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Manuel Hagel

Zunehmend genervt

Manuel Hagel: Zunehmend genervt
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Wollen Sie Ministerpräsident werden, Herr Hagel? Von der Frage ist der CDU-Hoffnungsträger genervt, wie er im Interview bekennt. Ein Gespräch über die Flüchtlingspolitik der CDU, über das C im Namen und die Rolle als Mann fürs Grobe.

Er ist nicht der kommende Mann in Baden-Württembergs CDU, denn Manuel Hagel ist schon da. Trotz seiner Jugend hat der der 34-Jährige mehr als die Hälfte seines Lebens in seiner Partei verbracht. Der Bankbetriebswert mit dem markanten Schwäbisch war die Sirene, wie er selber das Amt des Generalsekretärs nennt. Als Fraktionschef hat er für eine Machtverlagerung gesorgt, weg vom Landesverband hin zu seinem Team und zu den Abgeordneten im Parlament. Hagel hält klare Kante zur AfD, weiß Strippen zu ziehen, die Worte zu wägen. Und er unterstreicht seine Vertragstreue: Falls Winfried Kretschmann sich doch vor Ende der Legislaturperiode aufs Altenteil zurückzieht, wird die CDU keine Neuwahlen anstreben.

Herr Hagel, waren Sie eigentlich gerne Generalsekretär?

Seit meinem 16. Lebensjahr bin ich in der CDU ehrenamtlich engagiert. Ich wollte immer daran mitarbeiten, dass wir eine moderne, kreative und neugierige Volkspartei sind – eine Partei, die vorangeht. Als Generalsekretär kann man da an ganz entscheidender Stelle mit anpacken. Daher war es eine super Zeit, in der wir einiges voranbringen konnten. Ich habe aber auch ganz viele Erfahrungen gesammelt, die mir in meinen heutigen Aufgaben natürlich helfen.

Der Aspekt zum Beispiel, dass zur Stellenbeschreibung gehört, der Mann fürs Grobe zu sein?

Natürlich ist ein Generalsekretär auch die Sirene der Partei, die Konturen deutlich macht und die Unterschiede zu anderen Parteien herausarbeitet. Da geht es um CDU pur, und man kann zu hundert Prozent die Parteilinie vertreten.

Und als Fraktionschef? Sie sind als einer der Jüngsten in der Geschichte des Landes ins Amt gekommen.

Da ist man ganz anders eingebunden in den Parlamentsalltag, eher mit Akten und in der Detailarbeit unterwegs. In dieser Funktion muss man umsetzen und eine Koalition zusammenhalten. Im Gegensatz zur reinen Parteilehre geht es auch darum, Interessen auszugleichen.

Damit sind Sie gerade gut beschäftigt. Wie beurteilen Sie den gegenwärtigen Zustand der Regierung?

Die Verbindung aus Christdemokraten und Grüne ist doch eine, die sehr gut in die Zeit passt, weil es darum geht, Ökologie und Ökonomie miteinander zu verbinden und nicht gegeneinander auszuspielen. Es ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit, wie wir echten Klimaschutz voranbringen und gleichzeitig unseren Wohlstand und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt erhalten. Wenn wir den Idealismus der Grünen und den Pragmatismus der Christdemokraten zusammenbringen, hat das Klima immer zwei starke Partner in Baden-Württemberg.

Dennoch holpert es immer wieder gewaltig. Erst kurz vor Weihnachten ist das lange erwartete Klimaschutzgesetz fertig, und die Grünen beklagen zunehmend die Blockade durch den eigenen Koalitionspartner.

Das sehe ich ganz anders. Das ist das größte Gesetzesvorhaben der Legislaturperiode, das bekommen wir hin, ohne uns zu streiten. Ich nehme unsere Zusammenarbeit als kooperativ wahr. Wir haben unterschiedliche Perspektiven und jeder die Freiheit, anderer Meinung zu sein. Am Ende muss das Argument den Ausschlag geben. So machen wir aus Unterschieden etwas Neues, das spannend ist.

Nicht nur die Perspektiven sind unterschiedlich, sondern auch manche Herangehensweisen. Die Grünen scheuen sich nicht, ordnungspolitische Leitplanken zu fordern, eine weichgespülte Variante der Vokabel Verbote, die CDU wiederum setzt auf Innovationen, in der Hoffnung, dass sie rechtzeitig mithelfen im Kampf gegen die Erderwärmung.

Aber was ist in Baden-Württemberg näher liegend? Manche Wege entstehen doch auch erst beim Gehen. Wir müssen unsere Unternehmen einfach auch mal machen lassen. Wenn eine Regelung wegfällt, heißt das nicht automatisch, dass eine Lücke entsteht. Wo Freiheit ist, heißt das nicht automatisch, dass da eine Regelungslücke besteht. Im Ziel sind wir mit unserem Koalitionspartner völlig einig. Nur: Wir fusionieren nicht. Wir sind zwei unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Perspektiven, und das ist gut so.

Da sind wir nahtlos beim Blick nach Berlin. Wie haben sich die Herausforderungen durch den Spagat verändert – im Land Regierung, im Bund Opposition?

Das ist eine neue Rolle, aber Neues kann ja auch spannend sein. Für uns als Koalition ändert sich gar nichts. Wir Christdemokraten sind zu allererst Baden-Württemberg verpflichtet. Wir arbeiten für die Menschen im Land. Bisher war die Partei des Ministerpräsidenten in der Opposition, jetzt sind wir in Berlin in der Opposition.

Wo der CDU-Bundesvorsitzende allerdings ganz anders als Angriffsspieler auftritt als frühere Bundesvorsitzende der Grünen. Können Sie etwas anfangen mit der Kritik an seiner Auslegung der Rolle eines Oppositionsführers?

Friedrich Merz ist jetzt knapp ein Jahr unser Parteichef. Wir sind heute in den Umfragen stabil die stärkste Kraft und liegen je nach Umfrage zehn Prozent vor dem Verfolger. Wenn man Beobachter vor einigen Monaten gefragt hätte, ob das möglich ist, hätte da sicherlich nicht jeder mit Ja geantwortet. Deshalb können wir heute sagen, dass der Neubeginn gelingt und der Trend stimmt. Wir sind jetzt ungefähr bei 30 Prozent, da geht aber noch mehr.

Sie haben von einer modernen, kreativen und neugierigen Volkspartei gesprochen. In den Umfragen geht es in der Tat nach oben, aber ist der Preis dafür nicht ein gerüttelt Maß an Populismus?

Merz hat doch geliefert als Fraktionsvorsitzender, nicht nur nach Meinung unserer Partei. Beim Bürgergeld hat er das Prinzip des Förderns und Forderns gerettet. Beim Bundeswehrsondervermögen und bei der Gasumlage hat er den Finger in die Wunde gelegt. Und ganz ehrlich: Bei den Bundestagsdebatten ist er manchmal fast ein Analeptikum für den sehr hölzern wirkenden Bundeskanzler. Das schaffen sonst doch nur wenige (lacht). Opposition muss immer im Sound etwas lauter sein, um gehört zu werden. Und der Unterschied von Friedrich Merz zur Opposition im Land ist doch: Er ist weit mehr kreativ als aggressiv.

Und er betont immer wieder das C in der Partei, Sie auch. Wie muss der Einfluss auf die Alltagspolitik sein, um dem gerecht zu werden?

Das C heißt nicht, dass wir eine Partei nur von oder nur für Christen sind. Es heißt vielmehr, dass wir die Partei des christlichen Menschenbildes sind. Dieses Bild ist Orientierung und DNA für unsere Politik. Aus diesem heraus lassen sich unsere Überzeugungen wie Solidarität, Personalität und Subsidiarität ableiten. Dieses C zieht nie Gräben, sondern baut immer Brücken.

Auch in der Flüchtlingspolitik? Wie passt das zu der Härte, die Sie so sehr mitbetonen?

Wichtig ist doch, wir sprechen über Menschen. Und wenn man über Menschen spricht, muss man dies frei von Aggression, Ideologie oder Vorurteilen tun. Es geht hier um Menschen, die bereits bei uns leben und die neu zu uns kommen. Genau diese Haltung bezeichnen wir als unseren Weg mit Herz und Härte. Ein Herz für all jene, die vor Not, Tod und Elend Hilfe und Zuflucht bei uns suchen. Diesen Menschen wollen wir helfen. Aber genauso klar ist auch, dass jene, die zu uns kommen und unsere liberale Gesellschaft ablehnen oder gar bekämpfen, keinen Platz hier bei uns haben. Ohne Sicherheit kann es keine Freiheit geben.

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat unlängst festgestellt, dass der Gesellschaft in Deutschland durchaus einiges zuzumuten sei, schon allein deshalb, weil tagtäglich die Aufnahmebereitschaft bewiesen wird. Was erwarten Sie, wenn jetzt im Winter noch mehr Vertriebe und Geflüchtete aus der Ukraine zu uns kommen?

Für uns ist vollkommen klar, dass wir jenen, die aus Not, Tod und Elend Schutz bei uns suchen, auch helfen. Die zweite Seite dieser Verantwortung heißt aber, nur ein staatliches Leistungsversprechen abzugeben, das unsere Kommunen auch in der Lage sind zu leisten. Und hier zeigt der Blick ins Land, dass wir bereits vielfach an den Belastungsgrenzen angekommen sind.

Vielfach sind Abschiebungen aber schon technisch schon gar nicht möglich, weil keine Flugzeuge fliegen. Was tun?

Wir leben in einem funktionierenden Rechtsstaat. Deshalb haben die zuständigen Behörden mein ganzes Vertrauen, dass sie ihre Kompetenzen korrekt ausüben.

Da drängt sich die Frage zur Abgrenzung von der AfD auf. Ihre Landtagsfraktion steht, es gibt aber, wie in anderen Landesverbänden, auch in der Südwest-CDU Stimmen, die eine Annäherung nicht ausschließen wollen. Werden die mehr?

Diese Stimmen kenne ich in der CDU Baden-Württemberg nicht. Wir Christdemokraten haben mit dieser rechten Chaostruppe im Staatsbild, im Gesellschaftsbild und vor allen Dingen im Menschenbild überhaupt nichts gemeinsam.

Auch eine andere Frage begegnet Ihnen immer wieder, und je länger die Legislaturperiode dauert, sicher immer öfter: Wollen Sie Ministerpräsident werden?

Offen gesprochen nervt mich diese Frage zunehmend. Weil sie impliziert, dass in der Landespolitik nur das Amt des Ministerpräsidenten Gestaltungskraft besitzt. Natürlich kommt dem Ministerpräsidenten eine sehr entscheidende Rolle zu. Aber Landespolitik ist in ihrer Gesamtheit weit vielfältiger. Es geht um mehr als nur um die Rolle des Regierungschefs. Ich habe große Freude an meiner Aufgabe als Fraktionsvorsitzender und beschäftige mich jetzt auch nicht jeden Tag mit mir selbst. Ich stehe nicht jeden Tag auf, schaue in den Spiegel und frage mich: Was wird morgen aus mir werden? Mein Job ist, meine Aufgabe hier und heute gut zu erfüllen. Da hänge ich mich voll rein, ich denke, das sieht man auch. Andere mögen sich verkrampft damit beschäftigen, wie sie Ministerpräsident werden könnten. Ich möchte für dieses Land was reißen.

Dann sei mit diesem Fraktionschef noch mal anders in die Zukunft geblickt: Wird die CDU Neuwahlen fordern, wenn Winfried Kretschmann doch noch vor dem regulären Ende seiner Amtszeit zurücktritt?

Der Ministerpräsident hat den Menschen im Land versprochen, die ganze Legislaturperiode im Amt zu bleiben. Ich kann aus meiner ganzen Erfahrung sagen, dass man sich auf sein Wort verlassen kann. Im Übrigen gilt unsere Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag, dass wir alle Entscheidungen in Sach- und in Personalfragen im Plenum in unserer Koalition gemeinsam treffen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Wissler Gerald
    am 24.12.2022
    Antworten
    Wie kommt denn die Wahrnehmung von Merz als Angriffsspieler zustande ?
    So einen Oppositionsführer wünscht sich doch jede Regierung.
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