Das ist aber putzig: Wer sich auf einer der beliebten Doppeldecker-Touren die Stadt erschließt, taucht gleich an der zweiten Station nach dem weltweit einmalig attraktiven Start an der Stuttgart-21-Baustelle ein "in die Kunst- und Kulturgeschichte des Schweines". Im Stadtteil Gaisburg sind 50.000 Exponate ausgestellt. "Auf einer Ausstellungsfläche von mehr als 800 Quadratmetern erleben Sie Kurioses, Interessantes, Faszinierendes und Erstaunliches", heißt es im PR-Text, "kommen Sie am besten selber vorbei."
Könnte sich zumal in diesen Tagen lohnen, da so viel über Versäumnisse und Fehlentwicklungen, über Ausbeutung und Subsubsubunternehmer gesprochen, geschrieben und gesendet wird. Denn das Museum ist untergebracht im Verwaltungsgebäude des 1909 eröffneten früheren städtischen Schlachthofs. 1984, zum 75. Jubiläum, war dessen Welt noch einigermaßen in Ordnung. Gefeiert mit einer Festschrift wurde der größte Lebendviehmarkt in Baden-Württemberg: "Im vergangenen Jahr sind rund 63.000 Rinder, 104.000 Schweine, 6.500 Kälber und 23.000 Schafe vermarktet worden." Stuttgart unterhielt damit den viertgrößten Rinder- und den größten Schafschlachthof der Republik.
Aber nicht mehr lange. Die traditionsreiche Einrichtung – der erste Beleg für einen Schlachthof in der Stadt am Nesenbach stammt aus dem 15. Jahrhundert – war als Verlustbringer ausgemacht. Anfang der Siebzigerjahre gab es noch über hundert Großschlächtereien im Land in öffentlicher Trägerschaft, Anfang der Neunziger waren es noch 30. Als die in Freiburg privatisiert wurden, jubelte der Gemeinderat, weil der städtische Haushalt von einem zu zahlenden Zuschuss von einer Million Mark befreit worden sei.
Entstaatlichung der Schlachthöfe war ein Fehler
Eine absurde Entwicklung hatte da vor allem in NRW längst ihren Lauf genommen. Immer mehr kommunale Schlachthöfe wurden abgestoßen, unter anderem mit dem Argument, die Erfüllung neuer EG-Richtlinien zu Hygiene, Arbeitsbedingungen und zum Umgang mit Tieren seien zu teuer, die Privatisierung deshalb der einzig richtige Weg. Oder aus ganz grundsätzlichen Erwägungen. "Letztes Gefecht", titelte der "Spiegel" schon 1975 und beklagte, wie "Westdeutschlands Kommunal-Schlachthöfe den Steuerzahler immer mehr Geld kosten". Wie bei der Privatisierung in anderen Branchen wurde auch hier der naheliegende Gedanke tabuisiert, dass Entstaatlichung allein kein Wunder bewirken und aus einem unrentablen Betrieb einen rentablen machen kann.
Mitte der Siebziger hatten schon mehr als 100 Städte bundesweit den Verkauf ihrer Schlachthöfe beschlossen. Etabliert sollten sich "dank moderner Kühl- und Transportsysteme in den ländlichen Erzeugergebieten immer mehr private und genossenschaftliche Versandschlachtereien, die ihre Rinder- und Schweinehälften schnell und preiswert in jeden Winkel der Bundesrepublik liefern können". Die kommunale Konkurrenz konnte nicht mithalten. Deren Auslastung brach zusammen, und private Anbieter schlachteten bereits zu Dumpingpreisen.
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