Warum werden die ausländischen Leiharbeiter nicht einfach ordentlich angestellt?
Mit billigem Fleisch wird ein Stück weit Sozialpolitik betrieben. Um es krass auszudrücken: Es soll niemand verhungern. Deshalb gehört zu den Billiglebensmitteln auch Fleisch. Und dann wollen natürlich alle noch dran verdienen – das Unternehmen, der Subunternehmer und natürlich auch der Handel.
Über die Arbeits- und Wohnbedingungen weiß man seit langem Bescheid – und nicht erst, seit Wolfgang Schorlau 2014 einen Krimibestseller darüber geschrieben hat. Trotzdem ist nichts passiert. Warum?
Es hat jetzt tatsächlich erst diese Pandemie gebraucht, um die Politik zum Einschreiten zu bewegen. Dann und wann gab es leichte Korrekturen, hin und wieder auch eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen, aber die Erklärungen haben sich allesamt als Papiertiger erwiesen. Insofern ist das Geschrei der großen Fleischbarone, man würde jetzt von heute auf morgen ihre Unternehmen platt machen, ziemlich verlogen.
Was ist vom aktuellen Regierungsbeschluss zu halten?
Der Vorschlag ist, so wie er dasteht, erst einmal gut; das ist ein großer Fortschritt. Er besteht ja aus zwei Teilen. Einmal geht es um die Arbeitsbedingungen und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und um die Arbeitszeiten, die stärker kontrolliert werden müssen. Die Leute arbeiten in einem sehr anstrengenden Job, bei dem es teilweise gar nicht möglich ist, die Sicherheitsabstände einzuhalten. Dazu kommen die langen Arbeitszeiten. Die Unternehmen sagen, dass die Leute in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld verdienen wollen, und das mag ja auch so sein. Aber wenn sie gescheit bezahlt werden würden, müssten sie vielleicht keine zehn Stunden am Tag und mehr arbeiten.
Und der zweite Teil?
Ab dem 1. Januar 2021 ist das bisherige Werkvertragssystem nicht mehr zulässig. Das ist ein großer Fortschritt, weil damit eine Geschäftsgrundlage für die Fleischindustrie entfällt, die die Menschen unter Druck setzt und eine angemessene Lohnentwicklung verhindert.
Das heißt, das System der Subunternehmen wird abgeschafft?
In diesem Bereich ja. Und das ist gut so. Die Missstände in der Fleischindustrie haben wir immer scharf kritisiert; kürzlich sprach der stellvertretende NGG-Vorsitzende zu Recht von einem Krebsgeschwür.
Müssen dann Firmen wie Müller-Fleisch die Leute selber anstellen?
Ja. Alle Haupttätigkeiten müssen künftig von angestellten Beschäftigten erledigt werden. Jetzt argumentieren die Firmen, dass es gar nicht so viele Fachkräfte gäbe, jedenfalls nicht zu diesem Preis. Das unterstreiche ich: Es gibt tatsächlich nicht genügend Leute, die für diesen Preis arbeiten würden. Von daher ist es richtig, das System Werkvertrag als solches in Frage zu stellen. Ob die Behörden allerdings das dann auch wirklich kontrollieren, wird sich zeigen. Das hätten sie auch jetzt schon tun können, waren aber aufgrund personeller Engpässe dazu nicht in der Lage.
In der jetzigen Diskussion hat sich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen kritisch über die Zustände geäußert, von der baden-württembergischen war lange nichts zu hören.
Das ist skandalös. Hier geht es ja nicht um eine Landesregierung, die nur aus einer konservativen Partei besteht, im Gegenteil: Der Ministerpräsident hat ein grünes Parteibuch. Von den Grünen erwarte ich, dass sie schon aus rein ethischen und ökologischen Gesichtspunkten ein System ablehnen, in dem Tier und Menschen ausgebeutet werden. Aber dazu hätten sie mit der Wirtschaft in den Clinch gehen müssen.
Welchen Handlungsspielraum hat die NGG überhaupt?
Den Spielraum, den die Pandemie uns brachte, haben wir optimal ausnutzen können. Das ist nicht oft der Fall. Die Lobbymöglichkeiten der Arbeitergeberseite sind in den meisten Fällen deutlich größer und zwar auf allen Feldern der Sozialpolitik. Auch wenn es um die Arbeitssituation der Beschäftigten geht, haben wir fast immer das Problem, dass die Unternehmerseite stärker ist. Die fleischverarbeitende Industrie ist ja nicht der einzige Lobbyist, hinter den Kulissen agieren auch die großen Handelsunternehmen und stärken den Fleischbaronen den Rücken.
Was kann die Öffentlichkeit tun, was kann die Zivilgesellschaft beitragen?
Es wäre schon viel gewonnen, wenn all jene, die öffentlich stets bekunden, dass ihnen die Tiere und die Menschen nicht egal sind, dies auch in ihr eigenes Kaufverhalten umsetzen würden. Da ist die Diskrepanz immer noch sehr groß. Natürlich ist man da ganz schnell bei der Frage: Wird es teurer? Diese ist schwierig zu beantworten, weil es unterschiedliche Einschätzungen gibt; ich nehme an, dass es zu moderaten Preissteigerungen kommen wird. Aber schlussendlich gibt es kein Recht auf umweltschädlich und asozial produzierte Waren.
Überschätzen Sie nicht die Macht der KonsumentInnen?
Immer dann, wenn sich der gesellschaftliche Druck in eine neue Marketingstrategie umsetzen lässt, funktioniert das mit den Veränderungen. So ist das auch beim Fleisch. Es könnte also gut sein, dass künftig, wenn die jetzigen Entscheidungen umgesetzt werden, das Stück Fleisch in der Theke etwas anderes ist als heute. Es geht um ein Zusammenspiel zweier Faktoren: dem öffentlichen Druck und dem Konsumverhalten.
In welche Richtung könnte der Druck gehen?
Beispielsweise kann man Einfluss darauf nehmen, wie die Kommunen mit Lebensmitteln umgehen. Wenn sie festlegen, dass es in Schulen, Kitas oder Kantinen bestimmte Produkte von bestimmten Herstellern nicht mehr geben soll, würde das die Industrie sehr schnell spüren. Da könnten Initiativen vor Ort viel erreichen, indem sie beispielsweise bei den Unternehmen nachfragen, die die Schulküche beliefern: Woher habt ihr denn die Produkte?
Das Gespräch ist zuerst in der Konstanzer Online-Zeitung "seemoz" erschienen.
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Wolfgang Hoepfner
am 31.05.2020