Doch damals, 1994, sei die Idee gewesen, "alles zu tun, um die Bahn zu stärken". Sagt Wissmann, der rückblickend dafür bekannt wurde, alles dafür getan zu haben, um die deutsche Autoindustrie zu stärken, zuletzt von 2007 bis 2018 als deren oberster Lobbyist, als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). In dieser Funktion setzte er sich auch nachdrücklich für die Zulassung von Gigalinern auf deutschen Straßen ein – also für eine weitere Verlagerung des Güterverkehrs von der Schiene auf die Straße.
In China geht das einfach viel schneller
So etwas hat beim Termin unter der grauen Kelchstütze keinen Platz, bisweilen widersprachen sich die S-21-Senioren aber trotzdem. Während Wissmann beklagte, dass die Umsetzungsphase für Großprojekte in Deutschland viel zu lang sei – er sei ja gerade in China gewesen, da ginge das viel schneller –, meinte Dürr, es sei ein Fehler gewesen, vor dem Baustart des (gerne als "bestgeplant" attributierten) Projekts nicht mehr und sorgfältiger geplant zu haben. Genauer: Man hätte erst anfangen sollen, so Dürr, wenn alle Bereiche planfestgestellt gewesen seien. In diesem Falle hätte man freilich noch gar nicht angefangen, denn für den Flughafen-Bahnhof steht die Planfeststellung immer noch aus. Möglicherweise hätte man dann auch irgendwann eingesehen, das Ganze lieber bleiben zu lassen.
Während, abgesehen von solch kleinen Zerknirschungen, die Verantwortlichen von einst in der Baugrube in ihren alten Verheißungen schwelgten, befassten sich am gleichen Tage ein paar Stunden später noch amtierende Funktionsträger mit den Mühen der Ebene in Sachen S 21. Und im Grunde mit den Folgen sowohl der von Dürr angesprochenen nicht abgeschlossenen Planung und der Kostensteigerungen, ob man die nun "natürlich" wie Wissmann nennen will oder nicht.
Wendlinger Kurve: Das programmierte Nadelöhr
Konkret: Verkehrsminister Winfried Hermann und die Landräte von Reutlingen, Tübingen und dem Zollernalbkreis unterzeichneten eine Absichtserklärung zur Finanzierung der sogenannten großen Wendlinger Kurve. Bei dieser handelt es sich um ein Verbindungsstück zwischen der Neubaustrecke (NBS) Stuttgart Ulm und der Bahnstrecke Plochingen-Tübingen, und die große unterscheidet von der kleinen, dass sie zweigleisig ausgebaut wird. Damit werde, so Hermann, "der ursprünglich geplante eingleisige Engpass vermieden".
Schon gut einen Monat vorher, am 3. Mai, hatten das Land und die Deutsche Bahn einen Realisierungs- und Finanzierungsvertrag für das zweite Gleis unterzeichnet. Ausgegangen wird momentan von Kosten von 100 Millionen Euro, wovon das Land 22,5 Millionen, der Verband Region Stuttgart (VRS) sowie der Region Neckar-Alb jeweils 11,25 Millionen aufbringen sollen, während der Bund die restlichen 55 Millionen "indirekt" beisteuert, wie das Landesverkehrsministerium verlauten lässt – indem der Bund seine Finanzhilfen für die Nahverkehrsanteile im Projekt S 21 an die gestiegenen Baupreise anpasst.
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Goldfrosch
am 19.09.2019