KONTEXT:Wochenzeitung
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Wer soll das bezahlen?

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Dass Stuttgart 21 teurer wird, ahnten Projektkritiker schon lange. Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Die Frage, wer diese Kosten nun übernehmen soll, wird wahrscheinlich vor Gericht geklärt werden.

Dass die Bahn nach 2012 die nächste offizielle Kostensteigerung verkünden würde, wusste man seit der letzten Sitzung des Lenkungskreises der S-21-Projektpartner Ende Oktober. Die Frage war nur, wie hoch sie ausfallen würde. Schätzungen dazu gibt es schon lange. Der Bundesrechnungshof taxierte das Projekt 2016 auf bis zu zehn Milliarden Euro, das Münchner Verkehrsberatungsbüro Vieregg & Rößler kam schon einige Monate zuvor, im Dezember 2015, auf etwa 9,8 Milliarden Euro (Kontext berichtete).

Zur Erinnerung: Schon 2008 hatte der Bundesrechnungshof Stuttgart 21 auf 5,3 Milliarden geschätzt, Vieregg & Rößler lag zur gleichen Zeit bei 6,8 Milliarden. Damals sprach die Bahn noch von 2,8 Milliarden, was sich kurz darauf schnell ändern sollte. 2009 korrigierte sie die Kosten erst auf 3,1 Milliarden, dann, kurz nach dem Amtsantritt des neuen Bahnchefs Rüdiger Grube, auf 4,1 Milliarden. Grube sagte im November 2009 auch, Stuttgart 21 sei unwirtschaftlich, wenn die Gesamtkosten über 4,5 Milliarden Euro lägen. Seit 2012 werden sie auf 6,5 Milliarden beziffert.

Einige Tage nach der Lenkungskreissitzung im vergangenen Oktober fragte Kontext Karlheinz Rößler, ob er damit rechne, dass die Bahn die von seinem Büro prognostizierten rund zehn Milliarden verkünden werde? "Nein, ich denke, dass sie noch einen Zwischenschritt einlegen wird, um sich nicht völlig zu blamieren", sagte Rößler damals, "es wird irgendwo zwischen sieben und acht Milliarden liegen." 7,6 Milliarden wurden es, wie wir seit dem 29. November wissen. 

Warum kommen Vieregg & Rößler ebenso wie der Bundesrechnungshof immer zu höheren, genaueren Zahlen als die Bahn? Laut Rößler liegt das an der "Struktur solcher Großprojekte". In der Genehmigungsphase, wenn es um die Bewilligung der Mittel geht, würden die Kosten heruntergerechnet, am Ende lägen sie oft ein Mehrfaches darüber. Ein Muster, das schon 2003 im Buch "Megaprojects and Risk", verfasst von dem dänischen Stadtplaner Bent Flyvbjerg, dem schwedischen Wirtschafts- und Verkehrswissenschaftler Nils Bruzelius und dem Karlsruher Wirtschaftswissenschaftler Werner Rothengatter, nachzulesen ist. Ein Satz daraus: "Dass Täuschung und Lüge als Taktik angewandt werden, um ein Projekt in Gang zu bringen, scheint am besten zu erklären, warum bei Infrastrukturprojekten die Kosten in hohem Maße und systematisch unterschätzt und Nutzeneffekte überschätzt werden." Eidechsenumsiedlungen verantwortlich zu machen oder plötzliche Kostensteigerungen wegen schwierigen Tunnelbohrens in Anhydritgestein – vor dessen Risiken die S-21-Gegner auch schon spätestens 2010 warnten –, ist also Humbug.

Nun, da die Bahn in Salamitaktik Kostensteigerungen einräumt, bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen? Dass S 21 ein zählebiges Milliardengrab ist, liegt auch an der trickreichen Finanzierungskonstruktion, die wiederum etwas mit den an das Projekt geknüpften Interessen zu tun hat. Die ureigenen der Bahn sind es nicht. Im Februar 1994 schrieb Ulf Häusler, Bahnvorstand im Unternehmensbereich Fahrweg, in einem Informationspapier zur Beantragung des Raumordnungsverfahrens für die Strecke Stuttgart-Ulm, dass sich ein neuer unterirdischer Durchgangsbahnhof "selbst bei der Addition günstigster Annahmen" nicht rechnen würde. Das stimmt bis heute. Teil des Bundesverkehrswegeplans, der die dringendsten und vorrangig umzusetzenden Infrastrukturprojekte auflistet, wurde S 21 deswegen nie.

Die Lösung: Man holt sich Projektpartner ins Boot, die ein großes Interesse an der Umsetzung haben – was damals auf Land, Region und Stadt Stuttgart gleichermaßen zutraf – und sich massiv an den Kosten beteiligen, und deklariert das Ganze als "eigenwirtschaftliches Unternehmen" der Bahn.

Besonderheit: Die öffentlichen Gelder fließen nicht direkt ins Projekt, sondern als Zuschüsse an die Bahn, damit diese das Projekt als eigenwirtschaftlich betrachten kann. Seit 2009 sind diese Beträge in einem Finanzierungsvertrag geregelt. Doch schon davor floss viel Geld, um die Bahn bei der Stange zu halten.

Eigentlich lag S 21 schon 1999 auf Eis

Denn schon 1999 hatte der damalige Bahnchef Johannes Ludewig kein Vertrauen in das Projekt und legte es auf Eis. Sein Nachfolger Hartmut Mehdorn hätte es vermutlich auch nicht wiederbelebt, wenn nicht Stadt und Land zum Anschub reichlich Geld locker gemacht hätten. Wie die Bahn das Prinzip der S-21-Finanzierung versteht, verrät dabei ein Dokument vom 11. Februar 2000 aus dem Stuttgarter Rathaus. Die Bundesregierung und die Bahn, so ist darin zu lesen, machten die Entscheidung über Stuttgart 21 abhängig davon, dass es gelänge, "ein positives betriebswirtschaftliches Ergebnis abzusichern, indem die Risiken der Grundstückerlöse sowie aus Verfahrens- und Baukostenentwicklung auf die Vertragspartner Land, Region und Stadt abgewälzt werden." Unterzeichnet ist das Dokument vom damaligen Stuttgarter OB Wolfgang Schuster (CDU), der darin auch einräumt, die Bahn habe sich trotz ihrer Forderung nach Abwälzung der Finanzierung geweigert, eine detaillierte Berechnung der Wirtschaftlichkeit vorzulegen, sondern habe dazu <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik tod-oder-leben-954.html internal-link-new-window>lediglich ein DIN-A4-Blatt vorgelegt.

Eine anmaßende Forderung, sollte man meinen – doch Stadt und Land sollten schon im Jahr darauf, 2001, ihren Beitrag leisten, der Bahn "ein positives betriebswirtschaftliches Ergebnis abzusichern": Die Stadt Stuttgart kaufte der Bahn vorzeitig die Gleisflächen ab, die durch den Bau des Tiefbahnhofs frei werden sollen – für rund 460 Millionen Euro. Und das, obwohl die Flächen frühestens im Jahr 2025 frei werden. Weswegen das Geschäft die Stadt zusammen mit dem Zinsverlust bis dahin über eine Milliarde Euro kosten würde. Dazu kommt noch ein beträchtliches Kostenrisiko für die Altlastensanierung der Gleisflächen, das manche Experten auf rund 600 Millionen Euro schätzen. Insgesamt käme der Anteil der Stadt an Stuttgart 21 damit also auf bis zu zwei Milliarden und nicht nur auf rund 300 Millionen, die im Finanzierungsvertrag festgeschrieben sind.

Ebenfalls 2001 vergab das Land einen mehrere hundert Millionen Euro schweren Nahverkehrsauftrag für zehn Jahre an die Bahn – ohne Ausschreibung und stark überteuert, wie viele Kritiker bemängelten. Als "kaschierte Subvention" bezeichnet dies etwa der Düsseldorfer Wettbewerbsrechtler Clemens Antweiler. Erst nach diesen Zuschüssen, im Oktober 2001, begann das Planfeststellungsverfahren für den Tiefbahnhof.

Selbst dieser kräftige Anschub brachte das Projekt noch nicht richtig zum Laufen. Den Geist der Risikenabwälzung trug auch das vom damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger forcierte <link http: www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de mediathek detail media memorandum-of-understanding mediaparameter show medium external-link-new-window>"Memorandum of Understanding", das im Juli 2007 von den Projektpartnern unterzeichnet und als endgültiger Durchbruch gefeiert wurde: In dem Dokument wurde festgehalten, dass der Bahn "aus der Realisierung des Gesamtvorhabens keine unkalkulierbaren Risiken entstehen" dürfen.

Finanzierungsvertrag regelt Kostenverteilung nur bis 4,5 Milliarden Euro

Genaueres regelte dann schließlich <link https: vm.baden-wuerttemberg.de fileadmin redaktion m-mvi intern dateien pdf stuttgart_21 finanzierungsvertrag_s21.pdf external-link-new-window>2009 der Finanzierungsvertrag, der die genauen Summen festlegte, die die Projektpartner zahlen – bis zu einem Finanzierungsrahmen/Gesamtkosten von 4,5 Milliarden Euro. Demnach sollten bis zu Gesamtkosten von 4,5 Milliarden Euro das Land 930 Millionen, die Stadt 292 Millionen, der Verband Region Stuttgart 100 Millionen und der Flughafen Stuttgart 227 Millionen Euro beisteuern.

Was passiert, wenn die Kosten den Betrag von 4,5 Milliarden übersteigen, ist im Finanzierungsvertrag nur vage geregelt, mit der vielzitierten "Sprechklausel": Die Projektpartner sollen dann miteinander darüber sprechen, wie man die zusätzlichen Kosten verteile.

Auf die Deckelung dieser Beiträge pochen nun, nach Bekanntwerden der neuen Kostensteigerung, unisono die Projektpartner Land, Region und Stadt – so wie sie es schon die vergangenen Jahre getan haben. Das ist ein riesiges Problem für die Bahn. Denn würde kein Geld mehr von den Partnern fließen, müsste sie alle Mehrkosten selbst finanzieren. Beim aktuellen Kostenstand wären das statt der ursprünglich vorgesehenen 1,8 Milliarden satte fünf. Die Bahn müsste also massiv eigene Mittel aufbringen.

Schon die Finanzierung der letzten eingeräumten Kostensteigerung Ende 2012 war nicht abgesichert, die neue ist es ebenso wenig. Deswegen klagte die Bahn AG auch im Dezember 2016 beim Verwaltungsgericht Stuttgart auf Übernahme der Mehrkosten durch die Projektpartner Land, Region und Stadt. Bislang gibt es dafür aber noch nicht einmal einen Verhandlungstermin, abgesehen davon könnte der Rechtsstreit über mehrere Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gehen.

Wie könnte ein Urteil hier aussehen? Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder zahlen die Projektpartner aus dem Land, oder es zahlt der Bund. Im ersten Fall würde dies bedeuten, dass der bis 4,5 Milliarden geltende Kostenschlüssel aus dem Finanzierungsvertrag beibehalten wird, da ja der Wille der Partner zu einer gemeinschaftlichen Finanzierung und Umsetzung des Projekts aus dem Vertrag spreche. Was Land und Co. mindestens eine Milliarde Euro Kostenübernahme bescheren würde.

Auch die grün-schwarze Landesregierung will nicht mehr zahlen

Sowohl Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Verkehrsminister Winfried Hermann als auch Stuttgarts OB Fritz Kuhn (alle Grüne) betonen aktuell ihr kategorisches Nein. Und den Grünen ist es immerhin gelungen, ihre harte Haltung in Finanzierungsfragen sogar mit den S-21-Fans von der CDU festzuschreiben. Das Land halte "in den Sprechklauselgesprächen am Ziel fest, dass über die im Vertrag genannten Kostenanteile in Höhe von 930,6 Millionen Euro hinaus keine Zahlungen zu leisten sind", heißt es im Koalitionsvertrag. Mit der neuerlichen Kostenexplosion erhöht sich aber der Druck auf die Projektpartner – immer unter der Voraussetzung, dass nicht jene Erfolg haben, die die Deutsche Bahn zur Rücknahme der Klage bewegen wollen. Erst kürzlich war Ex-Bahnchef Rüdiger Grube bei Ministerpräsident Kretschmann zu Gast. Über den Inhalt des Gesprächs haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart.

OB Fritz Kuhn argumentiert mit der Dimension der Steigerung. Derartige Summen könnten zur Entscheidung nicht auf den Tisch eines Richters gelegt werden. Wie sein Partreifreund und Tübinger Kollege Boris Palmer sieht auch Kuhn den Bund in der Pflicht, weil, so Palmer, die Mehrkosten nicht auf die BahnkundInnen umgelegt werden dürfen.

Trüge der Bund die Mehrkosten, würde dies übrigens auch einer Empfehlung des Bundesrechnungshofes von 2008 entsprechen: In seinem Bericht zu den S-21-Kosten wies dieser darauf hin, dass der Anteil des Bundes an der Projektfinanzierung nicht nur den immer wieder vom Bundesverkehrsministerium ins Feld geführten Festbetrag von rund 560 Millionen Euro ausmache, sondern rund 2,5 Milliarden. (<link https: www.kontextwochenzeitung.de politik die-vorrechner-1235.html internal-link-new-window>Kontext berichtete). Der Bund "trägt damit die Hauptlast der Finanzierung", argumentierten die Rechnungsprüfer, weswegen S 21 als Projekt des Bundes einzustufen sei. Und in diesem Fall sei auch der Nachweis des ordnungsgemäßen, wirtschaftlichen und sparsamen Mitteleinsatzes notwendig.

Die Frage ist, ob der Bund dieser Argumentation folgen würde. Und ob dies eher zu einer Beendigung des Projekts oder zu einem ewigen Weiterwursteln bei immer neuen Kostensteigerungen führen würde. Aber ob Land und Partner oder Bund zahlen, in beiden Fällen zahlt der Steuerzahler, mag das Geld dann auch in unterschiedlichen Töpfen fehlen.

Bahn veranschlagt verblüffend hohe Ausstiegskosten

Dass ein Ausstieg aus dem Projekt teurer sei als ein Weiterbau, soll zumindest das neue Kostengutachten der Bahn behaupten. Mit sieben Milliarden Euro Kosten für einen Projektabbruch rechnen die Gutachter. Wie diese Zahlen zustande kommen, ist freilich völlig unklar. Mit drei Milliarden Euro Ausstiegskosten argumentierte die Bahn nach den Kostensteigerungen 2013, 1,5 Milliarden waren es 2011 vor der Volksabstimmung, und Kritiker bemängelten in beiden Fällen, dass die Summen um ein Vielfaches übertrieben seien. "Ein Ausstieg aus Projekten, die schlechter sind als der Status quo, lohnt immer", sagt dagegen S-21-Gegner und Stuttgarter Stadtrat <link https: www.taz.de archiv-suche external-link-new-window>Hannes Rockenbauch (SÖS-Linke Plus) in der taz.

Der Umstieg auf einen modernisierten Kopfbahnhof sei immer noch deutlich billiger, hält Vieregg & Rößler dagegen. Die Münchner Verkehrsplaner hatten im Oktober 2016 das vom Aktionsbündnis erarbeitete <link http: www.umstieg-21.de external-link-new-window>Alternativkonzept "Umstieg 21" mit Stuttgart 21 verglichen. Ihr Ergebnis: 1,8 Milliarden Euro Ausstiegskosten und 1,2 Milliarden Euro für die Realisierung des Umstiegskonzepts. Auch mit den seit Oktober 2016 eingetretenen Baukostensteigerungen von 1,4 Milliarden Euro läge man aktuell noch 3,4 Milliarden unter den jetzt von der Bahn eingeräumten Stuttgart-21-Kosten, so Aktionsbündnis-Sprecher Werner Sauerborn.

Am 13. Dezember tagt der Aufsichtsrat der Bahn in Berlin, erst dann wird das neue Gutachten zu Kostensteigerungen und Bauzeitverlängerung offiziell vorgestellt. Das Aktionsbündnis will bis dahin eine präzisierte Kostenvergleichsrechnung zu Weiterbau und Umstieg präsentieren.

 

Kostenexplosion, längere Bauzeit: Als Hartmut Bäumer die neueste Entwicklung zu Stuttgart 21 hörte, hat es ihn in den Fingern gejuckt. Schließlich hat er genau dies schon bei seinem Abschied als Amtsleiter im Verkehrsministerium 2014 vorausgesagt. Bäumer, Rentner und stellvertretender Vorsitzender von Transparency International Deutschland, hat niedergeschrieben, warum der Stuttgarter Tiefbahnhof ein Lehrbeispiel für fehlende Transparenz und deren Folgen ist. 

<link https: www.kontextwochenzeitung.de fileadmin content kontext_wochenzeitung dateien hartmut_baeumer_-_aus_fehlern_lernen__kontext_349.pdf internal-link-new-window>Hier gibt's seinen Text "Aus Fehlern lernen" als PDF.

 


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8 Kommentare verfügbar

  • David Sohn
    am 06.12.2017
    Antworten
    Das Prinzip Merkel aka S24 hat eine hat ja eine nette Historie.
    NDS hat zum Bimbes-Kohl auch ein Kommentar dazu.
    http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Bimbes-Die-schwarzen-Kassen-des-Helmut/Das-Erste/Video?bcastId=799280&documentId=48136314
    Wer diesen Film (Hut ab ARD, wenn auch…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 11 Stunden
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