Herbert Gilbert bekommt von der Volkswagen AG 25.600 Euro plus Zinsen. Das hat am Montag der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Der Konzern habe ihn "vorsätzlich sittenwidrig geschädigt" und müsse deshalb wegen illegaler Abgastechnik Schadenersatz zahlen. Gilbert hatte auf knapp 31.500 Euro geklagt, denn so viel hatte er 2014 für einen gebrauchten Sharan bezahlt; doch er musste sich die gefahrenen Kilometer als Nutzungsentschädigung auf den Kaufpreis anrechnen lassen. Im Grundsatz jedoch bekam er nun letztinstanzlich Recht. Und das macht Zehntausenden weiterer Autokäufer jetzt Hoffnung, mehr Geld zu bekommen als die 235.000 Kunden, die sich nach ihrem Musterfeststellungsverfahren auf einen Vergleich eingelassen hatten.
VW hat bereits angekündigt, individuell abgestimmte Einmalzahlungen anzubieten, falls jemand sein manipuliertes Fahrzeug gar nicht zurückgeben, sondern behalten möchte. Eine Gruppe wird dabei jedoch ausgeschlossen: Wer ein solches Betrugsauto erst nach Bekanntwerden des Skandals angeschafft hat, bekommt nichts. Der hätte ja wissen müssen, dass sein neuer Wagen gar nicht so sauber ist, weil er eine illegale Technik hat. Das entbehrt natürlich nicht einer gewissen Logik. Warum aber hat VW (wie auch andere Konzerne) diese Autos noch weiterhin verkauft? Aus demselben Grund, aus dem sie überhaupt auf den Markt kamen: aus Geldgier. Und ganz ohne Schuldbewusstsein: auch das manipulierte Auto habe seinen Besitzer doch von A nach B gefahren – er habe also keinen Nachteil gehabt.
Nicht nur aus finanziellen Gründen hat der weltgrößte Autobauer immer lieber Vergleiche und Deals geschlossen. Mit diesem BGH-Urteil wurde ihm jetzt höchstrichterlich ins Stammbuch geschrieben, wegen einer "grundlegenden strategischen Entscheidung" habe er "systematisch und langjährig getäuscht". Das macht sich nicht gut im Führungszeugnis der Hierarchen. "Vorsätzlich, grundlegend, strategisch, systematisch und langjährig" – und keiner der Verantwortlichen hat etwas gewusst, erst recht nicht befürwortet und betrieben? Haben irgendwelche Abteilungsleiter sich gedacht, sie könnten mal auf eigenes Risiko bei Bosch eine Software bestellen – natürlich nicht zum Betrügen, sondern um den Motor zu schützen. Und der damalige Vorstandschef Martin Winterkorn, der sich um jedes technische Detail kümmerte und jede Neuerung persönlich abnahm, hatte ausgerechnet hiervon keine Ahnung? (Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, aber dass die eine Scheibe war, konnte er nicht wissen.)
Mehr Taschengeld fürs Lügen
Anschuldigungen gibt es viele, vom Frevel an der Umwelt über den Betrug der Kunden bis zur Marktmanipulation zum Schaden der Aktionäre. Verfahren gegen Winterkorn stehen noch aus – könnten aber genauso unterbleiben wie gegen den heutigen Vorstandschef Herbert Diess und den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch, die angeklagt waren, die Anleger zu spät über die drohenden finanziellen Folgen der Stickoxid-Manipulation an Millionen Diesel-Fahrzeugen informiert zu haben. Beide sollen nun aber nicht weiter belästigt werden, wenn jeder 4,5 Millionen Euro zahlt. Oder wenn der Konzern sie bezahlt, das ist egal. Diess stieß erst Mitte 2015 zum Konzern, was einen Schuldnachweis erschweren dürfte, aber Pötsch war während des Skandals Finanzchef. (Dass er jetzt als Oberaufseher sein eigenes Verhalten von damals kontrollieren soll, ist ganz geschickt.)
VW ließ verlauten, der Aufsichtsrat begrüße die Einstellung des Verfahrens. Man sehe sich in der Einschätzung bestätigt, dass die Vorwürfe nicht begründet seien. Deshalb zahlt der Konzern auch neun Millionen, einfach mal so. Mit dem "gesunden Menschenverstand" ist es ja auch nicht mehr so weit her, seit Minister Scheuer dieses Argument desavouiert hat.
Und was sich die Staatsanwaltschaft dabei gedacht hat, diesen Deal einzugehen? Ich weiß es nicht. Entscheidungen der Justiz sind leider bisweilen genauso schwer nachzuvollziehen wie die der Politik. Dort steht die nächste bevor. Kommt eine neue Abwrackprämie für Autos? Sie war schon 2009 äußerst umstritten, und heute wird sie eindeutig von allen Wissenschaftlern und erst recht von allen Umweltverbänden abgelehnt, jedenfalls wenn sie auch für Verbrenner gilt. Allein die Automobilindustrie und die Ministerpräsidenten der drei großen Autoländer Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern wollen sie. Arbeitsplätze sind das Totschlag-Argument der Lobbyisten. Wohlwissend, dass der die meisten Arbeitsplätze aufs Spiel setzt, der zu lange auf veraltete Technologie setzt.
Ein Twitter-Kommentar nach dem BGH-Urteil: "Wenn VW eine Kaufprämie oder Milliarden-Förderung bekommt, ist das, als würden Eltern ihrem Kind eine Taschengelderhöhung geben, wenn sie es beim Lügen erwischt haben – außer, dass wir alle diese Taschengelderhöhung finanzieren."
4 Kommentare verfügbar
Hensgen Hartmut
am 31.05.2020Völlig indiskutabel wäre es, Kaufprämien zu…