Diese Taktik der häppchenweisen Wahrheitsvermittlung hat Methode. Da es nachvollziehbare Argumente, die zumindest noch eine Debatte über das Unglücksprojekt am Laufen halten würden, schon lange nicht mehr gibt, wendet man seit Jahren ein ritualisiertes Lügen-Muster an: faktenbasierte Kritik wird reflexartig abgeräumt und danach einfach das Gegenteil behauptet.
Kostensteigerungen? Gibt's keine. Wirtschaftlichkeit? Ist gewährleistet. Leistungsrückbau? Findet nicht statt. Ungenügender Brandschutz? Nicht bei S 21. Tunnelbau-Probleme wegen Anhydrit? Wird halt eine Endlosbaustelle. Nicht eingehaltene Zeitpläne? Das habt ihr falsch verstanden. Unzulässige Gleisneigung? Geschenkt. Jahrzehnte Dreck und Baulärm für nichts? New York wurde auch nicht an einem Tag gebaut. "Klimakiller S 21"? Wo gehobelt wird, fallen Bäume. Verkehrsprojekt statt Bahnprojekt? Wir sind halt auch ein Autoland.
Was dann folgt, ist ebenfalls bekannt: Alle Kritikpunkte werden kleinlaut eingestanden, mit hilflosen, auch lächerlichen Begründungen wird die Flucht nach vorne angetreten, um Zeit zu gewinnen.
Kostensteigerungen? Sorry, wegen gestiegener Materialkosten. Wirtschaftlichkeit? Na ja, aber Wachstum muss halt sein. Leistungsrückbau? Zugegeben, aber das Projekt ist alternativlos. Ungenügender Brandschutz? Ok, es gibt ein paar Fluchttreppen mehr. Tunnelbau-Probleme wegen Anhydrit? Merken wir jetzt auch, aber schafft auf ewig Nachbesserungsbedarf und Jobs! Nicht eingehaltene Zeitpläne? Ärgerlich, aber dann freut man sich später umso mehr. Unzulässige Gleisneigung? Problematisch, aber es gibt ja Handbremsen! Jahrzehnte Dreck und Baulärm für nichts? Ist hart, aber auch das Nichts hat irgendwann ein Ende. "Klimakiller S 21"? Schlimm, aber das Klima kann auch später gerettet werden. Verkehrsprojekt statt Bahnprojekt? War anders geplant, aber mehr Autos schaffen auch mehr Arbeitsplätze!
Wir erleben einen Kollaps der Vernunft, ein Versagen von sich wegduckender Politik, eine Offenbarung von unkritischem Journalismus. Die meisten Zeitungen berichten gar nicht mehr über die unzähligen Skandale um S 21, und wenn, dann meistens in Form von tendenziösen Artikeln, die Wesentliches unterschlagen, oder schlicht die Befürworter-Argumente übernehmen. Gelegentliches Aufwachen – siehe die vergangenen Tage – bestätigt nur die Regel.
Kretschmann leiert unermüdlich sein Lieblings-Mantra herunter
Die typischste Politik-Variante des unkritischen und denkfaulen Begleitens liefert aber immer noch Winfried Kretschmann. Was auch immer vorfällt, unermüdlich leiert er sein Lieblings-Mantra herunter: "Es gab eine Volksabstimmung, und die ist bindend". Ich erinnere mich noch genau daran, wie 2011 ganz Stuttgart mit Plakaten zugepflastert wurde, auf denen nur eine Zahl stand: die vier. Gemeint waren 4,5 Milliarden, die versprochene Obergrenze, die zu bekanntem Abstimmungsergebnis führte. Diese Voraussetzung ist aber schon lange entfallen. Sich in Anbetracht der Verdoppelung der Kosten immer noch auf die Volksabstimmung zu berufen, ist nicht nur unstatthaft, es ist abgrundtief dämlich. Das begreift eigentlich jedes Kind. Nur nicht der Ministerpräsident.
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Jue.So Jürgen Sojka
am 10.12.2017Schwarzwälder Boten vom So. 02.01.2011 04:45 Uhr Landtagswahl2011 | Im Land der fliegenden Teppiche…