In sozioökonomischer Hinsicht könnte Covid-19 der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der "Lockdown", den die Pandemiebekämpfung notwendig macht, treibt die ohnehin labile Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs, samt dem in absurde Dimensionen aufgeblähten Finanzsystem. Denn der partielle Stillstand der wirtschaftlichen Verwertungsprozesse steht im offenen Widerspruch zu einer kapitalistischen Ökonomie – die aufgrund ihres Wachstumszwangs auch dann nicht zum Erliegen kommen darf, wenn genau dies notwendig wäre.
Der sich in vielen Weltregionen bereits entfaltende Wirtschaftseinbruch ist, trotz der durch Hamstern verursachten Versorgungsengpässe, nicht auf einen grundsätzlichen Mangel an Waren zurückzuführen, sondern auf die Kappung der Verwertungsprozesse. Kapital ist als ein permanent anwachsender Kreislauf zu verstehen, bei dem Geld investiert wird, um durch die Verwertung von Lohnarbeit in der Warenproduktion mehr Geld daraus zu machen. Dieses aus der Perspektive eines Unternehmens durchaus rationale Streben bildet die Reproduktionsgrundlage der kapitalistischen Gesellschaften: Löhne, der Staatsapparat, Renten und mehr können nur finanziert werden, wenn dieser Kreislauf der Kapitalverwertung in Form von Steuern, Gehältern und Sozialabgaben angezapft wird. Somit hängt die gesamte kapitalistische Gesellschaft am Tropf eines Prozesses, der nun durch die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung weitgehend gekappt ist.
Dies ist der kapitalistische Super-GAU. Folglich drohen gigantische Konjunktureinbrüche, wobei unklar ist, wie lange diese durch staatliche Konjunkturprogramme überbrückt werden können – diese werden gerade überall dort, wo man es sich noch leisten kann, durch Schuldenaufnahme finanziert. Bei einem längeren Stillstand der globalen Verwertungsmaschine wird immer wahrscheinlicher, dass sich diese heftigen Konjunktureinbrüche zu einer ausgewachsenen Depression verstetigen. Zum einen sind viele Staaten jenseits der Wohlstandsregionen bereits jetzt zu hoch verschuldet, um die notwendige Kreditaufnahme zu stemmen (diese Diskrepanz etwa zwischen dem deutschen Zentrum und der südeuropäischen Peripherie bildet auch den Hintergrund der zunehmenden Spannungen in der Eurozone).
Schulden wachsen schneller als die Wirtschaft
Andererseits leidet das kapitalistische Weltsystem insgesamt an einem beständig wachsenden, globalen Schuldenberg, der in der gegenwärtigen Coronakrise einzustürzen droht – mit der Gefahr, eine Kernschmelze des Weltfinanzsystems samt globaler Depression wie in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts auszulösen. Dieses fundamentale Problem der Überschuldung, das auf eine schwere historische Systemkrise verweist, lässt sich empirisch eindeutig nachweisen. Die globalen Schuldentürme wachsen seit Jahrzehnten schneller als die Weltwirtschaft, sodass sie inzwischen rund 322 Prozent der Weltwirtschaftsleistung umfassen – und kreditfinanzierte Konjunkturprogramme nur um den Preis exzessiver Gelddruckerei der US-Notenbank Fed oder der EZB erlauben.
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Verena Saisl
am 08.04.2020In der Wochenzeitung "der Freitag" findet sich ein Beitrag, der im Geiste des Textes von Thomas Konicz verfasst wurde, mit noch ein paar…