Eine Handvoll roter Fahnen, ein Transparent, eine Lautsprecheranlage für Rap und Rede, dazu ein rotes Bengalo – fertig ist die Kundgebung zum Warnstreik. Um die 60 Männer und Frauen stehen auf der Rückseite der grauen Dräxlmaierhalle im Gewerbegebiet Segro am Rande von Sachsenheim. Sie haben ihre Frühschicht an diesem Freitagmittag schon um 12 statt um 14 Uhr beendet. Denn die IG Metall Ludwigsburg hat an diesem Tag alle drei Schichten zum Warnstreik aufgerufen, Nachtschicht, Frühschicht, Spätschicht. Die Beteiligung ist gut. "Jeweils um die 70 bis 80 Prozent", sagt Mustafa Yesilyaprak. Der Betriebsratsvorsitzende von Dräxlmaier in Sachsenheim sieht erschöpft aus: "Ich bin seit 36 Stunden auf den Beinen." Bereits am Vortag hat er Flugblätter mit dem Streikaufruf verteilt, ist durch die Schichten gelaufen, um die Leute an den Streik zu erinnern – langsam ist er am Ende seiner Kräfte.
Knapp 300 Menschen arbeiten hier im Schwäbischen. Der niederbayerische Autozulieferer, der sich mit seinen weltweit 75.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 4,2 Milliarden Euro gerne Familienunternehmen nennt, hat das Werk 2019 eröffnet. Drinnen montieren Frauen und Männer Batterien unter anderem für den Porsche Taycan. Andere Kunden der Dräxlmaier Group heißen Mercedes, Audi, BMW, VW, alles Konzerne mit Tarifverträgen. Bei Dräxlmaier gibt’s das nicht. Nirgends. Denn, so die Pressestelle auf Kontext-Anfrage: "Die IG Metall vertritt aus unserer Perspektive nicht die Interessen aller Mitarbeiter und auch nicht die Interessen von Firmen unseres Profils und Marktstellung." Zudem erklärt die Pressestelle: "Das Werk Sachsenheim ist noch nicht profitabel. Deswegen muss unser Bestreben sein, dieses hinzubekommen, damit wir in der Lage sind, von unseren Kunden Folgeaufträge zu bekommen und so uns in der Konkurrenz mit anderen Zulieferern behaupten zu können. Demzufolge machen überproportionale Gehaltssteigerungen diese Aufgabe noch schwieriger. Diese können dazu führen, dass wir Standortentscheidungen überprüfen müssen." Wettbewerbsvorteil durch Lohndumping – genau das sollen Tarifverträge ja verhindern.
Was sich so Familienunternehmen nennt
"Außerdem beträgt der Anteil der Gehaltskosten in so einem hochmodernen Werk vielleicht 20, maximal 30 Prozent. Das ist überhaupt nicht entscheidend", sagt André Kaufmann, Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall Ludwigsburg. Für seinen Kollegen Markus Linnow ist die ablehnende Haltung der Geschäftsführung vor allem Ideologie. Dräxlmaier werde patriarchalisch geführt: "Wenn der Fritz sagt: Die Gewerkschaft bleibt draußen, dann war’s das." Fritz ist Fritz Dräxlmaier, der die Firma 1958 im niederbayerischen Vilsbiburg gegründet hat, wo er mittlerweile Ehrenbürger der Stadt ist. Damals lieferte die Firma Kabelsätze für das Goggomobil, später auch Türverkleidungen. Das Unternehmen entwickelte sich kontinuierlich weiter, expandierte auch im Ausland, heute sind die drei Hauptprodukte Kabelstränge, Interieur und nun Batterien für den Elektromotor. Auf der Liste der reichsten Familien Deutschlands ist die Familie Dräxlmaier auf Platz 85 mit einem geschätzten Vermögen von 2,65 Milliarden Euro gerankt. Es liegt also nicht an mangelndem Geld, dass die Dräxlmaier Group partout keine Tarifverträge in ihren Niederlassungen haben will.
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