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Windkraft

Phalanx der Bürokraten

Windkraft: Phalanx der Bürokraten
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Baden-Württemberg kommt beim Klimaschutz nicht voran. Das zeigt sich beispielhaft bei einem Windkraftprojekt im Schwarzwald. Diesmal stehen die Rotoren angeblich startenden Flugzeugen vom Herrenknecht-Airport in Lahr im Weg.

Wir erreichen Ettenheims Bürgermeister Bruno Metz im Sommerurlaub. Er meldet sich telefonisch während einer mehrtägigen Wanderung durch den Schwarzwald zum Bodensee. Weil ihm "diese Sache eine Herzensangelegenheit" ist. Es geht um den Windpark Schnürbuck, der nahe seiner 13.500 Einwohner:innen zählenden Stadt in der Ortenau auf einem Schwarzwaldberg entstehen soll. Drei Windräder sollen jährlich 27 Millionen Kilowattstunden Strom produzieren – was viermal so viel ist wie die sechs älteren Rotoren erzeugten, die zuvor an dieser Stelle standen und bereits rückgebaut sind. Das Repowering, wie der Tausch älterer gegen leistungsstärkere Neuanlagen im Fachdeutsch heißt, würde den halben Stromhunger von Ettenheim stillen – und damit die badische Kleinstadt einen Riesenschritt hin zur Klimaneutralität katapultieren.

Denn die neuen Rotoren vermeiden jährlich 11.000 Tonnen Kohlendioxid, was aus Sicht von Schultes Metz dringend geboten ist wegen der extremen Hitze und Dürre derzeit. "Wiesen und Wälder sind erschreckend ausgetrocknet", schildert er die Folgen der Klimakrise, die er im Naturpark auf Schritt und Tritt sieht. Am Wanderziel Bodensee sind sie sogar riechbar: Weite Uferbereiche sind stinkende Schlickwüsten, weil der Pegel fast einen Meter geringer als üblich ist. Kaum auszudenken, was aus dem Schwäbischen Meer wird, sollte der Zufluss der Alpengletscher, die im Rekordtempo tauen, in künftigen Sommern völlig versiegen. "Wenn Windmühlen Kohle- und Atomstrom ersetzen, dann kann ich doch gar nicht anders", betont CDU-Mitglied Metz. Er sieht zum Ausbau der Windenergie im Schwarzwald keine Alternative.

Auch sonst spricht viel für lokale Windenergie. Der Abstand der Anlagen zu den Orten würde sich auf rund 2.000 Meter gegenüber zuvor verdoppeln. Weder Geräusche noch Schattenwurf würde die Anwohner:innen belästigen. Entsprechend stark ist die Unterstützung in der Bevölkerung für das Projekt, an dem neben der Ökostrom-Gruppe Freiburg und dem Windturbinenbauer Enercon auch die Ettenheimer Bürgerenergie mit über 300 Mitgliedern beteiligt ist. Metz sitzt dem Aufsichtsrat der Genossenschaft vor, auch wenn Stadt und Gemeinderat, der das Projekt einstimmig befürwortet, die Pläne nur wohlwollend begleiten können. "Wir müssen die Chancen nutzen, die uns die Erneuerbaren wie Windkraft bieten, auch aus wirtschaftlichen Gründen", betont er. Lokaler Windstrom sei eben viel günstiger als der von der fernen Nord- und Ostsee. "Ich habe Kinder und Enkelkinder, die auch eine lebenswerte Zukunft haben sollen", sagt er. Der Bürgermeister ist überzeugt davon, das Richtige zu tun.

Martin Herrenknecht ist kein Fan von Windrädern

Doch das sieht einer offenbar ganz anders: Martin Herrenknecht, Unternehmer aus der Nachbargemeinde Schwanau. Der Gründer und Vorstandsvorsitzende der Herrenknecht AG, dem Weltmarktführer für Tunnelvortriebsmaschinen, gilt als kompromissloser Gegner von Windenergie made im Schwarzwald. Mit Kohle und Kontakten versucht der Tunnelbohrer-König, der im Juni ein rauschendes Fest zum Achtzigsten am Firmensitz schmiss, sein Heile-Welt-Bild Andersdenkenden aufzuzwingen: Herrenknecht schaltete großformatige Anzeigen im Lokalblatt, rief mit "Bild" den mächtigen Boulevard zur Hilfe, referierte vor heimischen Hoteliers hinter verschlossenen Türen – immer gegen die "Scheiß Windrädchen" auf Schwarzwaldhöhen, wie Kontext wiederholt berichtete (etwa hier und hier).

In Sachen Windpark Schnürbuck zückte der badische Don Quichotte ein besonderes Ass: Ihm gehört die Flugbetriebs GmbH & Co. KG, die seit 2013 den Sonderflugplatz Lahr, einen ehemaligen Militärflughafen in der Oberrheinebene, betreibt. Und die legte im vergangenen September ihr Veto gegen den Windpark ein. Weil startende Frachtflieger angeblich steiler als bisher abheben und deshalb auf volle Zuladung verzichten müssten, um über die Windmühlen zu kommen, so die mit nichts untermauerte Begründung. "Dieser wirtschaftlichen Einschränkung können wir nicht zustimmen und bitten darum, die Windenergieanlagen in der beantragten Form abzulehnen", verlangte Herrenknechts Gesellschaft. Seitdem liegt der Windpark auf Eis.

Ob der Einwand sticht, darüber entscheidet eine Phalanx an Behörden. Deren Lavieren hat das Klimaschutzprojekt auf die lange Bank geschoben, von der es nun zu fallen droht. Allen voran glänzt die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) im hessischen Hanau durch wirres Hin und Her. Die Gesellschaft, im Besitz der Bundesrepublik Deutschland und unter Aufsicht von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), verantwortet mit Fluglots:innen an Flughäfen und in Radarkontrollzentren die Sicherheit im hiesigen Luftraum. Für die Navigation der Flugzeuge betreibt sie Radar- und Funkanlagen, für deren Betrieb sie Schutzbereiche ausweist.

Dabei erlangte sie bereits einen zweifelhaften Ruf. Kritiker:innen hielten der DFS vor, für Windturbinen viel größere Abstände zu Navigationsanlagen zu verlangen als in anderen Ländern üblich. Erst auf Druck von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gab die DFS nach: seit 1. August 2022 werden die Anlagenschutzbereiche rund um Drehfunkfeuer verkleinert. "So schafft man weiteres Potential für mehr Flächen für Windenergieanlagen in Deutschland und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende", lobt sich die DFS im Internet selbst.

Genehmigung auf die lange Bank geschoben

Unstrittig im Ettenheimer Windpark-Fall ist: Er liegt außerhalb solcher Schutzbereiche, stört also die Navigation nicht. Hier begutachtete die DFS im Auftrag des luftrechtlich zuständigen Regierungspräsidiums Stuttgart (RPS), ob die Windmühlen den vom Sonderflugplatz Lahr startenden Flugzeugen im Wege stehen. Und tatsächlich verlangen die neuen Anlagen – 246 statt bislang 140 Meter hoch – steilere Abflüge. Konkret: Statt in einem Steigungswinkelquotient von 3,3 Prozent müssten die Flieger mit 4,5 Prozent an Höhe gewinnen, um sicher die Rotoren zu überqueren. Zu steil für die DFS: "Wir empfehlen dringend, die luftrechtliche Zustimmung zu versagen", teilte sie dem RPS am 9. September 2021 mit. Die Stuttgarter Behörde bat den Lahrer Flughafenbetreiber daraufhin um Stellungnahme, die erwartungsgemäß ablehnend ausfiel. Wegen wirtschaftlicher Einschränkung aufgrund reduzierter Startmasse der Luftfahrzeuge.

Wenige Tage darauf übermittelte das RPS sein Prüfergebnis ans Landratsamt Ortenaukreis als zuständige Genehmigungsbehörde fürs Baugesuch: Man stimme der Errichtung der Windkraftanlage nicht zu. Damit blieb der Offenburger Behörde überlassen, ob sie den Windpark genehmigt. Sie tat es bis zum heutigen Tag nicht. Obwohl nach Kontext-Informationen alle notwendigen Nachweise zum Schutz von Mensch und Umwelt bereits in den Amtsstuben verstauben – und sich die Ablehnungsgründe der Deutschen Flugsicherheit und des Lahrer Flughafenbetreibers bereits im Februar in Luft auflösten.

Denn ein flugtechnisches Gutachten des renommierten Berliner Fachbüro Airsight macht Herrenknechts Ass zur Lusche. Es wertete mehrere tausend Flugspuren rund um den Lahrer Airport aus, die – bemerkenswert – von der Deutschen Flugsicherung digital archiviert sind. Das Ergebnis: In den vergangenen vier Jahren haben gerade mal drei Flugzeuge vom Flugplatz Lahr kommend das Gebiet des geplanten Windparks überflogen – und in einem Steigungswinkel von mindestens 9,5 Prozent, was doppelt so viel ist wie nötig wäre. Selbst der schwerste Flieger, eine Boeing 747, erreichte in Nähe des Standorts locker eine Höhe von über 1.000 Meter über dem Meeresspiegel, was knapp 250 Meter über der obersten Flügelspitze der Windturbinen wäre.

Schultes-Brief an den MP hat nichts gebracht

Für leichtere Jets wie die Cessna 680 Citation Sovereign oder Embraer EMB-505 Phenom 300, die zur vor Ort stationierten "Herrenknecht Aviation"-Flotte gehören, sind die Rotoren erst recht kein Hindernis. Für Airsight ist deshalb die Sachlage eindeutig: Der Windpark und die dafür nötige geringfügige Anpassung des Mindeststeiggradienten auf 4,5 Prozent hätte "keine signifikanten Auswirkungen auf den örtlichen Flugbetrieb" mit jährlich rund 12.000 Flugbewegungen.

Das Gutachten belegt, dass der Flughafen seit fast einem Jahr mit nicht belegbaren Behauptungen die Genehmigung eines neuen Windparks verhindert, so die Projektierer. Der Vorwurf, die drei Anlagen würden für wirtschaftliche Einbußen sorgen, sei als unzutreffend entlarvt. "Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten leider sehr oft mit Widerständen gegen Windenergienutzung kämpfen müssen", sagt Andreas Markowsky, Geschäftsführer der Ökostrom-Gruppe. "Dass aber so offensichtlich mit vorgeschobenen Konflikten hantiert wird, um den Ausbau der Windenergie zu torpedieren, ist mir selten untergekommen." Auch Carsten Kropp von der Enercon-Gruppe Alterric IPP versteht nicht, warum das Vorhaben weiter blockiert wird. "Es ist Wille der Bundesregierung und der Mehrheit der Bundesbürgerinnen und -bürger, die Nutzung der erneuerbaren Energien zu verstärken. Inzwischen hat dies ja sogar sicherheitspolitische Relevanz."

"Wir haben in vier Jahren für eine halbe Million Euro fast 1.000 Seiten Gutachten zusammentragen, am geplanten Standort jeden Stein umgedreht und jeden Quadratmeter Waldboden auf artenschutzrelevante Tiere und Pflanzen abgesucht, und Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen erarbeitet", schildert Jörg Bold, Vorstand der Bürgerenergie, den Aufwand, um den Windpark genehmigt zu bekommen. Wer diesen verhindern wolle, brauche dagegen nur zwei Sätze formulieren, kritisiert er. "Seit dem Veto des Flughafens wurde bisher von keiner Behörde ein Beleg für die Behauptung eingefordert oder eine Frist genannt", ärgert er sich. Stattdessen seien von der Gegenseite Gesprächstermine verschleppt und Gutachten angekündigt worden, ohne einen Zeitplan dafür zu benennen.

Hilfesuchend wandte sich Bürgermeister Metz im April per Brief an Baden-Württembergs grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. "Wir alle wären sehr dankbar, wenn Sie uns helfen könnten, dass das öffentliche Interesse an einer zukunftsorientierten Energieerzeugung in der anstehenden Abwägungsentscheidung das notwendige Gewicht bekommt", heißt es darin. Auf Antwort musste Metz lange warten. Im Juli trudelte ein Schreiben aus dem Haus von Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) ein: "Die Landesregierung begrüßt das Engagement von Kommunen wie Ettenheim sehr. Gleichwohl muss gewährleistet sein, dass die Vorhaben eine Genehmigung erhalten, welche den gebotenen Anforderungen an die Rechtssicherheit vollumfänglich genügen", steht darin. Mehr nicht.

Mit einem Fingerschnips wäre die Sache gelöst

"Für mich ist es unverständlich, wie die grün-schwarze Landesregierung immer wieder neue Ausbau-Ziele definiert, aber wenig dafür tut, wenn es darum geht, sie wirklich einzuhalten", kritisiert Bold. Tatsächlich sind im ersten halben Jahr gerade einmal fünf neue Windräder im Südwesten gebaut worden. Dabei hatte der Ministerpräsident Kretschmann erst jüngst bestätigt, dass man auf 100 neue Anlagen pro Jahr ziele. "Wenn man es auf politischer Ebene mit dem Ausbau der Windenergie wirklich ernst meint, dann muss das Regierungspräsidium Stuttgart seinen Ermessensspielraum jetzt nutzen", fordert er.

Bislang bewegte sich nur eine aus der Prüferrunde: Die Deutsche Flugsicherung rückte "nach erneuter Begutachtung" vom ihrem Nein ab. "Wir empfehlen, mit den Nutzern dieser Verfahren oder dem Flugplatzbetreiber zu prüfen, ob diese Anhebungen akzeptabel wären", teilt die DFS am 26. Juli dem Stuttgarter RP mit. Erforderliche Auflagen, Kennzeichnungen und Veröffentlichung werde man festlegen, sobald sich die Beteiligten verständigt hätten, heißt es in dem Schreiben, das Kontext vorliegt. Das Regierungspräsidium interpretiert diesen Wortlaut jedoch weiter als Ablehnung steilerer Abflugwinkel, wie die Behörde auf Nachfrage mitteilt.

Das Umweltministerium verbreitet auf Anfrage Altbekanntes, nämlich, dass aufgrund der räumlichen Nähe der Anlagen Belange des Flughafens berührt seien: "Ein solcher Belang muss aufgearbeitet werden", weicht Walkers Sprecherin der Frage nach ministerieller Weisung an untergeordnete Behörden aus. Der Betriebsleiter des Flughafens, Wolfgang Pieles, bleibt auf Kontext-Anfrage ebenso unkonkret: "Wir arbeiten an Lösungen, es sieht nicht unmöglich aus." Martin Herrenknecht selbst will sich nicht mehr öffentlich äußern und verweist auf ein Wochen altes Statement, in dem er denjenigen juristische Schritte androht, die ihn pauschal als Windkraftgegner bezeichnen.

Die Windparkprojektierer wollen ein weiteres Gutachten in Auftrag geben, diesmal ein juristisches. Es soll den Behörden aufzeigen, wie die Windmühlen rechtssicher zu genehmigen sind. Nachdem im "Osterpaket" von Klimaminister Habeck der Ausbau erneuerbarer Energien als "in überragendem öffentlichen Interesse" verankert ist, dürfte dies kein Hexenwerk sein. "Mit einem Fingerschnips wäre die Sache gelöst", sagt Ettenheims Bürgermeister Metz am Ende des Telefonats.


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2 Kommentare verfügbar

  • E. Gebhardt
    am 21.08.2022
    Antworten
    Inzwischen sollte sich herumgesprochen haben, dass Windenergie alles andere als umweltfreundlich ist. 5 bis 6 Mrd. Insekten pro Tage werden durch Windräder gekillt. Dazu noch jede Menge Vögel und Fledermäuse, insbesondere Greifvögel. Dadurch werden komplexe Ökosysteme empfindlich gestört. Dazu wird…
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