ein Machtwort des Ministerpräsidenten blieb aus. Inzwischen liegt sogar ein wenig ruhmreiches Urteil des Verwaltungsgerichthofs Mannheim auf dem Tisch. Danach habe die Landesregierung die eigenen Vorgaben aus dem Jahr 2014 nicht erfüllt, die damaligen Beschlüsse nicht ernst genommen und "kein integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept – IEKK – verabschiedet, das wesentliche Ziele, Strategien und Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele des Landes benennt". Deshalb wurde im Spätherbst einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) stattgegeben. Seit wenigen Tagen liegen die Urteilsgründe vor, und ihnen zufolge besteht "ein Anspruch" auf solche Ziele, Strategien und Maßnahmen.
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