Was hat Winfried Kretschmann nicht alles in Aussicht gestellt? Vielleicht sollte der Grüne in aller Ruhe noch einmal seinen Brief an die lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger vom Herbst 2019 lesen, in dem er seine Kandidatur für eine dritte Amtszeit als Ministerpräsident von Baden-Württemberg ankündigte. "Mit aller Kraft" wolle er "die liberale Demokratie verteidigen und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken", der Welt müsse der Südwesten zeigen, dass man auch gut leben kann, "ohne dabei unsere Erde zu zerstören". Und im Übrigen: "Wir dürfen uns nicht treiben lassen."
Diese Aussagen gerieten schon kurz nach der Landtagswahl 2021 gewaltig unter Druck, als im Zuge der Koalitionsverhandlungen mit der CDU die Ankündigung erfolgte, Vorhaben nur dann umzusetzen, wenn das Geld reicht. Wie sich der Sparzwang auswirkt, offenbart sich gerade wie in einem Brennglas im Bereich der Bildungspolitik, der Kernkompetenz der Bundesländer. Im guten Glauben und im ehrlichen Bemühen, Worten Taten folgen zu lassen, wollte Theresa Schopper – die erste grüne Kultusministerin überhaupt – eine unsägliche Praxis beenden, die unter ihren Vorgänger:innen von CDU und SPD viele Jahre unangetastet blieb: nämlich Lehrkräfte mit Zeitverträgen zum Ende des Schuljahres und zu Beginn der Sommerferien in die Arbeitslosigkeit zu schicken, um sie im Herbst wieder einzustellen. Das spart dem Land Lohnkosten, 4.000 Pädagog:innen sind betroffen, und Schopper wollte damit endlich Schluss machen. Jedoch versagten ihr die Chefs der beiden Regierungsfraktionen, Andreas Schwarz (Grüne) und Manuel Hagel (CDU), die Unterstützung. 2022 fehle dafür das Geld. Und nach den Horrorgemälden, die gegenwärtig gemalt werden, mit jenem neoliberalen Unterton, der die Finanzpolitik schon viel zu lange bestimmt, wird das Geld auch weiterhin fehlen.
Mindestens genauso schlimm ist, dass sogar bestehenden, allseits gelobten und gut funktionierenden Programmen das Aus droht. Ein Beispiel: die Berufseinstiegsbegleitung für Schüler:innen. Praktisch alle Branchen im Land beklagen den wachsenden Fachkräftemangel, aber die Landesregierung sagt, sie habe kein Geld, um einkommensarmen Jugendlichen weiter den Übergang in die Ausbildung zu erleichtern. In einem parlamentarischen SPD-Antrag zum Thema beschreibt Ministerin Schopper die Mangelwirtschaft in ihrem Haus: Die Landesregierung habe entschieden, sich "an der Finanzierung des Programms nicht mehr zu beteiligen und stattdessen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel verstärkt Maßnahmen in den Blick zu nehmen, welche allen Schülerinnen und Schülern zugutekommen".
Sogar Millionär:innen wollen höhere Steuern zahlen
Wahr ist, dass ein dickes Brett gebohrt werden müsste, um für auskömmliche Finanzierung in schwierigen Zeiten gerade in Kitas und Schulen zu sorgen, nicht zuletzt angesichts des aktuell – nicht zum ersten Mal – belegten Fachkräftemangels. Denn die Stimmung ist weiter mitgeprägt von Sparkommisar:innen. "Unter unguten Vorzeichen haben die Chefgespräche über den Doppelhaushalt begonnen", schreibt die "Stuttgarter Zeitung" und schert alle über einen Kamm mit der Formulierung, die "Minister rücken in Spendierhosen an". Und weiter: "Klopft man auf die einschlägigen Büsche, dann ist es mit der Bereitschaft, den Gürtel enger zu schnallen, bei Grün-Schwarz nicht weit her." Natürlich ist auch auf die FDP Verlass, denn Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bemüht die Uralt-Kamelle von der "Aufgabenkritik". Ein Begriff, den diejenigen gern benutzen, die beim Staat überall sinnlose Geldverschwendung wittern.
Dabei sind die Einsparmöglichkeiten gerade im Bildungsetat, der dieses Jahr rund 45 Prozent der Gesamtausgaben des Landes umfasst, sehr überschaubar: Etwa 11,3 der 13,3 Milliarden Euro sind Personalausgaben. Dabei besteht an den Schulen, wie Modellrechnungen des Kultusministeriums ergeben, bis 2030 ein zusätzlicher Bedarf von rund 10.600 Stellen. "Für beste Bildung für alle" versprach die Koalition sich in ihrem "Erneuerungsvertrag" einzusetzen, weil "Kinder das Wertvollste sind, was wir haben".
Die logische Konsequenz wäre, damit solche Bekenntnisse nicht Makulatur bleiben, offensiv über die Einnahmenseite nachzudenken in einem Land, in dem sich Millionär:innen organisieren, um für ein gerechteres Steuersystem zu kämpfen, also: mehr von ihrem Reichtum an den Staat abzugeben. Gerade erst hat der Paritätische Wohlfahrtsverband darauf hingewiesen, dass die Armutsquote in Baden-Württemberg den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht hat. Von der CDU ist nichts zu erwarten, weil sie die vielbemühte Enkelgerechtigkeit weiterhin grob missversteht als Versprechen, Schulden abzubauen und nur ja keine Steuern zu erhöhen. Dabei müsste doch gerade der Enkel und Urenkelinnen wegen massiv investiert werden – in Kitas, Schulen und Hochschulen, in Forschung, Wohnungsbau, Mobilitätswende und natürlich in den Kampf gegen die Erderwärmung.
6 Kommentare verfügbar
Stefanie
am 08.07.2022Bedeutet: Das Verhältnis zwischen Sprache und Verständnis ist ein Zirkuläres.
Daraus folgt: Es ist nicht möglich, zu einem gerechteren Miteinander zu finden, solange sich…