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Südwest-CDU

Zu viele falsche Antworten

Südwest-CDU: Zu viele falsche Antworten
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Nach Angela Merkels Rückzug vom Parteivorsitz hatte die CDU fast drei Jahre Zeit, sich vor der Bundestagswahl neu zu sortieren. Stattdessen verhedderte sie sich beim Versuch einer Kurskorrektur. Jetzt droht ein historisches Debakel – nicht zuletzt in ihrer Hochburg Baden-Württemberg.

Dass er sich da mal nicht irrt: Armin Laschet glaubt, "ohne große Teile" der Südwest-CDU wäre er heute nicht Bundesvorsitzender. Sein Vize Thomas Strobl nickt auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Heidelberg aber an ganz anderer Stelle. Nämlich als der Kanzlerkandidat sagt, er wisse, wie viele Merz-Fans es hierzulande gab. Ein Widerspruch und doch einer der kleineren, die zu jener Verunsicherung beitragen, die sich in den desaströsen Umfrageergebnissen niederschlagen.

Auch diesmal will die CDU alle 38 Direktmandate zwischen Main und Bodensee erobern. Landtagsfraktionschef Manuel Hagel hat erst kürzlich dieses ehrgeizige Ziel bekräftigt, trotz des demoskopischen Sinkflugs. Diese Vorgabe ist vergiftet, aber der Hoffnungsträger – vor allem der Jüngeren – darf erwarten, dass eine Wahlpleite am 26. September an ihm abperlt. Darin hat er Erfahrung. Er war Manager des missglückten Landtagswahlkampfs, ging innerparteilich aber als Sieger hervor. An Innenminister Strobl, dem Chef der Landespartei, würde ein zweites Debakel nach den 24 Prozent im Frühjahr sicher kleben bleiben.

Die Stimmung in den Reihen der hiesigen ChristdemokratInnen ist jedenfalls im Keller. Auf der Straße und an den Haustüren müssen sich die Wahlkämpfenden sagen lassen, dass sie der CDU bestenfalls die Erst-, nicht aber die Zweitstimme geben wollen. Viele, die überzeugt werden müssten, sind noch im Urlaub, andere haben längst von der Briefwahl Gebrauch gemacht.

Schräge Modernisierung

Dass Laschet in Württemberg und Baden so selten auf der Großfläche zu sehen ist, muss die Landesgeschäftsstelle auf ihre Kappe nehmen, weil Bestellungen untergingen. Immerhin wird er vorigen Sonntag mit viel Wohlwollen auf der Ostalb empfangen. Seine Standardrede in diesen schwierigen Tagen offenbart vor allem ein großes Dilemma. Denn nach 16 Jahren unionsgeführter Bundesregierung ist es mehr als schräg, ein Modernisierungsjahrzehnt anzukündigen, den Nachholbedarf in der Digitalisierung zu beklagen und zugleich die seit vier Jahren dafür zuständige CSU-Staatsministerin Dorothea Bär in sein Zukunftsteam zu holen. Versprechen und Forderungen stehen auf der einen Seite, die allgegenwärtige Frage, warum denn eigentlich so viel unerledigt geblieben ist in der Merkel-Ära, auf der anderen.

Laschet sucht zu Wochenbeginn einen Ausweg, der auch keiner ist, und schlägt einen neuen Haken. Mit einem Mal nennt er es "dümmlich", der Bundesregierung, jedenfalls dem Unionsteil, vorzuwerfen, es sei in der Vergangenheit zu wenig geschehen auf diesem Gebiet.

Da verkommt es zur Petitesse, dass er auf seinem Wahlkampf-Kurztrip in den Südwesten nicht wirklich gut vorbereitet ist, wenn er gegen jene Solarpflicht auf Neubauten wettern, die seine CDU im Land eben erst beschlossen hat.

Gerade in Baden-Württemberg grassiert die Verwirrung der Union aber nicht erst, seit Kandidat Laschet im Sinkflug ist. Die Malaise begann schon vor elf Jahren, als das schwarze Führungsteam, allen voran Stefan Mappus und sein Generalsekretär Thomas Strobl, zu viele falsche Antworten hatten auf die die Bevölkerung umtreibenden Fragen: von Stuttgart 21 bis zum Ausstieg aus der Atomkraft. Die noch von Rot-Grün geschlossenen Vereinbarungen mit der Energiewirtschaft wollte Mappus unter dem Beifall großer Teile der Basis wieder aufschnüren, bis Fukushima kam. Und sich dann die CDU aus der Regierung verabschiedete, um Grünen und Sozialdemokraten für die nächsten fünf Jahre das Feld zu überlassen.

Gedemütigt und verletzt durch den großen Zuspruch, den der neue Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Bevölkerung erfuhr, ließ die Partei die Zeit in der Opposition nahezu ungenutzt verstreichen, die inhaltliche Neupositionierung blieb weitgehend aus. Kurz vor der Wahl 2016 machte Guido Wolf als Kretschmanns Herausforderer auch noch den Fehler, sich gegen die Flüchtlingspolitik der Parteifreundin im Kanzleramt zu stellen. Als Merkel 2018 den Rückzug vom Parteivorsitz öffentlich machte, meldete sich Wolf so zu Wort: "Ich begrüße diese Ankündigung." Und er schob Merkel gleich auch noch die Verantwortung für die Niederlagen in den Ländern in die Schuhe, die eigene eingeschlossen. Schnell formierten sich einige Kreisverbände, die in der Annahme, es würde Friedrich Merz, den neuen Parteivorsitzenden noch in der laufenden Legislaturperiode ins Kanzleramt rotieren sehen wollten.

Dass die Rechnung nicht aufging, traf den Landesverband besonders hart. 154 Delegierte waren zum entscheidenden Parteitag nach Hamburg gefahren, mit einer Unterschriftenliste für Merz im Gepäck, die unter anderen Günther Oettinger und der heutige Landtagsvizepräsident Wolfgang Reinhart unterzeichnet hatten. Strobl und sein Generalsekretär Hagel mochten sich daran nicht beteiligen, kamen erst aus der Deckung, als die Kurzzeit-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gescheitert war, und der Nachfolger der Nachfolgerin gesucht werden musste. Der Sauerländer, so Strobl im Februar 2020, habe ein sehr hohes Ansehen in der deutschen und insbesondere in der baden-württembergischen Wirtschaft. Mit ihm könne es "am besten gelingen, Wähler von der AfD zurückzuholen". Gewählt wurde abermals nicht Merz, sondern Laschet, die Kakophonie und Selbstbeschäftigung war aber genau deshalb in Baden-Württemberg noch lange nicht beendet. Jetzt sollte Markus Söder als Kanzlerkandidat durchgedrückt werden.

Erbe ausgeschlagen

Der Ausgang ist bekannt, viel weniger bekannt ist aber über all den jahrelangen Personalquerelen geblieben, wohin sich die CDU programmatisch bewegte. Die Konfusion beim Thema Digitalisierung steht wie die Spitze für den Eisberg unter der Wasseroberfläche. Schuldenbremse ja oder nein, Erderwärmung mit mehr oder weniger Markt, Wohnungsbau dito, Mindestlohn erhöhen oder belassen, die Steuern zu Gunsten von wem und warum senken: alles Herausforderungen, in denen die Union ihre Positionen mit Ansage verwässert.

So ist der Beweis vielfach erbracht, dass es nicht funktioniert, sich einerseits von der speziell in Baden-Württemberg immer mit viel Skepsis betrachteten Kanzlerin abzusetzen und zugleich von ihrer enormen Beliebtheit im Rest der Republik profitieren zu wollen. Aus Bayern schimpft Markus Söder den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz einen Erbschleicher. Dem wäre es schwer bis unmöglich die Hinterlassenschaft zu beanspruchen, hätten nicht zugleich viel zu viele Schwarze das Merkel-Erbe gar nicht antreten wollen. Und der Rosarote hat mit der Raute in der "Süddeutschen Zeitung" im berühmten "Interview ohne Worte" ohnehin nur auf die Frage geantwortet, wie sehr er Merkel vermissen werde.

Besonders schräg mutet es in einem Landesverband an, in dem so viele auf Korrekturen hin zu einer Merz-Union hoffen, wenn Scholz vorgeworfen wird, nur Aushängeschild der Esken-/Kühnert-SPD zu sein. Zumal auch diese beiden ausgerechnet bei dem Thema, das die Deutschen neuerdings ganz weit nach oben ranken auf der Liste der Gründe für ihre Wahlentscheidung, ganz bestimmt mehr zu bieten haben als die CDU: Gerechtigkeit. Da schlägt ins schwarze Kontor, wenn im Faktencheck der jüngsten WDR-Sendung "hart, aber fair" detailliert ausgewiesen wird, wie die Union Höher- und noch Höherverdienende mit Steuergeschenken beglücken will.

Wie so viele andere in seiner Partei beschwört gerade Thomas Strobl in diesen schweren Tagen, es gehe um eine Richtungsentscheidung am letzten September-Wochenende. Recht hat er. Und der Landesvorsitzende, der den Niedergang der Südwest-CDU mit verantwortet, seit er 2005 Generalsekretär wurde, legt noch nach und offenbart auf diese Weise vor allem, wie wenig er noch an den Erfolg glauben mag. Denn 24 Stunden am Tag müsse jetzt im Schlussspurt gekämpft werden, sagt der Laschet-Vize. Mit Unmöglichem ist Unmögliches aber erst recht nicht zu schaffen.


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