Durch das Werkvertragssystem trauen sich die meisten nicht, Mitglied zu werden. Die, die sich dort wehren, sind morgen weg. Das muss man einfach so knallhart feststellen. Wer irgendwie die Arbeitsbedingungen kritisiert oder versucht, Löhne geltend zu machen, muss damit rechnen, dass seine Chipkarte am nächsten Tag nicht mehr funktioniert und er am nächsten Tag nicht mehr ins Werk kommt.
Jetzt will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ernst machen und tatsächlich per Gesetz Werkverträge an Schlachthöfen verbieten. Glauben Sie, dass es kommt?
Der Entwurf, so wie er jetzt ist, ist ein großer Fortschritt. Wenn man sich anschaut, wie lange wir darum gerungen haben, dass Werkverträge endlich verboten werden, ist das natürlich auch ein Erfolg für uns. Aber: Wir haben jetzt die Pandemie und es ist für mich völlig schleierhaft, warum das Gesetz erst ab 1. Januar 2021 Gültigkeit entfalten soll. Das Konjunkturpaket gilt ja auch ab jetzt. Das geht also, wenn man will. Den Beschäftigten muss jetzt geholfen werden. Die Werkverträge und die Unterbringung sind schuld daran, dass wir die vielen Infektionen in den Schlachthöfen haben. Also: Wir brauchen das Gesetz schnellstmöglich. Am besten in den nächsten Wochen. Natürlich gehen die Fleischlobby und ihre Barone auf die Barrikaden. Sie machen jetzt große Imagekampagnen, wie toll alles ist in den Schlachthöfen und dass alles nicht der Realität entspricht, was die Gewerkschaft erzählt – und sie werden natürlich alles dafür tun, dass dieser Gesetzestext verwässert wird. Wir müssen ganz genau hinschauen, damit da nicht wieder ein neoliberales Konstrukt draus wird, was den Beschäftigten überhaupt nicht hilft.
Aber an der Unterbringung der Beschäftigten in den Schlachthof-Unterkünften verbessert das Gesetz nichts.
Das stimmt. Wir sagen: Wir benötigen ein Wohnbauprogramm. Und kurzfristig könnte man Containerdörfer aufstellen, so wie wir das im Jahr 2015 in der Flüchtlingskrise erlebt haben. Dann hätte jeder seinen Wohnbereich. Vorübergehend wäre das erstmal eine Maßnahme, damit die Leute sich nicht infizieren.
Die NGG hat noch mehr Branchen. Was haben Sie während Corona in der Gastronomie erlebt?
Wir haben mitbekommen, dass von unseren Kolleginnen und Kollegen fast 1,7 Millionen Menschen in Kurzarbeit sind. Das hat natürlich tiefgreifende finanzielle Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen. Und tatsächlich hat es auch bedrohliche Szenarien. Auch in dieser Branche war die Welt bereits vor Corona nicht in Ordnung. Das ist eine Branche mit sehr niedrigen Löhnen, in der sich oft nicht an Tarifverträge gehalten wird. Jetzt zeigt sich eben: Bei niedrigen Löhnen kommt man mit 60 oder 67 Prozent Kurzarbeitergeld noch schlechter zurecht. Man kann kaum seine Mieten bezahlen, kaum Dinge des täglichen Bedarfs finanzieren. Wir haben von Anfang an den Arbeitgeberverband DEHOGA (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) aufgefordert, mit uns Verhandlungen zu führen über eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes. Da hat man sich immer hinter den kleinen Betrieben versteckt, so nach dem Motto: "Wir haben gar kein Geld." Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es eine Branche ist, die in den letzten zehn Jahren Rekordjahre hatte. Da wurde richtig Geld gemacht. Viele Betriebe haben jetzt mit Massenentlassungen reagiert, obwohl die gar nicht nötig gewesen wären.
Die Gastronomie ist ja sehr zersplittert, viele kleine Betriebe, viele Aushilfskräfte – vermutlich ist der Organisationsgrad da nicht besonders hoch. Kommen die Leute denn wenigstens in einer Krise zur Gewerkschaft?
Ja, sie finden den Weg zur Gewerkschaft. Allerdings war es oft auch schon zu spät. Jetzt konnten wir ja nur unmittelbar helfen, Kündigungsschutzklage und so was. Aber wir brauchen natürlich stark organisierte Belegschaften, um gute Tarifverträge zu erkämpfen. In der Gastronomie herrscht oft noch ein Regime nach Art des schwäbischen Kaufmanns, der sagt: "Mir redet hier keiner in meine unternehmerische Tätigkeit rein!" Wenn Beschäftigte versucht haben, Betriebsräte zu gründen, dann kennen wir auch Union Busting, also Gewerkschaftsbekämpfung. Da gibt es teilweise rechtsfreie Räume. Chefs, die sagen, bei mir gelten meine Regeln und mein Arbeitszeitgesetz und nicht die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland mit maximal zehn Stunden. Sondern da ist es selbstverständlich, dass 14, 15, 16 Stunden gearbeitet wird und ich als Unternehmer lege das einfach so fest.
Wenn Sie die Macht hätten – was würden Sie als erstes angehen?
Wir haben lange genug in einem Zeitalter gelebt, in dem die Interessen der Unternehmen auch immer die Interessen der Regierung waren. Ich persönlich sage: Wir haben zu viele große Unternehmen, wir haben zu viele große Banken. Und da kann ich mir auch vorstellen, diese Unternehmen in Gemeinschaftseigentum zu überführen. Ich bin natürlich Demokrat und sehe sowas in Prozessen. Aber ich kann mir eine Gesellschaftsordnung vorstellen, die demokratischer Sozialismus heißt. Was für mich dringend ist: Demokratie muss weiter gedacht werden. Wir brauchen eine deutlichere Demokratisierung der Wirtschaft und ein großes Sozialprogramm.
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era
am 04.07.2020Dabei ist Wurst und Fleisch…