Auch während der acht Runden des Faktenchecks, die am 22. Oktober unter enormem Medienrummel beginnen, erweckt Geißler immer wieder den Anschein, große Sympathie für die Positionen der Projektgegner zu haben. Am Ende lässt er es dennoch nicht darauf ankommen, eine Ablehnung der Landesregierung und der Bahn zu riskieren, und präsentiert am 30. November einen Schlichterspruch, in dem er für einen Weiterbau von Stuttgart 21 plädiert, allerdings mit einer Liste zahlreicher Verbesserungen, als "Stuttgart 21 plus".
Für das Gros der Kopfbahnhofbefürworter sind dies nicht mehr als kosmetische Korrekturen, die am Kern ihres Protests vorbeigehen und ihnen das Projekt keinen Deut erträglicher machen. Für die S-21-Betreiber bedeuten die geforderten Nachbesserungen indes keine völlig unerträglichen Zumutungen – zumal aus ihren Reihen schon unmittelbar im Anschluss an Geißlers Spruch zu hören ist, zunächst müsse die Durchsetzbarkeit und Finanzierbarkeit geprüft werden.
Vor Kurzem wurde Heiner Geißler vom SWR-Chefreporter Thomas Leif befragt, wie er denn seine Stuttgart-21-Schlichtung vor fünf Jahren beurteilt. Enttäuscht schien er unter anderem darüber, dass "Teile des Schlichterspruchs nicht oder noch nicht realisiert wurden". Was Geißler dabei freilich nicht sagte: dass dies zum einen auch daran liegt, dass Teile seines Spruchs von vornherein realitätsfern und nicht umsetzbar waren – etwa die Maßgabe, keinen Baum im Schlossgarten mehr zu fällen, sondern allenfalls zu verpflanzen, oder die Forderung nach einem neunten und zehnten Gleis für den Tiefbahnhof –, zum anderen daran, dass seine Forderungen nie rechtlich bindend waren. Was er im Übrigen selbst vor fünf Jahren in der Vorrede zu seinem Spruch betont hatte. War also, so betrachtet, alles für die Katz?
Die Ambivalenz der "Schlichtung"
Nicht erst heute, nach fünf Jahren, sondern schon kurz nach ihrem Abschluss am 30. November 2010 hatte die "Schlichtung" etwas höchst Ambivalentes. Auf der einen Seite machte sie zum ersten Mal eine große mediale Öffentlichkeit mit den eklatanten Mängeln in der Planung von Stuttgart 21 – ob bei Brandschutz und Betriebsqualität – sowie mit der Alternativmöglichkeit K 21 vertraut. Sie befreite S 21 von vielen Fortschrittsbehauptungen und platten Werbeslogans, indem sie selbst Vertreter der Projektbetreiber deren Irrelevanz einräumen ließ. Anbindung an eine Magistrale Paris–Bratislava? Engstes Nadelöhr auf dieser Strecke? Verlagerung des Güterverkehrs? Spielt alles keine Rolle.
Sie schuf damit einen Fundus an Fakten und Erkenntnissen, hinter den man im Grunde nicht mehr zurückkann. Und nicht vergessen darf man, dass Geißlers eigener Anspruch, "alle Fakten auf den Tisch" zu bringen, oft nicht erfüllt wurde. Die "Frankfurter Geheimkammer" mit den Dokumenten zur Geologie blieb de facto geheim. Viele geforderte Dokumente wurden nicht geliefert. Bei zweifelhaften Punkten, in denen es um schwer kalkulierbare Risiken ging – Kostensteigerungen, Geologie, Mineralwasser –, folgte Geißler im Zweifelsfall den Gutachtern der Projektbetreiber.
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Andrea
am 01.11.2015