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Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) drängt darauf, die maximalen Arbeitszeiten auf zwölf Stunden am Tag zu verlängern. Eine 26-Jährige, die kurz vor dem Zusammenbruch stand, berichtet, wie die Arbeit in der Branche schon heute Menschen krank macht.

"Es fällt mir schwer, meinen Beruf zu lieben. Aber ich würde gerne", sagt Petra Klade, die in Wahrheit anders heißt. Die 26-jährige mit Rückenbeschwerden arbeitet seit beinahe neun Jahren im Gastgewerbe. Anfangs als Nebenjob bei McDonald's, später in Ausbildung zur Hotelfachfrau und anschließend mit saisonalen Jobs bei verschiedenen Arbeitgebern. In der Zeit hat sie gelernt, dass aufmüpfige QuerulantInnen ihre Chancen auf Beschäftigung erheblich verschlechtern, und daher zieht sie es vor, anonym zu bleiben. Allein ihr gewerkschaftliches Engagement sei vielen ein Dorn im Auge.

Klade erzählt, wie viele KollegInnen und Auszubildende große Augen machen würden, wenn sie etwas von Arbeitnehmerrechten hören. Im Alltag sei der Rechtsbruch die Regel, vor allem bei den Arbeitszeiten. "Bei vielen Schichten heißt es dann plötzlich: Du kannst jetzt nicht gehen! Wir brauchen dich hier", berichtet sie. Und prompt dauert der Arbeitstag 13, in Extremfällen 17 Stunden. Wer sich dem widersetzen will, macht sich unbeliebt. "Da heißt es dann: So ist die Branche eben. Du wusstest doch, worauf du dich einlässt."

Sie will das Gastgewerbe nicht in den Dreck ziehen. "In kleinen, familiären Betrieben ist das oft etwas ganz anderes", sagt sie. "Auch bei den großen gibt es Ausnahmen." Aber überall dort, wo die Einzelne nichts mehr zählt, gerate die Arbeiterin zur Verschleißware. Ein immenser Leistungsdruck paart sich mit einem dürftigen Gehalt und wenig Wertschätzung - auch seitens der Gäste: "Viele beklagen sich, wenn Sachen schief laufen. Lob und Anerkennung bekommt man selten zu spüren." Die schlechten Arbeitsbedingungen macht Klade hauptverantwortlich für die Personalnot in der Branche, die häufig als Fachkräftemangel bezeichnet wird.

Für den Dehoga sind die Probleme eher Mindestlohn und Zollkontrollen

Der Dehoga vertritt bereits seit einigen Jahren den Standpunkt, dass die maximalen Arbeitszeiten auf bis zu 12 Stunden am Tag verlängert werden sollten, auch um der Personalnot mit mehr, wie es in den Worten der arbeitgebernahen Organisation heißt, Flexibilität zu begegnen. Für den baden-württembergischen DGB-Landesvorsitzenden Martin Kunzmann ein Hohn. Er findet, die Politik solle lieber gegen bestehende Rechtsbrüche bei der Überschreitung maximaler Arbeitszeiten vorgehen, "anstatt auf die Legalisierung von zwölfstündigen Mega-Schichten zu dringen".

Denn schon heute hinterlässt die Arbeit ihre Spuren. Petra Kladen erzählt von KollegInnen, die unfreiwillig den vorzeitigen Ruhestand antreten mussten. Sie selbst hat überlegt, die Branche zu wechseln und spielt mit dem Gedanken, sich im Ausland nach Angeboten umzuschauen, nachdem ihr nächster befristeter Vertrag ausgelaufen ist. "Flexiblere Arbeitszeiten, das klingt ja erst einmal gut", sagt Kladen. "Aber hier soll etwas schöngeredet werden." Angeblich sollen die Überstunden nach 12-Stunden-Tagen innerhalb eines halben Jahres abgefeiert werden können. "Faktisch ist aber oft gar kein Personal da, das in der Zwischenzeit einspringen könnte." Und viele LohnarbeiterInnen ohne Festanstellung müssten sich nach wenigen Monaten bereits nach einem neuen Job umsehen.

Die "Personalgewinnung" ist laut einer Befragung des Dehoga aktuell mit deutlichem Abstand die Sorge Nummer eins unter den Arbeitgebern in der Branche. 60,4 Prozent der befragten Hoteliers und Gastronomen gaben im Frühjahr 2018 an, hier Probleme zu sehen. Neben den "Betriebskosten allgemein" (41,5 Prozent) und "Behördlichen Auflagen" (39,1 Prozent) machen den Arbeitgebern die Personalkosten (35,1 Prozent) und die Arbeitszeitdokumentation (34,4 Prozent) Schwierigkeiten - böse Zungen behaupten, letztere tauche in der Auflistung auf, weil sie Schwarzarbeit erschwert. Während auch der Mindestlohn und Zollkontrollen im Bericht als Hauptproblemfelder benannt werden, bleiben schlechte Arbeitsbedingungen außen vor: Der Begriff "Arbeitsbedingung" taucht auf den 23 Seiten kein einziges Mal auf.

Die Tradition, nach unten zu treten

Doch laut Klade beginnen die Schwierigkeiten hier schon bei der Lehre. Oft müssten Auszubildende Drecksarbeiten verrichten, auf die sonst niemand Lust hat, etwa Getränkekisten schleppen. Dabei werde in den Riesenhotels eine Tradition des Nach-unten-Tretens gelebt: Wer in der Hierarchie aufsteigt, kommandiert herum, wie er einst selbst herumkommandiert wurde. Etwa die Hälfte der angehenden Hotelfachfrauen und -männer brechen die Ausbildung noch im ersten Lehrjahr ab. Die Ausbildungsvergütung liege zu Beginn in der Regel zwischen 530 und 650 Euro brutto, "das reicht in Stuttgart nicht mal für eine Mietwohnung". Immerhin gebe es in vielen größeren Betrieben günstige Personalwohnungen.

Fata Morgana Fachkräftemangel

Nicht nur der Dehoga will die Arbeitszeiten flexibilisieren, das wollen auch Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) und der Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen Christoph M. Schmidt. Schmidt ist Research Fellow beim Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), das sich dafür ausspricht, die Arbeitszeiten zu flexibilisieren. Einerseits um einem "akuten Fachkräftemangel durch Demografie" zu begegnen, wie der ehemalige IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann unter anderem bei einem Vortrag 2006 ausführte. Und um "erhebliche Humankapitalressourcen" freizusetzen, wie es in einer Broschüre von 2013 heißt. Zimmermann war zudem langjähriger Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Dieses veröffentlichte jedoch 2010 eine Studie, laut der es gar keinen Fachkräftemangel gebe. Es ließen sich "keine Belege" für ein knappes Arbeitskräfteangebot finden. "So seien die Löhne für Fachkräfte kaum gestiegen", berichtete "Spiegel Online" über die Befunde, "zudem sei die Zahl der Arbeitslosen mit Qualifizierung größer als die Zahl der offenen Stellen." Die Autoren der Studie bezeichneten die Diskussion über den Fachkräftemangel vor diesem Hintergrund als eine "Fata Morgana". Das wiederum gefiel Klaus F. Zimmermann nicht: Er ließ die Studie zurückziehen und diesen missliebigen Passus anpassen. (min)

Für den dürftigen Lohn wird den Lehrlingen einiges abverlangt. Sie arbeiten am Empfang, in der Buchhaltung, im Verkauf und in Restaurants. "Während meiner Ausbildung hatte ich drei verschiedene Küchenchefs", berichtet Klade. Der eine hatte mit 35 einen Bandscheibenvorfall. Der andere, ein übler Choleriker, musste gehen, nachdem er Personal mit Buletten beworfen hatte. Der letzte war alkoholkrank.

Sucht sei ein Riesenproblem in der Gastro. Da ist nicht nur der Alkohol, der in Küchen stets verfügbar ist und sich in den Arbeitsalltag einschleiche: Erst ein kleines Bierchen in stressigen Schichten, dann etwas häufiger, Schritt für Schritt mehr. Irgendwann ist der tägliche Konsum normal, und plötzlich nimmt er überhand. Zudem werden Aufputschmittel missbraucht, um anstrengende Arbeitstage leistungsfähig durchzustehen. "Mit dem Amphetamin fängt es oft schon in der Berufsschule an", berichtet Klade über kleine Päckchen mit weißem Pulver, auch bekannt als Speed oder Pep, die unter den Auszubildenden gehandelt werden. Das könne ein paar Monate gut gehen, manchmal sogar Jahre. Aber sie habe viele daran zugrunde gehen sehen.

Sie selbst hat mit 26 Jahren Rückenprobleme, sie sei nicht bereit, gesundheitlich kaputt zu gehen, damit ein gesichtsloser Moloch Profit machen könne. Motiviert, ja, das war Petra Klade einmal sehr. Wer sehe, wie die Branche junge Menschen verheize und ausbeute, finde es bestenfalls zynisch, dass das Gewerbe über einen Fachkräftemängel klagt.


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