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Hansi Müller und die Windkraft-Verschwörer

Hansi Müller und die Windkraft-Verschwörer
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Sie nennen sich Gegenwind oder Vernunftkraft, und kämpfen gegen Windräder: Die Rede ist von einer neuen Protestbewegung, den Windkraftgegnern. Auffällig ist ihre Nähe zu Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern, zur Öl- und Kernkraft-Lobby. Mit dabei ist auch der Ex-VfB-Profi Hansi Müller.

Jörg Rupp kann es bis heute nicht fassen, was ihm im vergangenen Mai im Malscher Rathaus widerfuhr. Als Sprecher einer Bürgerinitiative hatte der grüne Gemeinderat für den Bau von fünf Windenergieanlagen (WEA) bei der badischen Kleinstadt geworben. Er hat auf die Chance verwiesen, mit Windstrom etwas für den Klimaschutz zu tun, an eine lebenswerte Zukunft erinnert, und gesagt, es seien nur geringe Opfer nötig, die die Malscher bringen müssten. Außerdem könne die Gemeinde noch Geld verdienen mit der Flächenverpachtung.

Der Appell kam nicht gut an. Mehrfach wurde Rupp von wütenden Zwischenrufen unterbrochen, und einer der Windkraftgegner folgte ihm in der Sitzungspause gar auf die Toilette, baute sich dort vor ihm auf. "Er drohte, dass ich das nächste Pinkelgehen nicht überlebe", erzählt Rupp. Wieder zurück im Sitzungssaal meldete er dem Ratsgremium den Vorfall. "Teile des Publikums fingen an zu lachen, ebenso wie fast die gesamte CDU-Fraktion", erinnert er sich.

Ein Einzelfall? Leider nicht. "Im Ort ist bekannt, dass ich für Energiewende und Klimaschutz bin", sagt Gerhard Brenner, Gemeinderat in Korb, einem Weinflecken rund 20 Kilometer östlich von Stuttgart. Auch ihm wurde das Engagement für einen Windpark auf der benachbarten Buocher Höhe übel genommen. In seinem Briefkasten steckte ein Kuvert mit einem toten Fisch. "Da kriegt man Angst und fragt sich, was als nächstes passiert", sagt Brenner.

Bundesweit machen Rotorgegner mit fragwürdigen Aktionen mobil. Auffällig aggressiv im Südwesten der Republik, wo konservative Regierungen die Windenergie jahrzehntelang verteufelten. Furcht und Schrecken zu verbreiten, scheint dabei Methode zu haben, um die positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber Erneuerbaren Energien zu kippen. Denn noch befürwortet eine Mehrheit den Ausbau von Solar- und Windenergie.

Sachargumente bleiben dabei auf der Strecke, wie sich an Brenners Gegenspieler zeigt, dem Ex-Fußballprofi Hansi Müller. Der ehemalige Nationalspieler, der für die Christdemokraten im Korber Gemeinderat spricht, befürchtet gar einen "Super-Gau", sollten Rotoren oberhalb des Weinfleckens gebaut werden. "Bitte Windkraft da, wo es Sinn macht. Da oben sterben tausende Bäume, während die Leute wegen ein paar Bäumen am Stuttgarter Hauptbahnhof fast ausgeflippt sind", polterte der Ex-Profi jüngst im Gemeinderat. Ein großer Artikel in der Lokalzeitung war ihm damit sicher. Nicht erwähnt wird darin, dass Müller ein exklusives Anwesen am Fuß der Buocher Höhe bewohnt.

Gerhard Brenner ärgert sich über derartige Polemik, die die Windkraftgegner mit dem Segen des Korber Bürgermeisters Jochen Müller auch wöchentlich im amtlichen Mitteilungsblatt verbreiten. Anlagenbetreiber müssten doch alle Eingriffe in die Natur ausgleichen, betont er. Bei Standorten im Wald seien Aufforstungen an anderer Stelle vorgeschrieben. Müller übertreibe zudem maßlos die Zahl der Bäume, die weichen müssten. Auch der Versuch, Windparks mit Reaktorkatastrophen gleichzusetzen, empört den Umweltschützer. "Was, wenn es im benachbarten Kernkraftwerk Neckarwestheim tatsächlich zum Super-Gau kommt? Dann fehlen Herrn Müller wohl die Worte", sagt Brenner.

Mitunter bleibt es nicht bei Polemik. "Weltweit gibt es zahlreiche Berichte bis zu Todesfällen im Zusammenhang mit dem von Windmühlen erzeugten tieffrequenten Schall", warnte Elmar Klein im September 2011 alle Bürgermeister und Gemeinderäte der Verbandsgemeinde Hexental südlich von Freiburg. Der unhörbare Infraschall rege "im Körper vielerorts Eigenschwingungen an, die bei Dauerwirkung dann zu den verschiedensten Gesundheitsschäden führen können", mahnte der damalige Vorsitzende der "Bürgerinitiative zum Schutz des Hochschwarzwaldes". Als die Empfänger des Brandbriefs Belege forderten, für die tödliche, von Windturbinen ausgehende Gefahr, musste Klein passen.

Dennoch geistert der Infraschall-Horror weiter durchs Netz, ist das "Windturbinen-Syndrom" (WTS) Topthema unter Windmühlen-Gegnern. Auf Webportalen schildern "Windkraft-Opfer" ihre Beschwerden, die von Kopfschmerz, Übel- und Schlaflosigkeit bis zu Herzrasen reichen. Ebenso litten Tiere an Missbildungen, Totgeburten, Aggressivität, Verlust von Sozialverhalten und anderen Verhaltensstörungen. "Pferde brechen aus und gehen durch Zäune, Hunde verkriechen sich", sagen Jutta Reichardt und Marco Bernadi. In ihren Vorträgen behaupten die "windwahn.de"-Betreiber auch, dass schon die Nazis Gefangene mit Infraschall folterten.

Wie gefährlich das "Windturbinen-Syndrom" ist, hat aus Sicht der Gegner Nina Pierpont bewiesen. In ihrem 2009 erschienenen Buch beschreibt die amerikanische Ärztin das Krankheitsbild "Visceral Vibratory Vestibular Disturbance", übersetzt: "Vibrationsbedingte Störung des Gleichgewichtsorgans". Auch in Deutschland berufen sich einzelne, windkraftkritische Ärzte auf Pierponts Studie, die es für 18 US-Dollar in neun Sprachen online zu kaufen gibt. Inzwischen tritt die Autorin weltweit bei Kampagnen gegen Windkraft als Sachverständige auf.

"Die Studie ist lediglich auf Grundlage von 23 Telefonaten ohne begleitende medizinische Untersuchungen oder akustische Messungen durchgeführt, bislang nicht in Fachmedien publiziert und in der Fachwelt nicht anerkannt", betont die baden-württembergische Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Natur (LUBW). Nach Stand der Wissenschaft seien gesundheitsschädliche Wirkungen durch Windkraftanlagen nicht zu erwarten. Verglichen mit Autos oder Flugzeugen erzeugten die Rotoren sogar weniger Infraschall. Und schon in wenigen hundert Metern Entfernung ließen sich die Geräusche einer Windmühle nicht mehr vom Wind- und Blätterrauschen unterscheiden, so die Behörde, die bundesweit als führend bei Erforschung von Tieffrequenz-Wirkungen gilt.

Wissenschaftler der Universität Sydney untersuchten vor kurzem den Zusammenhang von Windkraftanlagen und Beschwerden über dadurch ausgelöste Gesundheitsprobleme. <link https: theconversation.com new-study-wind-turbine-syndrome-is-spread-by-scaremongers-12834 external-link-new-window>Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Bis zum Jahr 2008 gab es Berichte über Gesundheitsprobleme im Umfeld von WEAs nur sporadisch. 2009 stiegen diese sprunghaft an – kurz nach der Veröffentlichung des Buches von Nina Pierpoint. Wie es scheint, hat das Buch selbst deutlich stärker zu Gesundheitsproblemen beigetragen als die Windturbinen – was die Wissenschaft als Nocebo-Effekt bezeichnet.

Andere sagen deutlicher, was sie vom Windturbinen-Syndrom halten. "Es ist eine Erfindung von Nina Pierpont, für die es null Beweise gibt. Und ihre Hauptunterstützer sind Leute, die keine großen Metallkonstrukte von ihrem Haus aus sehen wollen oder für die Öl- und Kohleindustrie arbeiten", heißt es im Pseudowissenschaftsportal RationalWiki.

Das hält Medien nicht davon ab, das Thema immer wieder in bester Boulevardmanier aufzugreifen. Unter der Überschrift "Macht der Infraschall von Windenergieanlagen krank?" befeuerte "Die Welt" Anfang März die Debatte. Wirtschaftsredakteur Daniel Wetzel berichtete von einer dänischen Nerzfarm in der Nähe eines Windparks, wo sich die Tiere gegenseitig totbeißen würden. Aus Angst vor Gesundheitsschäden würden in Dänemark kaum noch Windenergieanlagen gebaut, so der Bericht weiter.

Kannibalismus, Ausbaustopp: Der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) wollte es genau wissen, und bat die dänische Botschaft in Berlin um eine Stellungnahme. Diese übermittelte eine <link http: www4.lubw.baden-wuerttemberg.de servlet is _blank external-link>Antwort der dänischen Energieagentur. Darin wird klargestellt, dass die Aussagen des "Welt"-Artikels nicht bestätigt werden können. Weder sei der WEA-Zubau zum Erliegen gekommen noch gebe es negative Folgen für die Nerzproduktion.

Anfang Juni machte auch "Spiegel-TV" Stimmung. Unter dem Titel "Krank durch Infraschall. Der stumme Lärm der Windräder" zeigte das Magazin ein vermeintlich zerstörtes Schwarzwald-Idyll bei St. Peter: Verstörte Pferde, kranke Kühe und eine Familie, die den Bauernhof verlassen müsse, weil sechs Windräder in der Nähe rotieren. "Infraschall kann Böden und Wände in Schwingungen versetzen. Diese Vibrationen wirken je nach Stärke wie ein Mini-Erdbeben", suggeriert der Off-Ton Bedrohliches, was die Bilder von friedlich wiederkäuenden Rindern und neugierigen Rössern so nicht zeigen. Journalistische Sorgfalt übte die Autorin nicht: Der Gaggenauer Arbeitsmediziner Bernhard Voigt, der regelmäßig bei Windkraftgegnern auftritt, durfte im Film die Zahl der Infraschall-Betroffenen in Deutschland Pi-mal-Daumen schätzen: "Sagen wir mal so um die 20 Prozent".

Erst gar nicht zu Wort kamen in "Spiegel TV" Experten mit konträrer Meinung. Etwa der LUBW-Physiker Ulrich Ratzel, der im März auf einer Veranstaltung im württembergischen Langenburg von einem Dutzend Windkraftgegnern niedergebrüllt wurde, als er "zwölf schlichtweg falsche Punkte" in Voigts dortigem Vortrag klarstellen wollte. "Spiegel TV" bemühte sich auch nicht zu Nachbarn der Windkraft-Opfer, auf dessen Grund die Rotoren stehen. Vielleicht, weil diese Bauern keinen Grund zu klagen haben. "Unsere Kühe haben kein Problem mit Windturbinen", sagt einer von ihnen.

Mittlerweile gibt es im Internet Anleitungen, Windkraftpläne auf politischer Ebene zu torpedieren. Auf dem Portal des "Europäischen Instituts für Klima und Energie" (EIKE) schildert Sven Johannsen, wie sie mit Hilfe des Baugesetzbuches zu verhindern sind. Der "Sachverständige", der ebenfalls im "Spiegel TV"-Beitrag auftrat, ist gefragter Redner und Berater von Windgegner-Initiativen. EIKE wiederum gilt als Plattform der deutschen Klimaskeptiker-Szene. Vereinspräsident Holger Thuss, ein Jenaer CDU-Lokalpolitiker, ist zugleich Gründer von CFACT Europe, dem Ableger des amerikanischen "Committee for a Constructive Tomorrow", das 2008 mit fast 600 000 Dollar zu den größten Spendenempfängern des Ölkonzerns ExxonMobil gehörte.

Auch Fritz Vahrenholt, der prominenteste Klimaskeptiker hierzulande, will die Windkraft stoppen. Als SPD-Mitglied brachte er es zum Umweltsenator in Hamburg, Ende der neunziger Jahre wechselte er als Manager zum Ölkonzern Shell, später zum Kohle- und Atomkonzern RWE, wo er bis März 2014 im Aufsichtsrat eines Tochterunternehmens saß. Anfang 2012 veröffentlichte er "Die kalte Sonne", ein Buch mit klimaskeptischen Thesen und der Forderung, den Umbau des Energiesystems aufzuschieben. Im August 2012 übernahm Vahrenholt den Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. In deren Namen forderte er im November 2014 einen Baustopp für WEAs in Wäldern und begründete dies mit Studienergebnissen, wonach sich etwa der Brutbestand des Schwarzstorchs am hessischen Vogelsberg nach dem Bau von Windkraftanlagen innerhalb von sechs Jahren halbiert habe. Eine <link http: www.erneuerbareenergien.de klimaskeptiker-vahrenholt-beauftragt-studie-gegen-wind-im-wald _blank external-link>Energieagentur deckte auf, dass die verwendeten Daten der Stiftungsstudie frisiert wurden und tatsächlich keine wissenschaftliche Begründung für einen Ausbaustopp liefern. Zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen auch zwei aktuelle Untersuchungen im Westerwald. Das <link http: www.nnp.de lokales limburg_und_umgebung _blank external-link>Monitoring im Auftrag der Kreisverwaltung zeigt, dass WEAs Schwarzstörche nicht gravierend stören. 

Mit Udo Ulfkotte mischt auch ein Rechtspopulist im Kampf gegen die Windenergie mit. Im Newsletter des Rottenburger Kopp-Verlags behauptete er unter anderem, dass Windräder dem Klima schadeten. Wenn in den Vereinigten Staaten auch nur zehn Prozent der benötigten Energie durch Windkraft gewonnen würden, führe dies zu einem Temperaturanstieg um mindestens ein Grad. Denn die Windräder bremsten den natürlichen Luftaustausch.

Zum Glück hat der Kopp-Verlag auch eine Alternative zur bösen Windkraft im Sortiment: ein Buch über freie Energie, die nahezu unerschöpflich im uns umgebenden Raum mittels spezieller Maschinen verfügbar sein soll. Dumm nur, dass deren Nutzung bislang durch den Einfluss der Energiewirtschaft unterdrückt wird – diesmal von der Erdöl-, Kohle- und Kernkraftindustrie.


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55 Kommentare verfügbar

  • Klaus-Peter Kolling
    am 07.10.2017
    Antworten
    Ausgerechnet der. ..
    Eigentlich ist es völlig gleich welche Argumente gegen die Windenergie angeführt werden, die Befürworter sitzen in Wolkenkuckuksheim und setzen sich über die Physik hinweg. Schlimmer noch, sie tun so als ob die paar Prozente CO2 Einsparung das Weltklima retten. Brasilien hat…
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