Warum kommen Vieregg & Rößler ebenso wie der Bundesrechnungshof immer zu höheren, genaueren Zahlen als die Bahn? Laut Rößler liegt das an der "Struktur solcher Großprojekte". In der Genehmigungsphase, wenn es um die Bewilligung der Mittel geht, würden die Kosten heruntergerechnet, am Ende lägen sie oft ein Mehrfaches darüber. Ein Muster, das schon 2003 im Buch "Megaprojects and Risk", verfasst von dem dänischen Stadtplaner Bent Flyvbjerg, dem schwedischen Wirtschafts- und Verkehrswissenschaftler Nils Bruzelius und dem Karlsruher Wirtschaftswissenschaftler Werner Rothengatter, nachzulesen ist. Ein Satz daraus: "Dass Täuschung und Lüge als Taktik angewandt werden, um ein Projekt in Gang zu bringen, scheint am besten zu erklären, warum bei Infrastrukturprojekten die Kosten in hohem Maße und systematisch unterschätzt und Nutzeneffekte überschätzt werden." Eidechsenumsiedlungen verantwortlich zu machen oder plötzliche Kostensteigerungen wegen schwierigen Tunnelbohrens in Anhydritgestein – vor dessen Risiken die S-21-Gegner auch schon spätestens 2010 warnten –, ist also Humbug.
Nun, da die Bahn in Salamitaktik Kostensteigerungen einräumt, bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen? Dass S 21 ein zählebiges Milliardengrab ist, liegt auch an der trickreichen Finanzierungskonstruktion, die wiederum etwas mit den an das Projekt geknüpften Interessen zu tun hat. Die ureigenen der Bahn sind es nicht. Im Februar 1994 schrieb Ulf Häusler, Bahnvorstand im Unternehmensbereich Fahrweg, in einem Informationspapier zur Beantragung des Raumordnungsverfahrens für die Strecke Stuttgart-Ulm, dass sich ein neuer unterirdischer Durchgangsbahnhof "selbst bei der Addition günstigster Annahmen" nicht rechnen würde. Das stimmt bis heute. Teil des Bundesverkehrswegeplans, der die dringendsten und vorrangig umzusetzenden Infrastrukturprojekte auflistet, wurde S 21 deswegen nie.
Die Lösung: Man holt sich Projektpartner ins Boot, die ein großes Interesse an der Umsetzung haben – was damals auf Land, Region und Stadt Stuttgart gleichermaßen zutraf – und sich massiv an den Kosten beteiligen, und deklariert das Ganze als "eigenwirtschaftliches Unternehmen" der Bahn.
Besonderheit: Die öffentlichen Gelder fließen nicht direkt ins Projekt, sondern als Zuschüsse an die Bahn, damit diese das Projekt als eigenwirtschaftlich betrachten kann. Seit 2009 sind diese Beträge in einem Finanzierungsvertrag geregelt. Doch schon davor floss viel Geld, um die Bahn bei der Stange zu halten.
Eigentlich lag S 21 schon 1999 auf Eis
Denn schon 1999 hatte der damalige Bahnchef Johannes Ludewig kein Vertrauen in das Projekt und legte es auf Eis. Sein Nachfolger Hartmut Mehdorn hätte es vermutlich auch nicht wiederbelebt, wenn nicht Stadt und Land zum Anschub reichlich Geld locker gemacht hätten. Wie die Bahn das Prinzip der S-21-Finanzierung versteht, verrät dabei ein Dokument vom 11. Februar 2000 aus dem Stuttgarter Rathaus. Die Bundesregierung und die Bahn, so ist darin zu lesen, machten die Entscheidung über Stuttgart 21 abhängig davon, dass es gelänge, "ein positives betriebswirtschaftliches Ergebnis abzusichern, indem die Risiken der Grundstückerlöse sowie aus Verfahrens- und Baukostenentwicklung auf die Vertragspartner Land, Region und Stadt abgewälzt werden." Unterzeichnet ist das Dokument vom damaligen Stuttgarter OB Wolfgang Schuster (CDU), der darin auch einräumt, die Bahn habe sich trotz ihrer Forderung nach Abwälzung der Finanzierung geweigert, eine detaillierte Berechnung der Wirtschaftlichkeit vorzulegen, sondern habe dazu lediglich ein DIN-A4-Blatt vorgelegt.
8 Kommentare verfügbar
David Sohn
am 06.12.2017NDS hat zum Bimbes-Kohl auch ein Kommentar dazu.
http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Bimbes-Die-schwarzen-Kassen-des-Helmut/Das-Erste/Video?bcastId=799280&documentId=48136314
Wer diesen Film (Hut ab ARD, wenn auch…