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StaMi-Akten zu Stuttgart 21

"Das kann das Aus für S 21 bedeuten"

StaMi-Akten zu Stuttgart 21: "Das kann das Aus für S 21 bedeuten"
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Die Dokumente zur Stuttgart-21-Schlichtung machen nur einen kleinen Teil der jüngst eingesehenen Akten des baden-württembergischen Staatsministeriums aus, sind aber überaus brisant. Denn sie zeugen von einem sehr taktischen Verhältnis der Mappus-Regierung zur Wahrheit.

War die Einberufung eines Schlichters Geißler "das Schlaueste, was Mappus nach dem 30. September tun konnte", wie Maybrit Illner im ZDF-"heute-journal" kurz nach dessen Regierungserklärung vom 6. Oktober 2010 formulierte? Tatsächlich wandelte sich im Laufe des S-21-Faktenchecks die – zumindest in Umfragen ermittelte – öffentliche Meinung zum Projekt Stuttgart 21: Während das Institut Forsa im August 2010 noch 54 Prozent Projektgegner:innen und 26 Prozent Projektbefürworter:innen ermittelte, waren es schon nach dem Beschluss zur Schlichtung am 6. Oktober nur noch 46 zu 43, nach Ende der Schlichtung Anfang Dezember dann sogar 54 Prozent pro und nur noch 38 Prozent der Befragten contra S 21. Die von dem ehemaligen Richter Dieter Reicherter nun eingesehenen Akten aus dem baden-württembergischen Staatsministerium (hier zum Download) zeigen allerdings, dass die Regierung um Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) davon keineswegs überzeugt – und deshalb zu erheblichen Täuschungen bereit war (mehr dazu im Artikel Mappus' Manipulationen).

Die betreffenden Dokumente umfassen zwei Notizen eines "Abteilungsleiter I", beide überschrieben mit "Stuttgart 21 – weiteres Verfahren nach der Schlichtung", die erste vom 10. November 2010 und als "vertraulich" gekennzeichnet, die zweite vom 23. November 2020 und ohne eine entsprechende Einordnung. Bemerkenswert an der ersten ist zweierlei: zum einen der unverhohlene Versuch, den Schlichter Heiner Geißler zu beeinflussen ("Es wäre hilfreich, wenn der Schlichterspruch vorab zwischen dem Schlichter und den Projektträgern (vertraulich) abgestimmt werden könnte"), zum anderen die Kenntnis von Mängeln des Projekts.

Mappus wollte Heiner Geißler manipulieren

Unterschieden wird zwischen "strategischen" und "taktischen" Zielen: "Strategisch muss unser Ziel sein, dass ein (positiver) Schlichterspruch möglichst breite Akzeptanz findet und als Kompromiss möglichst unangreifbar ist". Ein "respektabler" Spruch sei "quasi die 'Lebensversicherung'" für die Landesregierung. Und "taktisch", so heißt es, "können wir diese strategische Zielsetzung auch dazu nutzen, um konkrete (allerdings auch kostenträchtige) Verbesserungen am Gesamtkonzept zu erreichen."

Die Abstimmung mit Geißler gelang nicht, wie in der zweiten Notiz eingeräumt wurde ("Dr. Geißler legt Wert auf seine Unabhängigkeit"). Um vorsorglich auszuschließen, von Geißler unter Druck gesetzt werden zu können, hatte Mappus indes schon früh während der Schlichtung betont, kein Ergebnis zu akzeptieren, das eine Beendigung von S 21 fordere. Was bleibt, ist also Mappus' Versuch, auf ein von ihm forciertes und nach außen der Transparenz verpflichtetes Verfahren auf nicht transparente Weise Einfluss zu nehmen.

In die Kategorie "Man ahnte es, aber es fehlte der Beleg" fällt wiederum das Eingeständnis, "das S-21-Konzept hat in Einzelpunkten Eng- und u.U. auch Schwachstellen (z.B. 2. Gleis Flughafen, Rohrer und Wendlinger Kurve), bei denen – v.a. mit Blick auf die Kosten – ein Nachsteuern 'im Windschatten' des Schlichtungsspruches vorteilhaft sein könnte". In der politischen Darstellung wären "solche Verbesserungen" dann "nicht einem Defizit des Konzeptes geschuldet, sondern einem Kompromiss zur Herstellung von Akzeptanz; für Kostensteigerungen könnten dann auch die Projektgegner in eine Mitverantwortung genommen werden."

Probleme waren bekannt und wurden vertuscht

In der zweiten Notiz werden die Mängel noch einmal umfangreicher aufgelistet – man rechnet mit folgenden Verbesserungsvorschlägen Geißlers: Da geht es unter anderem um das "2. Gleis Flughafen", das "2. Gleis Wendlinger Kurve", "Erhalt Gäubahn", "behindertengerechte Verbesserungen" und "Sicherheitsfragen: insbes. Gefälle".

Die Aussicht, für "Verbesserungen" könnten die "Projektgegner in Mitverantwortung genommen werden", hat sich mittlerweile zum Teil bewahrheitet – mit der kuriosen Note, dass daraus größtenteils nicht erhöhte Belastungen fürs Projektbudget folgten, sondern die Verbesserungen in Extra-Töpfe mit neu auszuhandelndem Etat ausgelagert wurden. Der 2019 beschlossene Ausbau der Großen Wendlinger Kurve etwa, den der projektkritische Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ebenso vorantrieb wie den Erhalt der Gäubahn. Auch die miserabel geplante Anbindung der Gäubahn an den Flughafen auf den Fildern führte nicht etwa zu einem Projekt-Stopp, sondern zur so kreativen wie hochproblematischen Neuplanung eines 11,5 Kilometer langen Gäubahntunnels, der die alte Planfeststellung an dieser Stelle obsolet macht. Dem Tunnel kommt zwar auch ein Teil des Projektbudgets zugute, aber bei Weitem nicht so viel, dass er damit finanziert wäre – auch hier also wieder ein neuer Extra-Topf.

So gesehen trat auch folgende Befürchtung der Mappus-Regierung nicht ein: "… ein im Grundsatz positiver Schlichterspruch (kann, d. Red.) für das Projekt das Aus bedeuten, wenn weit reichende Bedingungen gestellt werden. Sollten z.B. planfestgestellte Vorhabenteile geändert werden, ist dies problematisch."

Problematisch wurde eher, dass die Projektfans in der Politik auch nach der Schlichtung in vollem Wissen um die Mängel weiter für das "bestgeplante Projekt" trommelten und das Parlament ebenso wie die Öffentlichkeit systematisch täuschten, mit bekannten Folgen plebiszitärer Natur 2011 sowie 2013, als S 21 ein letztes Mal ernsthaft auf der Kippe stand.


Zum Nachlesen hier die vertraulichen Notizen aus dem Staatsministerium, Teil I: Schlichtung. Die Akten, die den Untersuchungsausschuss zum Schwarzen Donnerstag am 30. September 2010 betreffen, folgen in der kommenden Kontext-Ausgabe.


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4 Kommentare verfügbar

  • Rolf Hönes
    am 17.08.2022
    Antworten
    Und unser greener Minischterpräsidend war heute in Ludwigsburg zu Gast. Hat sich begeistert gezeigt über die vielen Bäume in der Innenstadt. Die zwar zum größten Teil erst noch gepflanzt werden müssen, also die bekannten Absichtserklärungen. Und in Stuttgart schaut er zu, wie die am Bahnhof…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 9 Stunden
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