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Abgrundtief dämlich

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Wahnsinn. Der Tiefbahnhof wird teurer. Wer hätte das gedacht? Unser Autor schon. In seinem Exklusivbeitrag für Kontext verrät er, dass er mit Vergnügen beim Einstürzen der "vielen Lügengebäude" zuschaut. Bis zum Scheitern von Stuttgart 21.

Irre! Krass! Stuttgart 21 soll eine Milliarde mehr kosten! Die Bauzeit wird länger! Unglaublich! Ist das denn die Möglichkeit? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Eine Frechheit, eigentlich. Langsam reicht's jetzt aber mal!

So ungefähr lesen sich die Pressemeldungen der letzten Tage. Den Zigtausenden von Aktivistinnen und Aktivisten aber, die seit mehr als zehn Jahren gegen Deutschlands teuerstes, sinnlosestes, korruptestes, kriminellstes und dümmstes Infrastrukturprojekt protestieren, entlockt die abermalige Steigerung allenfalls ein müdes Achselzucken.

Denn es ist keine Überraschung, dass Stuttgart 21, eine gigantische Gelddruckmaschine für die Bau-und Immobilienwirtschaft, noch teurer wird. Es wurde lediglich und zum wiederholten Male etwas zugegeben, was schon lange bekannt war. 2016 wurden vom unabhängigen Bundesrechnungshof Projektkosten von neun bis zehn Milliarden Euro kalkuliert. Es ist also noch viel Luft nach oben für die nächsten Kostenexplosionen, die natürlich kommen werden.

Diese Taktik der häppchenweisen Wahrheitsvermittlung hat Methode. Da es nachvollziehbare Argumente, die zumindest noch eine Debatte über das Unglücksprojekt am Laufen halten würden, schon lange nicht mehr gibt, wendet man seit Jahren ein ritualisiertes Lügen-Muster an: faktenbasierte Kritik wird reflexartig abgeräumt und danach einfach das Gegenteil behauptet.

Kostensteigerungen? Gibt's keine. Wirtschaftlichkeit? Ist gewährleistet. Leistungsrückbau? Findet nicht statt. Ungenügender Brandschutz? Nicht bei S 21. Tunnelbau-Probleme wegen Anhydrit? Wird halt eine Endlosbaustelle. Nicht eingehaltene Zeitpläne? Das habt ihr falsch verstanden. Unzulässige Gleisneigung? Geschenkt. Jahrzehnte Dreck und Baulärm für nichts? New York wurde auch nicht an einem Tag gebaut. "Klimakiller S 21"? Wo gehobelt wird, fallen Bäume. Verkehrsprojekt statt Bahnprojekt? Wir sind halt auch ein Autoland.

Was dann folgt, ist ebenfalls bekannt: Alle Kritikpunkte werden kleinlaut eingestanden, mit hilflosen, auch lächerlichen Begründungen wird die Flucht nach vorne angetreten, um Zeit zu gewinnen.

Kostensteigerungen? Sorry, wegen gestiegener Materialkosten. Wirtschaftlichkeit? Na ja, aber Wachstum muss halt sein. Leistungsrückbau? Zugegeben, aber das Projekt ist alternativlos. Ungenügender Brandschutz? Ok, es gibt ein paar Fluchttreppen mehr. Tunnelbau-Probleme wegen Anhydrit? Merken wir jetzt auch, aber schafft auf ewig Nachbesserungsbedarf und Jobs! Nicht eingehaltene Zeitpläne? Ärgerlich, aber dann freut man sich später umso mehr. Unzulässige Gleisneigung? Problematisch, aber es gibt ja Handbremsen! Jahrzehnte Dreck und Baulärm für nichts? Ist hart, aber auch das Nichts hat irgendwann ein Ende. "Klimakiller S 21"? Schlimm, aber das Klima kann auch später gerettet werden. Verkehrsprojekt statt Bahnprojekt? War anders geplant, aber mehr Autos schaffen auch mehr Arbeitsplätze!

Wir erleben einen Kollaps der Vernunft, ein Versagen von sich wegduckender Politik, eine Offenbarung von unkritischem Journalismus. Die meisten Zeitungen berichten gar nicht mehr über die unzähligen Skandale um S 21, und wenn, dann meistens in Form von tendenziösen Artikeln, die Wesentliches unterschlagen, oder schlicht die Befürworter-Argumente übernehmen. Gelegentliches Aufwachen – siehe die vergangenen Tage – bestätigt nur die Regel.

Kretschmann leiert unermüdlich sein Lieblings-Mantra herunter

Die typischste Politik-Variante des unkritischen und denkfaulen Begleitens liefert aber immer noch Winfried Kretschmann. Was auch immer vorfällt, unermüdlich leiert er sein Lieblings-Mantra herunter: "Es gab eine Volksabstimmung, und die ist bindend". Ich erinnere mich noch genau daran, wie 2011 ganz Stuttgart mit Plakaten zugepflastert wurde, auf denen nur eine Zahl stand: die vier. Gemeint waren 4,5 Milliarden, die versprochene Obergrenze, die zu bekanntem Abstimmungsergebnis führte. Diese Voraussetzung ist aber schon lange entfallen. Sich in Anbetracht der Verdoppelung der Kosten immer noch auf die Volksabstimmung zu berufen, ist nicht nur unstatthaft, es ist abgrundtief dämlich. Das begreift eigentlich jedes Kind. Nur nicht der Ministerpräsident.

Aber wir Gegner*innen werden immer gelassener. Es kommt ja eh immer so, wie wir es seit Jahren voraussagen. Es macht inzwischen sogar Spaß, den vielen Lügengebäuden beim Einstürzen zuzuschauen. Die sich bisher am hartnäckigsten haltende Unwahrheit ist die "Alternativlosigkeit des Weiterbaus", wegen angeblich zu hohen Ausstiegskosten. Schwer zu ertragen ist, wie ehemalige Gegner des Projekts wie Tübingens OB Palmer inzwischen die finanzökonomische Geisteswende vollzogen haben und für den Fall, dass nicht weitergebaut wird, von "Vernichtung von Arbeitsleistung und Volksvermögen" schwadronieren. Dabei weiß er ganz genau, dass es längst ein schlüssiges Umstiegskonzept gibt: Aussteigen kann man demnach jederzeit, man würde Milliarden sparen und der bisher geringe Baufortschritt von S 21 könnte in einen sinnvollen, leistungsfähigen und wirtschaftlichen Bahnhofsneubau umgeleitet werden.

Großprojekte können scheitern, das zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf wurde nicht in Betrieb genommen, das Kernkraftwerk Wyhl erst gar nicht gebaut. Und der Schnelle Brüter in Kalkar ist ein Milliardenprojekt, das inzwischen als Freizeitpark dient.

Auch das Rückbauprojekt Stuttgart 21 wird letztlich scheitern - in der Bauphase oder spätestens dann, wenn es nicht funktioniert. Dafür sorgen die technischen Fakten, die immer mehr benötigten Milliarden, und dafür sorgt vor allem die außerparlamentarische Widerstandbewegung. Mit ihrem öffentlichen Druck gegen ein Projekt, bei dem es immer um Baugrundstücke für Gutverdiener und schnellen Profit für wenige ging, und nie um einen fortschrittlichen Bahnhof für viele.

Mitte Januar wird in Stuttgart vor Tausenden von engagierten Bürger*innen die 400ste Montagsdemonstration gefeiert werden. Die Bewegung tut das in dem Bewusstsein, sich mit großen Schritten ihrem Ziel zu nähern: dieses Steuermilliarden fressende Monstrum zu besiegen. Ich jedenfalls freue mich auf die nächsten Monate: Denn der Bahnhof wird oben bleiben!

Volker Lösch, Jahrgang 1963, ist Regisseur und Aktivist. Zusammen mit Walter Sittler hat er 2010 den "Schwabenstreich" erfunden. Bei der 400. Montagsdemo am 15. Januar tritt er als einer der Hauptredner auf.


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12 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 10.12.2017
    Antworten
    Dämlich? Abgrundtief? (Tief) Weit zurück geblickt, in das beginnende Jahr 2011 - mit diesem Artikel daran erinnert.

    Schwarzwälder Boten vom So. 02.01.2011 04:45 Uhr Landtagswahl2011 | Im Land der fliegenden Teppiche…
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