Für den Verbleib des Ankunftszentrums im PHV haben sich bisher unter anderem SPD, Linke, die Grün-Alternative Liste (GAL) und Bunte Linke ausgesprochen. Sie bekommen jetzt Verstärkung durch die neugegründete Initiative "Bündnis für Ankunftszentrum, Flüchtlinge und Flächenerhalt – PHV" (BAFF-PHV). Darin versammelt: der Heidelberger Asylarbeitskreis, der NABU-AK-Umweltpolitik und mehrere Heidelberger Bürger, wie etwa der im Ankunftszentrum tätige Arzt Karl Völker, ein Mitglied der Grünen. Sie charakterisieren die Wolfsgärten-Lösung als eine "unmenschliche Zumutung" und haben ein Positionspapier vorgelegt, das in vielen Punkten kompetent die Argumente der Gegenseite zerpflückt. Etwa die von der IBA als Bedingung vorgeschriebene Bewohnerzahl der künftigen Zukunftsstadt von 10.000 Menschen, oder die angebliche Standorteignung des Wolfsgärten-Ackers, oder das Argument der "hohen Sicherheitsbedingungen".
Diese Gruppe BAFF-PHV zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie auch aus der täglichen Praxis im Umgang mit Flüchtlingen argumentieren kann. Darüber hinaus wird hier einer Frage nachgegangen, die man anderswo nicht hört, nämlich warum es eigentlich nicht möglich sein sollte, in der ehemaligen amerikanischen Trabantenstadt Patrick-Henry-Village mit Mut und Kreativität eine soziale und bauliche Struktur zu implantieren, in der Flüchtlinge auch ihren Platz haben. Hier soll ein Ankunftszentrum nicht einfach ein Durchgangslager sein, wie etwa für die Grünen, sondern für die Flüchtlinge ein erster Lebens- und Erfahrungsort: "Die unmittelbare Nähe von Bewohnern und Kontakten sind der beste Schutz für Flüchtlinge und auch besser geeignet zur Bewältigung krisen- und fluchtbedingter Traumata."
Diese Initiative scheint auch als einzige erkannt zu haben, dass die Migration ein Hauptthema in den nächsten Jahrzehnten sein und bleiben wird, mit immensen Auswirkungen auf die politische Landschaft – und dass mit simplen und kurzgedachten Zwischenlösungen nichts gewonnen ist. Die BAFF-PHV moniert, dass die Option, auf dem Patrick-Henry-Village zu bleiben, nie wirklich in irgendwelche Planungen eingeflossen ist, und fasst ein Bürgerbegehren ins Auge. Eine Petition zur Ablehnung der Pläne für die Wolfsgärten ist seit einiger Zeit im Netz.
Integration und Ankunftsstadt
In seinem Buch "Arrival City" über die Ankunftsstädte der weltweiten Migration beschreibt der kanadische Autor Doug Sanders ein Problem des Westens: "Wir verstehen diese Migration nicht, weil wir nicht wissen, wie wir sie zu betrachten haben. Wir wissen nicht, wo wir nachsehen sollen. Wir haben keinen Ort und keinen Namen für den Bereich, der für unsere neue Welt steht." Auch in Heidelberg, dieser internationalen Studenten- und Wissenschaftsstadt, ist dieses Unverständnis der Migration bei nicht wenigen zu finden und nicht überraschenderweise auch bei den Grünen, die sich ansonsten doch – außer natürlich Rebell Boris Palmer – so migrantenfreundlich geben. Stichwort: Integration.
Dieser schillernde Begriff, mit dem so ziemlich alle hantieren, scheint in Heidelberg ein einfältiges Dasein zu fristen. Er ist besonders dort zuhause, wo man sich um den Zusammenhalt der Gemeinschaft sorgt, etwa im Heidelberger Gemeinderat. So hat die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen dort, Luitgard Nipp-Stolzenburg, ehemalige Chefin der Heidelberger Volkshochschule und promovierte Historikerin, bezüglich des Ankunftszentrums eine erstaunliche Erkenntnis verbreitet: "Es geht bei einem Ankunftszentrum nicht um Integration. Das ist nur eine erste Anlaufstelle" – erst wenn Flüchtlinge anerkannt seien, beginne die Integration.
Diese These ist kompletter Mumpitz und wird hoffentlich nicht an der Volkshochschule gelehrt. Sie findet sich aber nichtsdestoweniger als theoretische und argumentative Unterfütterung bei all jenen, die den Verbleib des Ankunftszentrums in der künftigen "Stadt der Zukunft" mit vielen scheinbar wohlmeinenden und rationalen Argumenten ablehnen. Heidelbergs Baubürgermeister Jürgen Odszuck spricht so, IBA-Direktor Michael Braum, vielleicht mit Einschränkungen, ebenso und viele andere in der lokalpolitischen Diskussion. Dass Integration kein definierter, "fixierter" Zustand ist, sondern ein stetiger, immer auch widerstreitender Prozess; dass Integration, wenn schon, genau in jener Sekunde und an jenem Ort beginnt (oder eben nicht), wenn der/die Fremde unser Land betritt, das muss immer wieder betont werden, davon zeugt auch die ganze migrantische Literatur. In "diesen städtischen Übergangsräumen", so Doug Saunders in "Arrival City", werden "am ehesten dauerhafte und unumkehrbare Wirkungen" erzielt.
6 Kommentare verfügbar
Gerd Guntermann
am 20.12.2020Nicht zu vergessen der ökologisch-agrarische Aspekt: ein Boden mit höchster Wertigkeit für die Landwirtschaft soll hier versiegelt, trotz Klimakrise der wesentliche Teil einer Frischluftschneise überbaut werden. Dass auch dieser Aspekt von den…