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Geflüchtete

Hilfe für die Verwundbarsten

Geflüchtete: Hilfe für die Verwundbarsten
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Vor zwei Jahren haben Elka Edelkott und Katja Walterscheid den Stuttgarter Verein Just Human gegründet. Dieser unterstützt Geflüchtete, vor allem solche aus dem LGBT-Bereich, Frauen und Kinder. Am Mittwoch der kommenden Woche stellen sie ihr Projekt im Film "Fluchtgrund Liebe" vor.

Am 13. Mai dieses Jahres sandte eine junge Frau eine Nachricht an den Stuttgarter Verein Just Human: "Bitte, ich bin im sechsten Monat schwanger. Ich bin auf der Straße, bitte helfen Sie mir." Die Frau, Mitte 30 und lesbisch, schrieb diese Zeilen aus einem Park in Griechenland. Hochschwanger, obdachlos – und mitten in einer Pandemie.

Kurz darauf beendete die griechischen Regierung und der UNHCR viele Förderprogramme für Geflüchtete – Hilfsgelder wurden gestrichen, Wohnprogramme geschlossen, auch solche für Schwangere und Frauen mit Kindern. Durch den Lockdown konnten Geflüchtete nicht mehr arbeiten, viele sind mittlerweile mittellos, obdachlos und damit völlig schutzlos. "Es ist alles ziemlich elend", sagt Katja Walterscheid. Corona hat viele der Türen, die es für Geflüchtete in Griechenland gibt, geschlossen.

Gemeinsam mit ihrer Lebenspartnerin Elka Edelkott hat Katja Walterscheid 2018 die Hilfsorganisation Just Human gegründet. Und den eigenen Verein mit Safe Place international in Athen zusammengespannt. Safe Place hat für die Schwangere, ihr Name ist Charlotte, eine Wohnung zur Verfügung gestellt, um die Frau und ihr Ungeborenes von der Straße zu holen. Just human hat eine Sozialarbeiterin eingestellt und übernimmt die Unterhaltskosten. Zunächst nur für diese eine Frau, später sollen weitere Frauen mit Kindern in dieser Wohnung Unterschlupf finden. "Maison Charlotte" haben sie ihr neuestes Baby getauft. Etwa 27.000 Euro wird das Projekt kosten, Just Human möchte 18.000 Euro beisteuern.

Drei Mal Gefängnis für die Liebe zu Frauen

Just Human kümmert sich um Geflüchtete weltweit, insbesondere um Menschen aus dem LGBT-Bereich, um Schwule, Lesben, Intersexuelle und Transmenschen, "eine der vulnerabelsten Gruppen unter den Schutzsuchenden", sagt Elka Edelkott. "Menschen, deren Menschenrechte immer wieder verletzt werden", sagt Katja Walterscheid. Menschen, die in ihren Heimatländern verfolgt werden, teils von Todesstrafe bedroht sind, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind, die in ständiger Angst und Leugnung der eigenen Identität leben müssen. Und nicht selten aus diesen Gründen ihre Heimatländer verlassen. Wie die junge Frau, die dreimal in Kamerun im Gefängnis saß, nur weil sie Frauen liebt und nicht Männer. Als der einzige Mann starb, der ihr geholfen hat, der sie immer wieder aus dem Knast geholt hatte, ist sie geflohen.

Auch in Auffangstationen und Lagern sind es diese Menschen, die unter größtem Stress stehen, immer bedroht von Gewalt und Übergriffen. Bei Safe Place in Athen finden sie eine sichere Unterkunft. Just Human sammelt in Deutschland Spenden, um diese Unterstützung vor Ort aufrechtzuerhalten. Vor allem jetzt. Denn durch die Pandemie haben viele SpenderInnen ihre Unterstützung eingestellt.

Auch Joseph lebt im Haus von Safe Place International. Auch er kommt aus Kamerun. Dort, erzählt er, würden Homosexuelle "fast wie Müll behandelt. Man hat keinen Platz in der Gesellschaft". Er ist schwul, professioneller Tänzer. Just Human hat ihn mit der Stuttgarter Tanz-Combo Gauthier Dance zusammengespannt. Die TänzerInnen schickten ein Paket mit Trainingsanzügen und Tanzschuhen nach Griechenland und eigentlich war eine Kooperation angedacht, vielleicht ein gemeinsamer Auftritt. Corona allerdings hat alle Pläne bis auf Weiteres auf Eis gelegt.

Für geflüchteten Frauen und Kinder, die auf Lesbos in Schutzhäusern leben oder von dort erreicht werden können, hat Just Human einen Notfonds eingerichtet. Die Kinder und Frauen erhalten Hilfe für Kleidung, Bildung und beim Übergang in ein selbständiges Leben nach Abschluss des Asylverfahrens.

Katja Walterscheid, Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin, und Elka Edelkott, PR-Fachfrau und Systemische Beraterin, setzen sich seit vielen Jahren für Geflüchtete ein. Just Human ist die Institutionalisierung ihrer privaten Hilfe. Begonnen hatte alles 2015 mit einem jungen Mann aus Syrien. Der musste eine Wohnung vorweisen, um seine Familie nachzuholen. Also zog er kurzerhand in die WG der beiden Frauen ein, die ihm halfen, eine eigene Bleibe zu finden. Wenige Monate später war er mit seiner Familie wieder vereint. "Das hat ganz gut geklappt", sagt Elka Edelkott im Rückblick.

Ihr zweiter Fall ging nicht so reibungslos über die Bühne. Vor dem Krieg in Syrien war der junge Mann mit seiner Familie in den Libanon geflohen, später alleine nach Deutschland. Auch er lebte ein par Monate in der Frauen-WG. Eigentlich wollte er seine Familie nachholen, aber das, man weiß es, dauert und die Sehnsucht der Menschen nach ihren Liebsten verschwinden unter dutzenden Stapeln Papier in der deutschen Bürokratie. Die Frau des Mannes und dessen Kinder - damals war eines erst neun Monate alt, ein zweites zwei, das dritte fünf Jahre alt - und die Schwiegermutter saßen im Libanon fest. Nach einiger Zeit ohne jegliche finanzielle Mittel.

Elka Edelkott und Katja Walterscheid haben Unterstützungswillige zusammengetrommelt, die spendeten. Und weil die Bundesregierung im März 2016 den Familiennachzug aussetzte, unterstützten sie die Familie zwei Jahre lang privat. Ende 2018, nach mehr als drei Jahren der Trennung, trafen die Eltern ihre Kinder wieder – in Kanada. Dort leben sie seither. Insgesamt 17.517 Euro haben Edelkott, Walterscheid und ihre MitstreiterInnen über die Jahre für die Familie gesammelt. "Wir konnten damit verhindern, dass die Frau sich oder ihre Kinder Ausbeutung oder sexuellen Übergriffen aussetzen musste, um zu überleben", sagen die Frauen.

Den Feindseligkeiten etwas entgegensetzen

"Uns wurde bewusst", erzählen die zwei Frauen, "dass es so viele Menschen gibt, die Hilfe brauchen, so viele Fälle wie die, die wir kennengelernt haben. Wir wussten, das können wir nicht mehr privat stemmen." Das war in einer Zeit, erinnern sich beide, als die anfangs positive Stimmung gegenüber Geflüchteten in Deutschland langsam kippte. "Die Feindseligkeiten nahmen immer mehr zu und wir wollten, nein, wir mussten dem etwas entgegensetzen." Für einen Verein ist das einfacher als für Privatpersonen. Und für hilfsbedürftige Menschen ist es einfacher, von einem Verein Geld anzunehmen.

Also haben sie die Unterstützung institutionalisiert. Seit Beginn arbeitet Just Human eng mit Flüchtlings-Freundeskreisen zusammen, macht Veranstaltungen mit dem AK Asyl in Stuttgart, hat Kontakt zum Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Der Verein, das ist beiden Frauen wichtig, sammelt vor allem Geld für Menschen und Projekte, die die Frauen persönlich kennengelernt haben, zu denen sie Kontakte pflegen. In jedem Land, in jeder Stadt, in der Just Human eine Einzelfamilie, ein Haus oder ein Projekt finanziell unterstützt, hat der Verein reale AnsprechpartnerInnen, mit denen Edelkott und Walterscheid in ständigem Austausch stehen. "Länderbeauftragte" nennen das die beiden Frauen. Denn wer kennt sich schon mit der Wohnungssituation in Somalia aus? Oder weiß von Deutschland aus, welcher Anwalt gut ist oder was eine Schule in Nairobi monatlich kostet?

Auch mit Menschen, die aus Deutschland abgeschoben wurden, halten die beiden Frauen Kontakt. Einer beispielsweise lebt mit seiner Familie mittlerweile im Kosovo und konnte dank privater Unterstützung und der finanziellen Hilfe von Just Human einen kleinen Catering-Dienst aufmachen, mit dem er seine Familie nun ernährt. In Südafrika unterstützt der Verein das Safe House Bredasdorp. Die Somalierin Mara, die in Stuttgart lebt und seit Jahren auf ihre Familie wartet, die in Nairobi festsitzt, bekommt finanzielle Hilfe von Just Human. In Stuttgart organisiert der Verein Workshops und Vorträge, gemeinsam mit der Initiative Seebrücke und anderen Organisationen haben sie es geschafft, dass Baden-Württembergs Landeshauptstadt zum "Sicheren Hafen" wird. Und: Die beiden Frauen träumen von einem Friedenshaus – für Projekte, zum Austausch, zum Leben, zum Atemholen.

Masken für Moria

Auch ins Flüchtlingslager Moria auf Lesbos, einem der mit Sicherheit schlimmsten Orte, die Europa zu bieten hat, haben die beiden Frauen und ihr Verein Kontakt. Die Situation: unmenschlich, katastrophal. Und Corona hat das Elend der Menschen nicht besser gemacht. Eine Hilfsorganisation hat erst vor Kurzem Waschplätze eingerichtet, die von Geflüchteten gegen Honorar betreut werden, damit sich die Menschen wenigstens die Hände waschen können.

Mitte März erreichte Just Human ein Hilferuf aus Moria: "Wir brauchen dringend Schutz-Masken für Geflüchtete!" Just Human schickt seitdem in Kooperation mit dem Stuttgarter Unternehmen Planet Bamboo, mit NäherInnen und Nähgruppen regelmäßig Pakete mit selbstgenähte Masken nach Lesbos, mehrere Tausend sind es mittlerweile. Die Betreuer an der Waschstellen sammeln sie jeden Abend ein, bringen sie einer Hilfsorganisation, die Waschmaschinen zur Verfügung stellt, und verteilt sie am kommenden Morgen frisch gewaschen. "Es ist wirklich irre, dass sie das unter den Umständen dort schaffen", sagt Elka Edelkott und erzählt, dass die Just Human-Masken mit Abstand die beliebtesten seien: weil sie bunt sind. "Sie sind nicht nur Schutz, sondern auch ein Zeichen der Solidarität mit Geflüchteten", sagt Elka Edelkott. Ein sichtbares Zeichen. Ein buntes Symbol dafür, dass die Menschen, die in diesem Lager leben müssen, nicht alleingelassen werden. Vor allem die nicht, die unterdrückt werden, nur weil sie anders lieben.


Am Mittwoch, 15.7.2020, um 18 Uhr findet die Filmpremiere "Fluchtgrund Liebe – Situation von LSBTTIQ-Geflüchteten in Griechenland" im CSD-Studio im 3. OG des Gerber in Stuttgart statt. Anmeldung ist erforderlich. Wer keinen Platz mehr bekommt, kann die Veranstaltung im Livestream auf der Seite https://www.csd-stuttgart.de/live verfolgen.


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 14 Stunden
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