Was fordert Verdi konkret in Bezug auf die Kitas?
Wir haben einen Riesenkatalog. Ganz grundsätzlich muss man sagen, dass sich mit Corona die Probleme der seit Jahren verfehlten Politik deutlich gezeigt haben: Im öffentlichen Dienst wird privatisiert, die soziale Infrastruktur wurde nicht aus-, sondern abgebaut. Außerdem haben wir das Problem, dass nach wie vor diese Bereiche weniger Anerkennung finden als in der Privatwirtschaft. Man verdient mehr, wenn man Autos zusammenschraubt, als wenn man Kinder erzieht. Und das alles hat natürlich zu Fachkräftemangel geführt.
Ihr Eindruck insgesamt: Wie ist die öffentliche Hand bezogen auf die Kitas mit dem Lockdown umgegangen?
Das war absolutes Chaos. Bei der Stadt Stuttgart zum Beispiel gab's am Freitag die Info, es wird geschlossen und am Montag konnten die Kinder noch kommen. Oder die Frage der Notbetreuung: Ich finde, da hätte man von Anfang an soziale Kriterien stärker berücksichtigen müssen. Es ist ein Riesenunterschied, ob ein Kind aus einer ökonomisch privilegierten Familie kommt, die Haus mit Garten und vielen Zimmern zur Verfügung hat, oder ob ein Kind aus einer Familie mit beengten Wohnverhältnissen und ohne Garten kommt. Da hätte man früher klären müssen, welche Kinder früher wieder in die Einrichtungen kommen dürfen als andere.
Was bekommen Sie mit, wie die Eltern auf die Wiedereröffnung der Kitas reagieren?
Ich kriege ja nur die Probleme mit. Es gibt Eltern, die sich in den Einrichtungen beschweren und die eine sehr hohe Erwartungshaltung haben. Es gibt natürlich auch die Einrichtungen, die ihre Öffnungszeiten kürzen mussten, weil sie zu wenig Personal haben. Oder aber Einrichtungen, die an bestimmten Tagen schließen mussten, da nicht ausreichend pädagogische Fachkräfte da waren. Da kommt natürlich Unmut bei den Eltern auf. Aber den sollten sie lieber an die Politik richten und nicht bei denen abladen, die versuchen, den Laden am Laufen zu halten. Ich glaube aber auch, dass viele Eltern gemerkt haben, was für eine Arbeit in den Kitas täglich zugunsten von ihrem eigenen Kind geleistet wird. Und ich hoffe, dass diese Anerkennung und Wertschätzung, die ja auch in dem Beifallklatschen der Öffentlichkeit zum Ausdruck kam, jetzt in einer Unterstützung des anstehenden Arbeitskampfes mündet.
Bevor wir zur Tarifrunde kommen: Wer wurde bei diesem Klatschen eigentlich vergessen?
Die Reinigungskräfte. Die hatten sehr schlimme Bedingungen, sie mussten weiterarbeiten und das zum Teil nicht unter den Hygieneschutzverordnungen, weil sie einfach das Material nicht gestellt bekommen haben. Auch bei den Beschäftigten bei der Müllabfuhr und Straßenreinigung gab es Zustände, die einfach unterirdisch waren. Da saßen die Kolleginnen zu dritt in den Müllwagen-Führerhäusern, der gesetzlich vorgeschriebene Abstand kann so nicht eingehalten werden. Auch die Beschäftigten in den Jobcentern haben unglaublich viel gearbeitet. Es haben ja viele Leute ihre Arbeit verloren und dadurch ist deutlich mehr an Arbeit angefallen. Eigentlich wurden alle vergessen, die ihrer Arbeit trotz Gesundheitsgefährdungen nachgehen mussten.
Jetzt steht die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst an …
Genau. Wir hatten ja vorgeschlagen, einen Kurzläufertarifvertrag zu machen. Also einen Tarifvertrag für ein paar Monate, in dem akute Themen wie die Übernahme der Azubis oder die Verlängerung der Altersteilzeit geregelt sind. Dazu eine Einmalzahlung. Damit wären wir mit der Tarifauseinandersetzung nicht in den Herbst gekommen, wenn der Alltag gerade wieder einigermaßen läuft und man aber auch nicht weiß, ob es eine zweite Corona-Welle geben wird oder nicht. Aber die Arbeitgeber haben sich dazu nicht bereit erklärt. Sie wollen die Situation ausnutzen. Also müssen wir jetzt tatsächlich in die Tarifrunde gehen. Der erste Verhandlungstermin ist am 1. September.
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in Rathäusern hält sich eher in Grenzen. Wie sieht es überhaupt mit der Streikbereitschaft aus in Coronazeiten?
Ich denke, dass die Beschäftigten gar keine andere Wahl haben, als jetzt aktiv mitzumachen. Es zeigt sich ja, wie wenig die Arbeitgeber die Arbeit der Beschäftigten im öffentlichen Dienst wertschätzen, obwohl diese unverzichtbar ist und alles in der Krise am Laufen hielt. Es ist also in der aktuellen Situation gar keine Frage, ob die Beschäftigten wollen oder nicht. Sie werden es machen müssen.
Verdi hat im öffentlichen Dienst ja immer das Problem, dass der Arbeitgeber wir alle sind – der Staat. Wenn die Kommunen mehr Geld für ihre Beschäftigten ausgeben sollen, zahlen das am Ende wir alle …
Naja, man muss ja sehen, was hat der Staat bisher gemacht. Er hat in der Wirtschaftskrise 2008 die Banken gerettet. Und was hat er jetzt gemacht? Die ganzen Zuschüsse, Kurzarbeit und so weiter, sind ja alles Steuergelder oder Sozialversicherungsbeiträge. Der Staat rettet also mit unserem Geld Unternehmen und Banken. Jetzt sind aber die Beschäftigten dran. Und da sagen die öffentlichen Arbeitgeber auf einmal, es sei kein Geld da. Entweder sie erkennen an, dass ein Sozialsystem nur funktionieren kann, wenn Menschen da sind, die dieses sicherstellen, und honorieren das entsprechend. Oder aber der Staat macht so weiter wie in den letzten Jahren: Kaputtsparen und Privatisieren zu Lasten der Beschäftigten und der Gesellschaft.
3 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 08.07.2020Bitte? Befindet sich diese Verdi-Sekretärin tatsächlich in der NEU-Zeit, in der althergebrachtes in Frage gestellt und neu überdacht wird?!?
Ohne dem Pazifismus das Wort zu reden: Kämpfen, also kriegsähnliches…