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Kretschmann und die CDU

Läuft nicht so mit der Regierung

Kretschmann und die CDU: Läuft nicht so mit der Regierung
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Klimaschutzgesetz, Gender und Bleiberecht, Winfried Kretschmanns Waschlappen oder Bildungsvergleiche: Die Landesregierung hat gerade keinen Lauf. Zu viele Themen sind strittig, zu viele Vorhaben kommen nicht voran. Und die Grünen sind zunehmend unter Druck.

Es ging in den vergangenen Tagen um das wichtigste Thema des Jahres, wie Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sagt: eine Fortschreibung des Klimaschutzgesetzes, die die Weichen zur so dringend notwendigen Erreichung des Pariser Klimaziels stellen soll. Einen wirklichen Durchbruch allerdings können Kretschmann und mit ihm Umweltministerin Thekla Walker nach wochenlangen Verhandlungen, zuletzt von morgens bis nachts, nicht verkünden. Ein Rahmen sei geschaffen worden, sagt die Grüne beharrlich und verwendet statt "müssen" oft "sollen", wenn sie über die sogenannten Sektorziele spricht oder über die Ausrichtung der Landesförderungen auf Klimaneutralität. Diese Förderungen endgültig entsprechend umzustellen, dafür gibt sich die Landesregierung – Stand heute – nicht weniger als 18 Jahre Zeit, nämlich bis 2040. Sein fester Eindruck sei, beharrt der Ministerpräsident "dass alle im Kabinett fest hinter dem stehen, was wir beschlossen haben".

Im Kabinett vielleicht, in der Fraktion eher weniger. Das Machtzentrum in der CDU verschiebt sich zunehmend weg von Thomas Strobl, Landesvorsitzender und Innenminister, hin zur Fraktion und ihrem Vorsitzenden Manuel Hagel. Offenbar erwachen damit auch alte Instinkte wieder: camoufliertes Quertreiben, worin schon Erwin Teufel ein Meister war. Eigentlich wollte Kretschmann noch vor der Zweitauflage von Grün-Schwarz eine klare Ansage gemacht haben, dass ein neues Miteinander unabdingbare Grundlage der Zusammenarbeit sein solle. Aber selbst wenn Strobl seine damalige Einwilligung ernst gemeint haben sollte, die Epigonen, die die Schwarzen im Südwesten in eine neue erfolgreiche Ära führen wollen, fühlen sich daran immer weniger gebunden. Hagel bringt es fertig, in seinem Loblied auf die tollen CDU-Beiträge zum neuen Klimaschutzgesetz die zuständige Ministerin mit keinem einzigen Wort zu erwähnen.

Strategisch haben die Grünen nur wenig im Köcher, um gegenzuhalten. Koalitionsinterne Nachgiebigkeit, ausgegeben als Pragmatismus im Regierungsalltag, muss an ihr Ende kommen, wenn das Publikum Gestaltungskraft und Reformmut erkennen soll, zumal in einer Zeit geballter Krisen. Wenn aber der Partner nicht mal im Traum daran denkt, solche Zurückhaltung mit eigenem Entgegenkommen zu honorieren, wird es eng. Stattdessen seziert die CDU die Schwachstellen ihrer Gegenüber nervenstark und immer konsequenter: Sie hat es mit einem Regierungschef in der letzten Phase seiner so erfolgreichen Karriere zu tun; und mit einer Grünen-Fraktion, die zwar Nummer eins ist, sich aber immer öfter nicht als solche behauptet. Die Angst, durch Streit und Konflikt den eigenen Regierungschef zu beschädigen, ist zu groß, und im Notfall klärt der selber die grünen Abgeordneten über ihre Obliegenheiten auf.

Also schlucken sie große und kleine Kröten. Bildungsvergleiche sind nicht alles, geben aber doch einen Fingerzeig: Im jüngsten Dynamik-Ranking der Initiative Soziale Marktwirtschaft liegt Baden-Württemberg auf Platz 15 vor Schlusslicht Bremen. Und die Befunde zu den Vergleichsarbeiten in der achten Klasse, die vergangene Woche präsentiert wurden, sind erst recht ernüchternd. "Wir haben Nachholbedarf bei der Vermittlung von Basiskompetenzen", räumt Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) ein, "aber auch bei der Bildungsgerechtigkeit im Land."

Letzteres ist bekannt inzwischen seit Jahrzehnten. Erst recht seit die Grünen mit den Schwarzen regieren, ist das einer der vielen gordischen Knoten, die laut Winfried Kretschmann nicht zu durchschlagen sind, sondern aufgedröselt werden müssen. Allerdings verweigert sich der einstige Gymnasiallehrer jeder ernsthaften Debatte über die zeitgemäße Weiterentwicklung des Schulsystems. Dass wie schon zwischen 2016 und 2021 wiederum keine Grundsatzdiskussion geführt werden soll, ist im Koalitionsvertrag fixiert. "Meine Geschäftsgrundlage ist das, was vereinbart ist, und auf dieser Grundlage müssen wir schauen, wie wir die Probleme angehen", sagt Schopper mit leicht resignativem Unterton.

Die CDU stichelt, die Grünen schweigen

Geschäftsgrundlagen gibt es viele, zum Beispiel "die umfassende Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen und digitalen Belangen". Was die CDU-Abgeordneten aber ziemlich kalt lässt, wenn es ernst wird. In einem von sechs Grundsatzbeschlüssen auf der traditionellen Herbstklausur in der vergangenen Woche wurde Gendern gebrandmarkt nach alter Vätersitte als "Ideologisierung". Bei der fünften Nachfrage von Journalisten hatte Hagel von dem heiklen Thema genug und ließ erkennen, dass er endlich über Wichtigeres wie Klimaschutz oder Energiekrise reden wollte. Allein: Er selbst hatte es – jeder Nadelstich gegen die Grünen zählt – auf die Tagesordnung gehoben.

"Einen Zwang, eine sogenannte 'gendergerechte' Schreibweise anzuwenden, sehen wir daher mit großer Sorge und lehnen dies entschieden ab", steht in dem Beschluss der CDU-Parlamentarier zu lesen. Und dass sich die Union "vor allem gegen Versuche wendet, jene Menschen von vornherein von Diskursen oder Debatten auszuschließen, die sich an die gültigen Rechtschreibregelungen halten". An Schulen und Hochschulen sei "nur korrekte Sprache" zu verwenden. In diesem Sinne dürfe bei der Beachtung der deutschen Grammatik keine Benachteiligung erfolgen.

Ersichtlich war der 34-jährige Bankkaufmann, den es so mächtig in die Villa Reitzenstein zieht, von den Pressevertreter:innen genervt, als die sich nach der Fraktionsklausur partout nicht mit den vielen wolkigen Vorwürfen begnügen wollten. Wo beispielsweise dieser mysteriöse Genderzwang eigentlich herrschen soll, vermochte Hagel nicht zu sagen. Dafür nutzte er die Gelegenheit für die Mitteilung, privat dürfe selbstverständlich jeder gendern, wenn er das wolle – "ich selber möchte es nicht tun". Was wäre diese Art Vorgestrigkeit für eine Steilvorlage, um das Runde elegant ins Eckige zu bringen, im Klartext: aufzudecken, wie der christliche Koalitionspartner ein ziemlich unanständiges Spiel spielt, unter anderem auf Kosten von Menschen, die angesichts ihrer sexuellen Orientierung zu oft ohnehin am Rande der Gesellschaft stehen.

Altersweises Wortgeklingel statt Aufbruch

Aber ausgerechnet Kretschmanns engste Berater sind nicht daran interessiert, politisch oder gar ideologisch aufzufallen. Vorübergehend abgetaucht ist Florian Stegmann, immerhin Chef der Staatskanzlei, wegbefördert Arne Braun, der Regierungssprecher war und neuer Kunststaatssekretär wird. Die Rochade hätte Kretschmann für einen Aufbruch nutzen können, also jüngere Semester oder vielleicht sogar eine Frau aufrücken lassen in die als "Männerballett" karikierte Spitzenbeamtenriege. Stattdessen macht er seinen Büroleiter, den früheren Grünen-Landesgeschäftsführer Matthias Gauger zum neuen, gut dotierten Regierungssprecher, wiewohl ohne jede Erfahrung und Kenntnisse in der immer komplizierteren Welt der Medien. Dabei hätte der Ministerpräsident gerade beim Thema Klimapolitik dringend eine Offensivkraft an seiner Seite nötig, die ihn darin bestärkt, sein Ansehen für klare Ansagen zu nutzen. Und weniger oft für allzu altersweises Wortgeklingel wie "Ob man die Ziele erreicht, weiß man immer erst hinterher". Oder gar für die Verweigerung einzelner Teile der Realität, wenn er den Untersuchungsausschuss zu Strobls Brief-Affäre als irrelevant für die Regierungsgeschäfts abtut.

Erfahrung, Instinkt oder auch Fortüne, wie er selbst sagt, haben Winfried Kretschmann zum weltweit erfolgreichsten Grünen gemacht. Inzwischen aber nimmt sich sogar Markus Feldenkirchen vom "Spiegel"-Hauptstadtbüro des Themas "Winfrieds Windstille" an. Schnell kann aus einer Flaute anhaltender Gegenwind werden, sogar in der eigenen Partei. Auf dem Landesparteitag am Wochenende ist Landwirtschaftsminister Cem Özdemir einer der Hauptredner. Womöglich nicht nur, weil Politik für den ländlichen Raum zentrales Thema der Beratungen ist. Sondern weil der in Urach geborene Sohn türkischer Einwanderer nach heutigem Stand als einer jener gilt, die beste Chancen auf Kretschmanns Erbe haben. Und CDU-Strategen werden sich seine Rede im Parteitagsstream sicher nicht entgehen lassen.


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5 Kommentare verfügbar

  • Elisabeth Pflüger
    am 24.09.2022
    Antworten
    Machen wir doch unser Endlager einfach an die SCHWEIZER GRENZE.
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