"Jetzt scheint die Gesundheitskrise überstanden und schon sind die Pflegeberufe, die vor allem Frauen machen, aus dem Fokus verschwunden. Die mangelnde Anerkennung, die wir seit Jahren für diese Berufe haben in Deutschland, sitzt tief." Johanna ärgert das. Die 29-Jährige, die ihren Nachnamen nicht nennen will, ist seit zehn Jahren Krankenpflegerin im Klinikum Stuttgart und dort im OP tätig. In der Corona-Krise erlebte sie, wie in ihrem Bereich die Operationen runtergefahren wurden, um Platz für Corona-Patienten zu haben. "Jetzt werden die ausgefallenen Operationen nachgeholt", erzählt sie. "Das heißt, es wird mehr operiert als normalerweise und das ist schon eine deutliche Mehrbelastung für das Personal."
Dass das Klinikum für die zusäzliche Arbeit in der Corona-Krise jetzt einen Bonus von 400 Euro an eine Mehrheit der 7.000 Beschäftigten zahlt, besänftigt Johanna nicht. "Im April hat die Eva-Mayr-Stihl-Stiftung dem Klinikum eine Million Euro gespendet. Für das Personal. Dann muss man das ja wohl auch weitergeben." Der jungen Frau geht es um mehr als um ein paar hundert Euro. Sie will, dass Pflege besser bezahlt und dass die Gesellschaft gerechter wird. Deswegen engagiert sie sich in der Verdi-Betriebsgruppe im Klinikum sowie in der Stuttgarter Gruppe "Solidarität und Klassenkampf". Die Gruppe ist Teil des Krisenbündnisses Stuttgart, das für den vergangenen Samstag zur Demo aufgerufen hatte. Motto: "Nicht auf unserem Rücken! Sozialabbau? Entlassungen? Gürtel enger schnallen? Wir zahlen nicht für Ihre Krise!"
Hinter dem Krisenbündnis stehen mehr als 30 Vereinigungen, vom DGB Stuttgart über SÖS, Die Linke Stuttgart, Friedenstreff, DKP, Württembergischer Kunstverein bis zum Theater Rampe. So breit das Bündnis auch ist – riesige Menschenmassen scheinen sich von dessen Aktivitäten nicht angesprochen zu fühlen. Etwa 400 DemonstrantInnen kamen zur Auftaktkundgebung auf den Marienplatz. Viele rote Fahnen wehten, manche verwiesen auf ihre Absender wie Verdi, die Linke, DKP.
Wöchentliche Hiobsbotschaften
Ariane Raad von Verdi Stuttgart machte in ihrer Rede klar, worum es gehen muss. Wenn der Staat neun Milliarden Euro in die Lufthansa stecke und gleichzeitig der Konzern verkünde, dass 22.000 Arbeitsplätze gestrichen werden sollen, sei klar, wohin der Hase läuft. Wenn der Staat einerseits Corona-Hilfsprogramme in Höhe von 1,2 Billionen Euro plus ein 130-Milliarden-Euro Konjunkturpaket auf den Weg bringe, andererseits normale Menschen, die teilweise mit Kurzarbeit oder sogar Entlassung fertig werden müssen, 300 Euro pro Kind erhielten, "dann ist das zynisch", so Raad. Sie befürchte, dass es nach der Krise massive Angriffe auf die Sozialsysteme geben werde, um all die neuen Ausgaben wieder reinzubekommen. Das bedeute: "Wir werden kämpfen müssen." Dazu gehörten auch die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst und die Metallindustrie.
Allerdings: Nicht erst in Tarifverhandlungen wird es konkret. Schon jetzt melden die Nachrichten mindestens wöchentlich, welche Unternehmen wie viele Arbeitsplätze streichen wollen. Sei es die Lufthansa mit ihren 22.000 Stellen, sei es Daimler mit der Ankündigung, 20.000 Arbeitsplätze abzubauen. Das sind die großen Firmen, die es in die Tagesschau schaffen. Da gibt es aber auch den Esslinger Automobilzulieferer Eberspächer, der ein Werk mit 300 Beschäftigten schließen will, um seine Produktion von Autoheizungen ins billigere Polen zu verlagern. Der Automatisierungsspezialist Balluff in Neuhausen auf den Fildern will 240 Stellen abbauen und nach Ungarn und China verlagern. In Feuerbach demonstrierten 3.000 Bosch-Beschäftigte gegen einen drohenden Stellenabbau, den die Firma noch nicht genau beziffert hat.
2 Kommentare verfügbar
Ruby Tuesday
am 25.07.2020Was bisher feststellbar ist, es hatten…