Trotzdem fragt man sich verwundert, ob der "Kretsch" noch alle Gurken im Glas hat? Oder thematisch passender: alle Würstchen. Denn zu Müller-Fleisch sagt er nichts, dem Schlachtbetrieb in Pforzheim, bei dem sich im Laufe der vergangenen Wochen dreihundertneunundneunzig – in Zahlen: 399 – Menschen mit Covid-19 infiziert haben. Unter anderem, weil vor allem die Leiharbeiter aus dem Ausland nach Feierabend gehalten werden wie die Tiere, die sie tagsüber zerlegen. Dazu gibt's vom grünen Landesvater keine Ansage. Die überlässt er Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), der gerade erst vor Ort war und die Firma für ihr vorbildliches Krisenmanagement gelobt hat. Und vor allem dafür, den Laden nicht dichtgemacht zu haben, obwohl fast ein Drittel der dort Arbeitenden infiziert war ("Sie können stolz sein!"). Versorgungsengpass bei Schnitzel und Keule, Hamsterkäufe am Hackfleischregal, Panik ohne Parmaschinken – es wäre nicht auszudenken. Fleisch, sagt Hauk, ist systemrelevant. Außerdem müssten Landwirte Abnehmer für ihr Schlachtvieh finden. "Es ist der schlimmste Fall, wenn Rinder vor Altersschwäche in den Ställen sterben", sagt der Minister, der Experte der Landesregierung für Landwirtschaft. Wir erinnern uns: Rinder können zwanzig Jahre alt werden, im Stall schlachtreif sind sie bei uns mit etwa zwei. Und wo man als Verbraucherschutz-Minister schon so schön dabei ist, Klientelpolitik zu betreiben, sind angedachte Verbote von Werkverträgen im Schlacht-Business auch gleich mit zu geißeln.
Mal Hand aufs Herz: Wo käme man denn hin, wenn jetzt auch noch Polen, Tschechen und Rumänen anständig bezahlt werden müssten, obwohl sie so absolut niedere Aufgaben erledigen, dass es kein Deutscher tun will? Wenn selbst Ausländer nicht mehr zusammengequetscht in abgefuckten Abrissbuden untergebracht werden dürfen. Wenn wir Deutschen uns während einer globalen Pandemie jetzt auch noch um die Gesundheit von Nicht-Deutschen in Schlachthöfen (womöglich auch noch bei der Ernte, auf Baustellen und in Flüchtlingsunterkünften) kümmern müssen.
Nene, das geht dann doch zu weit. In einer Pandemie muss jeder gucken, wo er selber bleibt. Und der Deutsche muss eben, und wenn die Welt sich um ihn herum dem Untergang zuneigen würde, jederzeit die Möglichkeit haben, ein Stück Fleisch zu essen. Auch wenn das von kranken Menschen aus einem Lebewesen herausgesägt wurde, das in der Mehrzahl und auch vor seinem Eintreffen bei Müller-Fleisch kein schönes Leben hatte. Im Grunde schließt sich hier der Kreis: Menschen, denen die Würde genommen wird, machen aus Tieren, die unwürdig gehalten werden, billiges Fleisch, das auch von den Ärmsten im Land gekauft werden kann, den wirtschaftlichen Verlierern, die nie rauskommen werden aus dem Kampf mit dem sauteuren Leben. Das gute Demeter-Fleisch von Viechern, die noch Wiesen kennen, Ringelschwänze, Krallen, Zähne und Hörner haben, können ja die Auto-Manager kaufen.
Es gibt viele Wünsche für die Nach-Corona-Zeit, mit denen dieses Editorial schließen könnte. Beispielsweise dem, dass man das nächste Mal jemanden als Ministerpräsident (m, w, d) kriegt, mit dem ökologisch – siehe Klimakrise, verursacht auch durch Autos – wenigstens ein kleiner Blumentopf zu gewinnen ist. Und um beim Thema Fleisch zu bleiben: Auf jedem Marktplatz, in jedem noch so kleinen Ort, sollte jeden Samstag öffentlich geschlachtet werden. Damit wir Deutschen ein Gefühl dafür bekommen, dass unser Fleisch einmal geatmet hat und wie viel Arbeit es ist, ein einziges Schwein fachgerecht zu zerlegen.
Immerhin ein Gutes hat die ganze Sache: Die Arbeitenden, die das Schlachten bei Müller-Fleisch im Akkord erledigen, haben dank "Pandemieplan 2.0" der Kreisverwaltung Pforzheim die Aussicht auf ein Ende der Massenmensch-Haltung und sollen in Zukunft auch mal ein Einzelzimmer bekommen. Und das schon ganz bald! Ab 31. Juli! Nur noch 72 Mal schlafen! Bis dahin wird es ja wohl von den Müller-Fleisch-Malochern nicht zuviel verlangt sein, mal nicht ein- oder auszuatmen. Immerhin haben wir Pandemie.
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Ruby Tuesday
am 29.05.2020„Ich hoffe in der Substanz nicht.…