Sonntagmittag, strahlender Sonnenschein im Industriegebiet West in Reutlingen. Rund 200 Frauen und Männer stehen vor dem Fabrikverkauf der Bäckerei K&U. "Auf dem Boden seht ihr aufgesprühte Kreuze, haltet euch an die, damit ihr genügend Abstand haltet. Und natürlich Maske tragen. Dann hab ich noch einen kuriosen Punkt bei unseren Auflagen: keine Fackeln!" Hartmut Zacher lacht, als er das durchs Mikro sagt. Er ist von der NGG, der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, und bei dieser Kundgebung fürs Formale zuständig, also für die Einhaltung der Corona-Regeln. Die Menschen nehmen die Anweisungen als selbstverständlich hin, sie sind da, weil sie Angst um ihre Arbeitsplätze haben.
Dass sie bei K&U einen Tarifvertrag haben, kommt bei den MitarbeiterInnen gut an. "Meine Arbeit ist wie meine zweite Familie", schwärmt Maren Gimber. Die 30-Jährige steht mit ihren Kolleginnen zusammen, die Frauen haben sich rote NGG-Hüte aufgesetzt, lauschen der Ansprache von Münchow. Der motiviert zum Arbeitskampf: "Ihr habt unter Corona viel mehr Belastung. Ihr müsst Maske tragen, habt nicht immer respektvolle Kunden, habt Überstunden gemacht, teilweise sechs Tage pro Woche gearbeitet. Ihr wart da für K&U. Und wie danken euch Edeka und K&U das? Sie wollen K&U zerschlagen! Und das obwohl Edeka zu den Krisengewinnern gehört und mit Corona Milliarden verdient hat. Was die machen, ist das Gegenteil von Loyalität und Wertschätzung!"
Tarifflucht bei Edeka Südwest
Applaus. "Das stimmt. Das Arbeiten mit Maske den ganzen Tag ist echt anstrengend. Abends bin ich fertig", sagt Gimber. Ihre Kollegin und Filialleiterin Martina Scheiermann nickt. "Ich bin sehr zufrieden mit der Arbeit. Wir sind ein Bomben-Team. Im vergangenen Jahr ist der Umsatz gestiegen, in den letzten Wochen auch. Was die da vorhaben – das hätten wir nicht erwartet."
Elisa Varriale ist 2013 aus Ungarn nach Deutschland gekommen. "Die Arbeit bei K&U ist mein erster Arbeitsplatz, wo ich menschlich und anständig behandelt werde. Die Bezahlung ist gut und es gibt Fortbildungen. Das wäre so schade, wenn das alles kaputtgeht." Eine Kollegin hat schon mal bei einem Edeka-Einzelhändler gearbeitet. "Da verdient man drei bis vier Euro weniger pro Stunde und man hat sechs Tage weniger Urlaub, also nur 24 Tage." Das will keine der Frauen. "Was Edeka hier macht, ist organisierte Tarifflucht", ruft Münchow.
Denn nach Betriebsratsinformationen will Edeka Südwest seine hundertprozentige Tochter, K&U sowie deren Tochter, das Bäckerhaus Ecker im Saarland, zerschlagen. In den 500 K&U-Filialen im Südwesten arbeiten rund 3.500 Menschen, bei Ecker 450. Heißt: Die Filialen in den Edeka-Märkten sollen bis 2023 aufgelöst oder von den Edeka-Einzelhändlern übernommen werden. Rund 90 Prozent der blau-gelben Märkte werden nicht von Edeka sondern von diesen Einzelhändlern betrieben. Die wiederum profitieren von gemeinsamer Einkaufspolitik und Marketing. Die Beschäftigten dagegen haben keinen Tarifvertrag und werden schlecht bezahlt, wenn überhaupt bekämen sie gerade mal Gehalt knapp überm Mindestlohn, erklärt Alexander Münchow, der bei der NGG Südwest die Branche betreut.
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